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Gesundheit/Ernährung

Nach der Genomik jetzt zur Metabolomik …

Die Welt ist bevölkert von Grossen, Kleinen, Dicken, Dünnen

«Der Mensch ist, was er isst», sagt der Volksmund. Er hätte Recht damit, wenn alle Menschen gleich wären. Dies ist jedoch augenfällig nicht der Fall: Die Welt ist bevölkert von Grossen, Kleinen, Dicken, Dünnen und einigen wenigen Glücklichen, die ans Idealbild herankommen, das uns täglich aus Lifestyle-Magazinen und von Plakatwänden herab zulächelt. Dies vorausgeschickt sollte eigentlich klar sein, dass es keine Ernährungsweise gibt, die generell für alle Individuen auf unserem Planeten gleichermassen als «gesund» gelten kann. Wundern müsste man sich folglich ob des blinden Gehorsams, mit dem wir mehrheitlich die Diätempfehlungen zu befolgen versuchen, die uns in regelmässigen Intervallen wie Heilsbotschaften verkündet werden. Dabei wäre langsam Misstrauen angesagt. Denn es ist zu bezweifeln, dass allgemeine Diätempfehlungen «selbst wenn sie befolgt werden» etwas bringen, einen Beitrag leisten zur Verbesserung der Volksgesundheit. Nur ein Beispiel: Die Zahl der übergewichtigen Kinder in den USA hat in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent zugenommen, obwohl der Fettgehalt in der Nahrung generell reduziert wurde. Die generelle These «fettarm gleich gesund» scheint zu wanken «vielleicht mit ein Grund, weshalb jetzt jenseits des Atlantiks «low fat» (fettarm) out und «low carb» (kohlenhydratarm) in ist. Es wird wohl nicht lange dauern, bis dieser jüngste Diät-Modetrend auch uns die Gaumenfreuden vergällt.

Bei alledem soll nicht bestritten werden, dass Stoffwechselprobleme vielen Zivilisationskrankheiten wie Herzkreislauf-Störungen, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und Osteoporose zugrunde liegen. Jedoch sind die Ursachen für solche krankmachende Stoffwechsel-Entgleisungen oft individuell verschieden. Das liegt an der genetischen Ausstattung, die von Mensch zu Mensch leicht variiert. Zwar weiss man seit der Entzifferung des menschlichen Genoms, dass wir genetisch alle zu 99,9 Prozent identisch sind. Doch ists dieses eine Promille Abweichung, das den grossen Unterschied ausmacht, das dafür verantwortlich ist, dass wir nicht alle gleich aussehen und eben auch nicht alle gleich verdauen, oder «verstoffwechseln», wie der Fachmann sagt. Zucker, Fett und Cholesterin beispielsweise werden nicht in allen menschlichen Organismen gleicherweise ab- und umgebaut. Ähnlich verhält es sich ja schon mit dem Alkohol: die einen «vertragen mehr» als andere, eben die Folge individueller Stoffwechseleigenheiten.

Die Pharma-Industrie hat die Kenntnis von der genetischen Diversität unter den Menschen bereits verinnerlicht und arbeitet an der Entwicklung von Medikamenten, die auf den Genotyp bestimmter Patientengruppen abgestimmt sind und somit ein besseres Wirkungsspektrum versprechen. Pharmakogenomik heisst die neue Disziplin, die uns vielleicht bald die unter dem Schlagwort «Pillen nach Mass» und «personalisierte Medizin» bekannt gewordenen Segnungen bescheren wird.

Nun, was der Pharmabranche recht ist, soll der Nahrungsmittelindustrie billig sein: Wenn Medikamente «personalisiert» werden, um gesund zu machen, müssten und könnten nicht auch die Diätempfehlungen individualisiert werden, um Gesundheit zu erhalten? Diese Frage stellt sich auch die Firma Nestlé, weltweit einer der führenden Nahrungsmittel-Verarbeiter. Zu einem «Ernährungs-Symposium» lud der Konzern folglich im Herbst ein, was Rang und Namen hat auf den Gebieten Ernährungswissenschaften, menschliche Diversität und Gesundheitsfragen, darunter auch die drei Nobelpreisträger Günter Bobel, Joseph Goldstein und Michael Brown.

