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Physik

Der Kompass des Kolumbus schreibt Geschichte

Wie die Logbücher früher Seefahrer das Phänomen des Erdmagnetismus erklären helfen

Das Erdmagnetfeld schwächt sich rasant ab und könnte sich schon in 1500 Jahren umpolen. Dabei hatte zuvor während mindestens 400 Jahren Ruhe geherrscht. Dies konnten britische Wissenschaftler anhand alter Schiffs-Logbücher nachweisen. Kolumbus und Konsorten hatten damals Glück gehabt. Denn als sich die europäischen Seefahrer daran machten, fremde Kontinente zu erkunden und zu erobern, war die Welt noch in Ordnung – zumindest was das Magnetfeld der Erde angeht. Kaum auszudenken, wie die Weltgeschichte verlaufen wäre, wenn das Erdmagnetfeld 2000 Jahre früher begonnen hätte, schlapp zu machen. Kolumbus, Vasco da Gama James Cook und wie sie alle hiessen hätten ohne Unterstützung durch den Magnetkompass praktisch orientierungslos auf Entdeckungsfahrt gehen müssen. Und auch die Seeschlachten vom 16. bis ins 19. Jahrhundert wären ohne Kompassnadel so nicht geschlagen worden. Die politische Weltkarte sähe heute sicher anders aus, ob besser, sei dahingestellt.

Alles dank dem immer noch intakten Erdmagnetfeld. Doch so wie Wissenschaftler es sehen, wird sich dieses möglicherweise schon innert 1500 Jahren total verschwinden und sogar umpolen. Wo sich heute der Nordpol befindet, wird der Südpol sein und umgekehrt. Während dieser Wendezeit wird die Erde mehr oder weniger ungeschützt den radioaktiven Partikeln des Sonnenwinds ausgesetzt sein. Kommunikation mit Radiowellen und Standortbestimmung mit GPS werden massiv gestört werden (soweit es dannzumal so was überhaupt noch gibt). Die intensive kosmische Strahlung könnte, so wird befürchtet, die biologische Evolution zum Entgleisen bringen. Und eben, der Magnetkompass wird während der Wende nicht zu gebrauchen sein – und die Nadel hinterher gen Süden zeigen.

Das alles hat die Erde seit ihrer Entstehung schon Hunderte Male durchgemacht. In den vergangenen 100 Millionen Jahren hat sich die Ausrichtung des Magnetfelds etwa alle 250 000 Jahre umgekehrt, wie aus paläomagnetischen Daten von Vulkangesteinen herausgelesen werden kann. In eisenhaltiger Lava wird die Magnetfeldrichtung nämlich jeweils beim Erstarren eingefroren, sie kann daher heute noch bestimmt werden. Daher weiss man auch, dass die Erde das letzte Mal vor 780 000 Jahren umgepolt wurde, und wir heute somit überfällig sind.

Dieser Ansicht sind zumindest diejenigen unter den Geophysikern, die sich auf die Beobachtung des Erdmagnetfelds spezialisiert haben. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich die Abschwächung des Schutzschildes augenfällig von 1,6 auf fünf Prozent pro Jahrhundert beschleunigt, das Tempo gegenüber dem Durchschnitt der vergangenen 2500 Jahre habe sich verdreifacht, monieren sie. Wenn das so weiter geht, sind wir also in 1500 bis 2000 Jahren beim Nullpunkt angelangt.

Allerdings ist es erst seit etwa 1840 möglich, die Stärke des Erdmagnetfeldes direkt und genau zu messen. Carl Friedrich Gauss war es, der in Göttingen hiezu eine spezielle Apparatur entwickelt und auch die ersten weltweiten und simultanen Magnetfeldmessungen organisiert hatte. Für die Zeit davor ist man auf Schätzungen angewiesen, die sich auf magnetischen Messungen in Gesteinen, Sedimenten und gebrannten Tonwaren stützen. Diese geben zwar vorerst bloss Auskunft über die Richtung des Magnetfeldes, das in Urzeiten einmal auf die Proben einwirkte. Daraus lassen sich aber auch Informationen über die Magnetfeld-Stärke gewinnen.

Zur Erklärung muss man zum Ursprung des Magnetfeldes zurück kehren, ins Erdinnere. Im Erdkern und im Erdmantel zirkulieren flüssige Eisenmassen unter dem Einfluss von Temperaturunterschieden sowie der Erddrehung als schraubenförmige Strömung. Durch diesen Kreislauf leitfähiger Schmelze wird ein elektrischer Strom induziert, von dem wiederum das Erdmagnetfeld ausgeht, man spricht auch von einem Geodynamo. Dieser hat das Bestreben, die ursprüngliche Richtung der Rotationsachse möglichst beizubehalten. Daher liegen die magnetischen Pole auch mehr oder weniger in der Nähe der geografischen Pole.

