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Gesellschaft

Was Theologen mit der Genetik am Hut haben

«Gott spielen» oder «Respekt haben vor der Schöpfung»: 
Religion und Gentechnik im Diskurs

Das wachsende Wissen um das menschliche Erbgut und die Möglichkeiten der Biowissenschaften, in das Genom einzugreifen stellen das Menschenbild auf eine neue Basis. Die Gentechnik beschert unserer Gesellschaft neue ethische und rechtliche Herausforderungen. Dabei werden auch religiös-theologische Überlegungen ins Spiel gebracht: «Gott spielen» oder «Respekt haben vor der Schöpfung» ist hier für viele Menschen die Frage. Auf dem Basler Kongress «GenEthik und Religion» suchen Expertinnen und Experten aus christlicher, jüdischer, islamischer und buddhistischer Sicht zusammen mit Humangenetikern, Philosophen und Rechtswissenschaftlern nach Antworten. Die baz liess im Vorfeld des Kongresses den Humangenetiker Hansjakob Müller* und den Theologen Georg Pfleiderer** miteinander die Klingen kreuzen.

Baz: Herr Müller, sind Sie religiös?

Hansjakob Müller: Das ist eine schwierige Frage. Der Kirchenbetrieb im engeren Sinn ist meine Sache nicht. Doch bin in Chur aufgewachsen. In der dortigen Kantonsschule lehrten hervorragende frei denkende Theologen, daher bin ich der Kirche heute noch innerlich verbunden.

Baz: Sie arbeiteten danach ein Berufsleben lang auf dem Gebiet der vorgeburtlichen Diagnostik und haben so mit entschieden über Leben und Tod unzähliger menschlicher Embryonen. Kam Ihnen da die innerliche Verbundenheit mit der Kirche nie in die Quere?

Müller: Eigentlich nicht, denn ich setzte mich von Anfang an mit den damit verbundenen ethischen Fragen auseinander. Schon mit dem Aufkommen der ärztlich unterstützten Fortpflanzungstechniken hatte sich gezeigt, dass einige medizinische Fragestellungen der ethischen Reflexion bedürfen. Das gilt auch für die pränatale Diagnostik. Wir Ärzte versuchten, diese Fragen auch mit Vertretern anderer Disziplinen zu diskutieren. Am Anfang war es schwierig, Theologen dafür zu interessieren. Trotzdem kam ich nie in einen echten Gewissenskonflikt. Wir haben immer hinterfragt, was wir tun, wobei es immer auch die Autonomie der Ratsuchenden zu respektieren galt.

Baz: Ist dies als Konflikt zu verstehen zwischen allgemein gültigen ethischen Überlegungen und der konkreten Lebenssituation der Ratsuchenden?

Müller: Ja, diesbezüglich befindet man sich oft in einem Zwiespalt. Aber eben, als Arzt wird man mit der Realität des Alltags konfrontiert. Ein Ethik-Theoretiker am grünen Tisch, ohne persönlich beteiligt zu sein, kann leicht hohe ethische Maximen definieren. So ist es einfach, im fernen Rom diesbezügliche Anforderungen zu stellen, einfacher, als diese im Beichtstuhl durchzusetzen, wo weitere menschliche Aspekt hinzukommen. So bin ich eher ein Beichtstuhl-Theologe, um bei diesem Bild zu bleiben, oder eben ein Vertreter der angewandten Diskurs-Ethik.

Baz: Herr Pfleiderer, wie ist es überhaupt möglich, sich als Nicht-Mediziner oder Nicht-Naturwissenschaftler ein Bild zu machen von den möglichen Auswirkungen etwa moderner Genforschung auf das Zusammenleben in der menschliche Gesellschaft und daraus ethisch begründete Regeln abzuleiten? Das im Fokus der Ethik stehende Fachgebiet ist sehr komplex, die Fakten sind für den Nicht-Fachmann schwer zu erarbeiten und zu kommunizieren.

Georg Pfleiderer: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Die Musik spielt letztlich immer bei konkreten Einzelfällen, wo es ums Abwägen zwischen Lebensförderung und Lebensschädigung geht, wobei man sich auch noch einig sein muss, was Leben überhaupt ist. Natürlich kann man als Ethiker in der Regel Erfolgschancen von Forschungsprojekten konkret nicht beurteilen. Aber wir müssen versuchen, über die Auswirkungen für das Leben der Menschen und die daraus sich ergebenden grundsätzlichen Fragen des Menschseins zu urteilen.

