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Chemie

Dioxin-Anschlag

Ich war doch sehr erstaunt, als ich das hörte

Stephan Krähenbühl, Professor für Toxikologie am Basler Universitätsspital kann sich nicht vorstellen, dass Dioxin zur Mordwaffe taugt. «Falls tatsächlich jemand dem ukrainischen Oppositionspolitiker Viktor Juschtschenko Dioxin in die Suppe gestreut hat, dann allenfalls in der Absicht, ihn für einige Monate zu entstellen und so am Wahlkampf zu hindern», meint Krähenbühl. Denn entgegen landläufiger Meinung seien in der chemischen Gruppe der PCB (polychlorierte Biphenyle), zu der auch die Dioxine zählen, keine tödlich wirkenden Verbindungen bekannt. «In der Literatur sind nur einige wenige PCB-Vergiftungsfälle belegt.» In einem Fall sei ein Mann nach Verschlucken von etwa 70 Gramm eines PCB verstorben. Beim giftigsten Vertreter der PCB, bei der als «Seveso-Dioxin» bekannt gewordene Substanz 2,3,7,8-TCDD, schätzt Stephan Krähenbühl die Todesdosis für einen Menschen auf etwa 20 Gramm.

«Wie eine solche Menge unters Essen gemischt werden kann, ohne dass das Opfer etwas davon merkt, ist mir schleierhaft.» So was grenze auch deshalb ans Machbare, weil Dioxine bloss in Fett löslich sind. Damit der Verdauungstrakt solche Quantitäten des Giftes überhaupt aufnehmen kann, hätte Juschtschenko Unmengen Fett essen – und sich wahrscheinlich schon daran übergeben müssen.

Wie sind die Heilungschancen? «Die Chlorakne, der Hautausschlag, unter dem der Vergiftete jetzt leidet, ist reversibel. Und auch die Leberschädigung ist vorübergehender Natur», ist Stephan Krähenbühl überzeugt. Diskutiert werde unter Fachleuten, ob Dioxine die Keimzellen schädigen oder später einmal Krebs auslösen könnten. Aber selbst nach dem Chemieunfall in Seveso, als etwa 200 Bewohner in der oberitalienischen Kleinstadt an Chlorakne erkrankten, liess sich diese Hypothese bis heute (zum Glück für die Betroffenen) nicht erhärten

PCB und vor allem Dioxine sind seit den 1960er unter Observation der Toxikologen. Damals schon hatte man rund um Kehrichtverbrennungsanlagen erhöhte Konzentrationen der organischen Chlorverbindungen entdeckt. Inzwischen weiss man, dass sich Dioxine gerne bei Verbrennungsprozessen zwischen 300 und 600 Grad bilden. Wer etwa verbotenerweise in seinem Cheminée PVC-Kunststoffe verfeuert, wirkt als wahre Dioxin-Schleuder. Im Prinzip entstehen Dioxine immer dann und dort, wo organisches Material mit chlorhaltigen Substanzen verbrannt wird. Wenn etwa der Wald in Meeresnähe brennt, werden unter Einwirkung des vom Wind verwehten Meersalzes immer auch Dioxine gebildet.

Die Chlorverbindung findet sich daher auch in Sedimenten, die noch aus der Vor-Industriellen Zeit stammen. Bei uns heutigen Menschen dagegen ist das Seveso-Gift tatsächlich überall im Fettgewebe in geringen Konzentrationen zu finden. Am einfachsten wird die Belastung der Bevölkerung mit Dioxinen übrigens ermittelt, indem man misst, wie hoch deren Konzentration im Fettanteil der Muttermilch ist.

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