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Medizin

Wenn Dr. Alzheimer anklopft

Auf bis zu 30 Prozent steigt zwischen dem 65. und 90. Altersjahr das Risiko, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken. Früh erkannt lässt sich der geistige Leistungsverlust wenigstens eine gewisse Zeit aufhalten. Keine Panik, wenn der Hausarzt Sie – in Ehren ergraut – beim nächsten Checkup unter anderem auch beiläufig nach Problemen mit dem Gedächtnis fragt, einfache Rechenaufgaben stellt oder Sie auffordert, ein Uhren-Ziffernblatt zu zeichnen: Er tut damit nur seine Pflicht. «Es sollte selbstverständlich sein, dass die Hausärzte ihre Patienten nicht nur auf Herz und Nieren prüfen, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Gehirns testen», sagt Prof. Andreas Monsch. Der Neuropsychologe ist Leiter der Memory Clinic am Basler Universitätsspital und wird nicht müde zu erklären, wie wichtig es ist, eine sich ankündigende Alters-Demenz möglichst früh zu erkennen und zu diagnostizieren.

Dabei geht es nicht um Namen, die einem im Moment gerade entfallen sind oder Jahreszahlen und Begebenheiten, die man vergessen hat. Das sind mit zunehmendem Alter normale Erscheinungen. Alarmierend ist hingegen, wenn neue Information nicht mehr gespeichert werden kann. «Natürlich geht das in jungen Jahren besser als mit 50, 60, 70», räumt Monsch ein. «Aber beispielsweise bei einem Alzheimer-Kranken funktionierts gar nicht mehr, er oder sie hat schon vergessen, was vor drei Minuten war.»

Allerdings muss es nicht immer Alzheimer sein. «Man kennt etwa 150 mögliche Ursachen für die Abnahme der Hirnleistung. Einige der kognitiven Störungen sind heilbar, etwa wenn sie die Folge von Vitaminmangel, einer Schilddrüsen-Fehlfunktion oder einer Depression sind.» Aber auch wenn tatsächlich eine Alzheimer-Demenz (AD) hinter dem geistigen Leistungsverlust steckt (und rund die Hälfte der Demenz-Erkrankungen sind von dieser Art), ist es gut, dies früh zu wissen. «Zwar stirbt man an AD nicht direkt, die Krankheit ist aber immer noch nicht heilbar. Sie kann im besten Fall mit Medikamenten während einer gewissen Zeit stabilisiert werden. Geschieht dies im Frühstadium, wenn die kognitiven Fähigkeiten noch intakt sind, so profitiert der Patient weit mehr von dieser Atempause als im Spätstadium», erläutert Prof. Monsch. Die Frühdiagnose von AD erlaubt den Betroffenen zudem, die eigene Zukunft noch mitzugestalten. Auch die Angehörigen sollten möglichst bald wissen, was los ist, nämlich dass der Partner oder die Mutter nicht einfach bösartig geworden, sondern erkrankt ist. «90 Prozent der Angehörigen sind direkt erleichtert, wenn die AD-Diagnose schliesslich feststeht. Dann wissen sie wenigstens, woran sie sind.»

Doch wie erkennt man eine AD unter den 149 übrigen möglichen Gründen für Demenz-Defekte? Das sei tatsächlich nicht einfach, räumt Prof. Monsch ein, denn der Übergang zwischen rein altersbedingter Abnahme der Gedächtnisleistung und krankhafter Veränderung ist fliessend. «Da spielt der Hausarzt eine zentrale Rolle. Ihn suchen die meisten älteren Menschen ohnehin regelmässig auf, und er kann wie oben beschrieben einfache Screening-Tests durchführen.» Diese können erste Verdachtsmomente liefern, die dann von den Fachleuten zum Beispiel in einer Memory Clinic erhärtet – oder im Glücksfall eben auch entkräftet werden. Ausgeklügelte neuropsychologische Untersuchungen bringen an den Tag, ob und wo die Hirnaktivität beeinträchtigt ist. Wird der Schwachpunkt etwa im Schläfenlappen des Gehirns geortet, wo das Gedächtnis verankert ist, tritt die Diagnose «Alzheimer» in den Vordergrund. Sie kann etwa mit bildgebenden Verfahren wie MRI und PET erhärtet werden, die sichtbar machen, ob es in den betreffenden Hirnregionen tatsächlich hapert.