Baz: Ist die Genforschung das richtige Objekt, um daran die Grundfragen des Menschseins zu erörtern? Wird das Thema Genetik in diesem Zusammenhang nicht massiv überbewertet angesichts des Umstands, dass auch für viele Religionen das Menschsein sich nicht im Genom erschöpft, der Mensch eigentlich Geist ist?

Pfleiderer: Für den Buddhismus mit seiner Wiederverkörperungslehre scheint mir dies zu gelten, da ist der Mensch gewissermassen Geist. Gemäss christlicher Lehre, die darin an das Alte Testament anschliesst, ist der Mensch jedoch ein einmaliges, leibliches Individuum. Aber selbstverständlich fällt es auch dem Christentum nicht ein, den Menschen auf seine Gene zu reduzieren.

Müller: Aus meiner Sicht wird viel zuviel Lärm gemacht um Genetik und Genforschung. Seit es Menschen gibt, haben sie sich Vorstellungen über die Vererbung gemacht. Die ganze Tier- und Pflanzenzucht beruht ja auf dem intuitiven Erkennen von genetischen Gesetzmässigkeiten. Die Gentechnik hat vor etwa dreissig Jahren wegen ihrer Innovationskraft das getan, was alle innovativen Technologien am Anfang tun: Ängste ausgelöst …

Baz: … weil sie hergebrachte Grenzen überschreitet?

Müller: … das wird gerne überzeichnet. Für mich ist die Ethik in der Genforschung ein Bestandteil der Ethik in der Medizin; die meisten Probleme sind nicht so neu. Aber es ist schon so: Die bioethische Diskussion hat sich an der Gentechnik entzündet. So ist ja auch das hübsche Wortspiel «GenEthik» entstanden.

Pfleiderer: Die Diskussion über Ethik in der Genforschung ist schon auch eine Debatte über die Zukunft des Menschsein. Es steht einiges auf dem Spiel. Selbst wenn man sagen muss, dass die Macht der Gene begrenzt ist, geht es doch potentiell um eine Programmierbarkeit des Menschen, die bei anderen Eingriffen ins menschliche Leben nicht erreicht werden kann. Es geht um eine neue Qualität der Verfügungsmöglichkeit des Menschen über sich selbst ….

Baz: … was ist daran so schlecht?

Pfleiderer: … in gewisser Weise nichts, wenn Selbstverfügung mit Selbstverantwortung einhergeht. Ein Problem der Gentechnologie ist jedoch, dass der einzelne Mensch mit ihrer Hilfe nicht nur in gesteigertem Mass über sich selbst verfügt, sondern damit auch Einfluss darauf nimmt, was mit seiner Nachkommenschaft passiert. Beispielsweise darf es nicht geschehen, dass wegen der breiten Verfügbarkeit der Präimplantationsdiagnose eine natürliche, normale Schwangerschaft unter Rechtfertigungsdruck gerät. Dass es gleichsam gesellschaftlich unakzeptierbar wird, ein nicht überprüftes Kind in die Welt zu setzen. Das darf nicht passieren, das wäre reine Eugenik.

Müller: Diese Gefahr sehe ich nicht so drastisch. Denn erstens können alle diese Diagnosetechniken nicht garantieren, dass das untersuchte Kind dann tatsächlich gesund auf die Welt kommt. Damit können bloss einzelne Risiken erkannt oder ausgeschlossen werden. Und Präimplantationsdiagnosen werden sicher nicht so bald zur Routine werden, dazu brauchts eine Befruchtung im Reagenzglas, das ist kein Schleck für das betroffene Paar. Ein ethisches Problem sehe ich eher in den genetischen Tests, die teilweise auch über Internet aggressiv vermarktet werden. Da stellt sich schon die Frage, wie ein Mensch über seine genetischen Daten verfügen können soll, die vorerst einmal gar nichts aussagen, die auch der Experte nur mit Schwierigkeit interpretieren kann. Da ist die Selbstverfügbarkeit sicher nicht gegeben.

Pfleiderer: Im Prinzip könnte es ja jedem selber überlassen bleiben, ob er solche Tests durchführen lassen will oder nicht. Aber es gibt eine ganze Reihe sozialethischer (und zum Beispiel auch versicherungsrechtlicher) Überlegungen. Und der Umgang mit dem eigenen Leben kann vom Resultat solcher Tests sehr tief betroffen sein. Wenn man nun plötzlich relativ genau wüsste, wie hoch das Risiko ist, an einem gewissen Leiden zu erkranken, so wäre dies schon eine einschneidende Information, würde die eigene Lebensplanung und auch die Beziehung zu Lebenspartnern schwer tangieren. Zumindest muss das Recht auf Nichtwissen(wollen) garantiert sein.