Einig waren sich die versammelten Fachleute, dass eigentlich alles Teilwissen bereits erarbeitet ist, um bald schon personalisierte Diätempfehlungen abgeben zu können: Die Biochemie des Stoffwechsels ist bis ins letzte Detail ausgeleuchtet, die Techniken, Stoffwechselprodukte auch in Spuren nachzuweisen, sind vorhanden wie auch das Instrumentarium, grosse Datenbanken aufzubauen und zu beherrschen. Somit wäre alles vorhanden, das grosse «Metabolom-Projekt» zu starten, analog zum menschlichen Genom-Projekt. «Genomik sagt uns, was passieren könnte, Metabolomik dagegen weist nach, was im Organismus geschehen ist», spannte der irische Ernährungswissenschaftler Michael Gibney den Bogen zwischen den beiden Disziplinen. Wenn einmal die Ergebnisse von Blut- und Urinanalysen von möglichst vielen Menschen samt dem jeweiligen Gesundheitsstatus in Datenbanken zugänglich sind, werden Diät-Berater eine wissenschaftliche Grundlage haben für ihre Empfehlungen. Die Nahrungsmittelindustrie ihrerseits kann dann Produkte entwickeln, die spezifisch zugeschnitten sind für die verschiedenen «Metabolom-Typen» unter ihren Kunden.

Alles bloss Zukunftsmusik? Nicht unbedingt, meint Michael Gibney. Er ist überzeugt, dass bereits in drei bis vier Jahren zumindest in den Spitälern die Diätpläne gestützt auf Metabolomik zusammengestellt werden. Ohnehin würden dann die Patienten routinemässig einer Genom-Bestimmung unterzogen, um so Hinweise für die effizienteste medikamentöse Therapie zu erhalten. «Da wird es sinnvoll sein, auch gleich den Metabolom-Typus der Patienten zu ermitteln, um sie optimal gesund futtern zu können», prophezeit Michael Gibney.

Fingerabdruck des Stoffwechsels

Nach dem genetischen nun also der Stoffwechsel-Fingerabdruck. Dahinter steckt die Idee, dass jede Frau und jedermann «selbstverständlich auf freiwilliger Basis» das Profil seines persönlichen Stoffwechsel-Zustandes ermitteln lassen kann. Konkret bedeutet dies, dass in Blut und Urin die Substanzen gesucht und gemessen werden, die beim Verarbeiten und Umwandeln der aufgenommenen Nahrung im Köper entstehen. Dabei handelt es sich um etwa 2500 chemische Verbindungen, meist kleinere Moleküle. Rund ein Dutzend sind heute schon geläufig (etwa Zucker, Cholesterin, ATP oder Harnsäure) und werden zum Teil auch zu diagnostischen Zwecken genutzt.

Mit dem menschlichen Metabolom-Projekt soll nun der Katalog der Stoffwechselsubstanzen komplettiert werden. Dabei werden die gesammelten Messwerte zusammen mit Angaben über den Gesundheitszustand der betreffenden Personen in vernetzten Datenbanken gespeichert. Daraus lassen sich dann Muster erkennen, etwa wie gewisse Stoffwechsel-Profile mit Krankheitsbildern oder Risiken (etwa übergewichtig oder zuckerkrank zu werden) übereinstimmen.

http://www.metabolon.com

Es muss nicht immer Natur pur sein

Falls uns tatsächlich das Zeitalter der Metabolomik bevorsteht und uns aufgrund von Labortest gesagt wird, was gut und gesund ist: Die Firma Nestlé scheint gerüstet zu sein. Seit 1876 das erste Milchpulver auf den Markt gebracht wurde, hat der Nahrungsmittelkonzern die Kunst, Nahrung nach Gusto und Bequemlichkeit ihrer Kunden aufzubereiten, zur Meisterschaft weiter entwickelt. Heute beschäftigt die Firma in Forschung und Entwicklung weltweit 3500 Personen, die über Sicherheit und Bekömmlichkeit der Nestlé-Produkte wachen und sich Neuheiten ausdenken, mit denen weitere Käuferinnen und Käufer verführt werden sollen.

Nichts scheint unmöglich. Um neue artifizielle Gaumenreize zu kreieren, spüren die Nestlé-Forscher die Geschmacksrezeptoren in Gehirn und Eingeweiden auf. Erweist sich ein Gewürz als Allergie erzeugend, wird eben ein Molekül gebaut, das gleich schmeckt, ohne allergen zu sein. Ruft der Markt nach fett-, kalorien- und natriumarmen Yoghurts und Biskuits «kein Problem, die Firma mit dem Vogelnest als Markenzeichen hat sie. Erwarten Sie auch beim Instant-Cappuccino eine üppige Schaumkappe? Nestlé machts möglich mit dem Booster-Konzept: Stickstoff, der eingeschlossen in Mikrokapseln den Schaum schlägt.

Wo bei so viel Technologie der Spass am Essen bleibe? «Unsere Produkte sind qualitativ hochstehend und wohlschmeckend», wir dem Fragenden beschieden. Sie seien zugeschnitten auf die eine spezifische Käuferschaft. Und die scheint offenbar stetig zu wachsen.

http://www.nestle.com

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