In Entwicklung sind auch biologische Tests, die eine Alzheimer-Erkrankung anzeigen können, noch bevor sich Anzeichen der Demenz ankündigen. Parallel zur Bildung von Alzheimer-Plaques verändert sich nämlich die Protein-Zusammensetzung in der Flüssigkeit (Liquor) des Rückenmarkkanals in charakteristischer Weise. Mit einer Lumbalpunktion können Proben entnommen und verdächtige Veränderungen dieses Protein-Profils im Liquor festgestellt werden. In der Basler Memory Clinic wird gegenwärtig erforscht, wie denn dieses Protein-Profil beim gesunden älteren Menschen aussieht. Zeigt dann die Liquor-Probe eines Patienten bestimmte Abweichungen, ist dies ein Indiz für eine beginnende Alzheimer-Erkrankung. «Damit werden wir vielleicht bald einen Bio-Marker zur Verfügung haben, mit dem einerseits die Krankheit noch im symptomlosen Stadium erkannt und andererseits ein möglicher Behandlungserfolg belegt werden kann», freut sich Prof. Monsch.

Falls denn bald einmal ein erfolgversprechendes Behandlungskonzept zur Verfügung stehen wird. Momentan sieht es noch nicht gut aus in dieser Beziehung. Zwar werden laut Monsch gegenwärtig vier Impfprinzipien erprobt. Sie sollen Immunität verleihen gegenüber dem Protein Beta-Amyloid, das an der Entstehung der Alzheimer-Plaques beteiligt ist. Doch ist noch offen, wann ein wirksamer und verträglicher Impfstoff gegen Alzheimer zur Verfügung stehen wird.

Bis es so weit ist, müssen sich Patienten und Ärzte mit Symptombekämpfung begnügen. Gedächtnistraining in Gruppen kann etwa die noch vorhandenen geistigen Fähigkeiten erhalten helfen. Und wie erwähnt können Medikamente das Fortschreiten der Krankheit vorübergehend stoppen. Zwei unterschiedliche Wirkprinzipien kommen dabei zum Einsatz. Zum einen die so genannten Cholinesterase-Hemmer, mit denen die Verfügbarkeit des Nervenbotenstoffes Acetylcholin in den beschädigten Nervenzellen und damit das Funktionieren der erkrankten Hirnregionen verbessert werden. «Diese Wirkstoffe verschaffen den Erkrankten und deren Angehörigen während bis zu zwei Jahren markant mehr Lebensqualität», weiss Prof. Monsch. Eine zweites Medikament, Memantine, moduliert das Glutamat-Transmitter-System und «wirkt damit wie der Kontrastregler an einem Fernsehgerät».

Nutzen bringen diese Medikamente wie erwähnt vor allem dann, wenn sie im Frühstadium der Krankheit verabreicht werden. Und dies wiederum setzt voraus, dass die Diagnose gestellt wird, möglichst noch bevor Demenz-Symptome aufgetreten sind. Was heisst dies nun für den wachsenden Anteil der über 65jährigen Menschen in unserer Gesellschaft? Sollen sie alle sich vorsorglich auf frühe Alzheimer-Symptome untersuchen lassen? Das wäre wohl nicht realisierbar und würde die Kapazität sämtlicher Memory-Clinics sprengen. Hingegen rät Prof. Monsch wie seine Fachkollegen auch, dass ärztlichen Rat einholen soll, wer an sich oder bei Angehörigen verdächtige Verhaltensänderungen wahrzunehmen glaubt. Das wird wohl einige Überwindung kosten. «Andererseits kann man sich eine Menge Sorgen ersparen, wenn die Untersuchungsresultate dann die Befürchtungen entkräften und eine Entwarnung erlauben», so Prof. Monsch.

Box: Alter ist der zentrale Risikofaktor Die Alzheimer-Krankheit

1906 erstmals vom deutschen Arzt Alois Alzheimer beschrieben, äussert sich als fortschreitender Zerstörungsprozess im Gehirn, einhergehend mit dem allmählichen Verlust sämtlicher geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Der erkrankte Mensch entwickelt sich gleichsam vom Erwachsenen zurück zu einem hilflosen Baby. Schätzungsweise 50 bis 70 Prozent der diagnostizierten Demenzen sind vom Typ Alzheimer. Im Verlauf der Krankheit sterben bis zur Hälfte der Hirnzellen ab, weil sich zwischen ihnen Alzheimer-Plaques (Amyloid) ablagern und sich in den Nervenzellen Protein-Faserbündel bilden. Noch ist nicht klar, ob diese Plaques Auslöser oder Begleiterscheinung der Krankheit sind. Die genaue Ursache für die Alzheimer-Demenz (AD) ist nämlich immer noch im Dunkeln. Sicher ist lediglich: Alter ist der wichtigste Risikofaktor. So liegt die Wahrscheinlichkeit, dass 65-70jährige an AD erkranken, in der Schweiz bei zwei Prozent und steigt mit Erreichen des 95. Alterjahrs auf über 30 Prozent an. Neben dem zunehmenden Alter werden zudem Infektionen, Autoimmunreaktionen, Umweltgifte, genetische und auch soziale Faktoren als Auslöser für AD diskutiert.

(Ungekürzte Fassung des am 9. Dezember 2007 in der NZZaS publizierten Artikels)

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