Müller: Man darf die diesbezüglichen Möglichkeiten nicht überschätzen. Schliesslich verursacht die Gentechnik keine neuen Erbkrankheiten, die waren schon immer da. Die hat früher der gute alte Familienarzt intuitiv erfasst. Den gibt es heute nur noch selten, Gentests können ich auch nicht ersetzen. Aber deswegen haben wir heute nicht mehr krank machende Gene als früher. Zudem wissen wir schon seit jeher, dass nicht nur Gene für Gesundheit und Krankheit von Bedeutung sind, sondern viele andere Dinge wie Lebensstil und anderes mehr.

Pfleiderer: Ich finde, es macht schon einen Unterschied, ob man Computerausdrucke mit dem eigenen Genprofil per Post zugeschickt bekommt oder vom vertrauten Hausarzt aufgrund dessen intuitiver Erfahrung über gewisse genetisch bedingte Krankheitsrisiken aufgeklärt wird. Mit dem Gentest entsteht der Anschein der Berechenbarkeit von Lebensprognosen, und das ist unter dem Strich schon eine neue Qualität. Damit will ich nicht sagen, dass Gentechnik schlechterdings böse Technik ist, das kann man auch von keiner anderen Technik sagen. Das Problem liegt bei der Anwendung, und dazu braucht es eben ethische Leitplanken.

Baz: GenEthik und Religion steht als Titel über der Veranstaltung vom kommenden 22./23. Mai. Inwiefern können jedoch die Weltreligionen, die ihrerseits für ganz unterschiedliche Wert- und Moralvorstellungen stehen, beim Formulieren allgemein gültiger ethischer Leitplanken für die Gentechnik hilfreich sein?

Pfleiderer: Es kann nicht um den Entwurf eines religiösen Welt-Ethos für die Gentechnik gehen. Das wäre aussichtslos, man sieht das schon innerhalb des Christentums, wo die Werte-Vorstellungen zwischen verschiedenen Konfessionen und auch innerhalb derselben Glaubensrichtung durchaus weit auseinander gehen können. Aber Religion prägt nun mal die persönliche und auch gesellschaftliche Einstellung zu solchen Themen. Das Einbinden der Religionen in die ethische Diskussion über die Gentechnik soll helfen, die weltanschaulichen religiösen Implikationen auszuleuchten, die dabei immer schon im Spiel waren. Die Absicht ist, zu analysieren und aufzuklären, nicht normative Botschaften durchzusetzen.

Müller: Es ist auch für uns Genetiker wichtig, dass sich die Religionen austauschen, ihre Ideen und Gedanken über bioethische Probleme einbringen. Denn wir Mediziner sind immer häufiger konfrontiert mit Menschen aus anderen Kulturen. Da ist es wertvoll wenn wir auch den religiösen Hintergrund kennen, auf dem das Denken und Handeln dieser Menschen beruht.

Gesprächsleitung Ulrich Goetz

Box: GenEthik und Religion

Öffentlicher Dialog über Humane Gentechnologie und Bioethik im Spiegel der Religionen. Eine Gemeinschaftsveranstaltung der Theologischen Fakultät der Universität Basel, der «Science and Ethics Advisory Group» (SEAG) der F. Hoffmann-La Roche AG und des S. Karger Verlags.

22./23. Mai jeweils 9 bis 19.15 Uhr. Am 22. Mai in der Conference Hall, Halle 5, Messe Basel, Eingang Riehenring 118. Am 23. Mai: Grosser Hörsaal Departement für Organische Chemie, St.Johanns-Ring 19.

Anmeldung und Programm unter www.genethikundreligion.unibas.ch oder bei Prof. Dr. Georg Pfleiderer, Missionsstr. 17a, 4055 Basel.

* Hansjakob Müller ist emeritierter Professor für Medizinische Genetik an der Universität Basel und ehemaliger Leiter der Abteilung für medizinische Genetik. Er war Mitglied von ethischen Kommissionen des Europarates und der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Er gehört der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin an. Prof. Müller wirkt an der Tagung «GenEthik und Religion» an der Podiumsdiskussion mit.

** Georg Pfleiderer ist Professor für Systematische Theologie/Ethik an der Universität Basel. Er forscht unter anderem über theologische Grundlagenfragen der Bioethik und ist Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für Biotechnologie im Ausserhumanen Bereich. Prof. Pfleiderer ist wissenschaftlicher Leiter der Tagung «GenEthik und Religion».

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