Aber sie wandern. Rund 2000 Kilometer sind magnetische und geografische Pole inzwischen voneinander entfernt. Geophysiker machen Störungen im Konvektionskreislauf der flüssigen Eisenmassen im Erdinnern, für das Phänomen verantwortlich. Ein grosser Wirbel bewegt sich gegenwärtig in Richtung Südpol und wird verantwortlich gemacht für die beobachtete Abschwächung des Erdmagnetfeldes – und für die Wanderbewegung der magnetischen Pole. Zwischen Magnetfeld-Ausrichtung und –Stärke scheint also ein Zusammenhang zu bestehen.

Womit wir wieder bei den Seefahrern wären. Sie alle mussten vor dem GPS-Zeitalter ihren Kurs ja nach der Kompassnadel richten. Da diese aber wie erwähnt nie und nirgends exakt gen geografischen Norden zeigt, wurde (und wird immer noch) zur Kursberechnung ein Korrekturfaktor eingebaut: die Missweisung oder Deklination, entspricht dem Winkel zwischen geografischem und magnetischem Nordpol. Dieser Wert ist heute auf jeder Seekarte vermerkt, aber vor 400 Jahren war solcher Luxus selten. Daher bestimmte jeder Navigator hin und wieder die Missweisung fürs Seegebiet, in dem er sich gerade befand (vgl. Box) und trug diesen Wert getreulich ins Logbuch ein, zuhanden der Nachwelt.

Eine riesige Datenmenge hat sich so im Laufe der Jahrhunderte angesammelt. Das Team um den britischen Geophysiker David Gubbins griff für seine Arbeit auf über 150 000 Deklinations-Messwerte zurück, die über Jahrhunderte in allen Weltmeeren in die Schiffs-Logbücher eingetragen worden waren. Und stellte Interessantes fest. In den Jahren 1590 bis 1840 veränderte sich die Missweisung an einem gegebenen Ort nur geringfügig, der Winkel, den die verschiedenen Navigatoren zwischen geografischem und magnetischem Nordpol gemessen hatten, blieb in all den Jahrhunderten ziemlich konstant, die magnetischen Pole verharrten vor Ort.

Daraus kann man schliessen, dass auch die das Magnetfeld speisende Konvektionsrotation in diesem Zeitraum störungsfrei ablief, keine Wirbel aus Eisenschmelze gen Süden zogen und damit die Stärke des Magnetfeldes schwächten, postuliert nun David Gubbins. Mit anderen Worten: Die Magnetfeldstärke war in diesem Zeitraum weltweit ziemlich konstant, erst die ab Mitte des 19. Jahrhunderts beobachtete Wirbelbildung führte zum bis heute anhaltenden Niedergang.

Was jetzt so einfach klingt, haben Gubbins und seine Kollegen* mittels komplizierter statistischen Berechnungen belegt und in der heutigen Ausgabe von «Science» publiziert. Und all die rauen Seebären vergangener Zeiten wären sicher stolz, wenn sie wüssten, dass ihre Logbücher zu wissenschaftlichen Ehren gekommen sind. Zu Recht.

* Einer der Koautoren dieser Arbeit, Chris Finlay, arbeitet jetzt übrigens an der ETHZ bei Andrew Jackson. Dieser war zu Jahresbeginn zum Professor für Geophysik berufen worden und hatte seinerzeit mitgeholfen, die im Artikel erwähnten 150 000 Logbucheinträge zusammen zu tragen. Auch die Welt der Erdmagnetfeld-Spezialisten ist eben klein.

Immer der Nadel nach

Der Kompass ist bereits im Jahr 27 im chinesischen Kaiserreich erfunden worden. Das Gerät bestand anfänglich aus einem Magneteisenstein, der an einem Faden aufgehängt war. Daraus entstand im Laufe der Jahrhunderte der noch heute gebräuchliche Kompass mit Magnetnadel, Gehäuse und 360 Grad-Skala. Erst 1190 wurde der Kompass von den Arabern nach Europa gebracht.

Das Erdmagnetfeld lieferte bis in die jüngste Zeit die wichtigste Orientierungshilfe für Seefahrer. Zwar zeigt die Kompassnadel praktisch nie exakt gen Norden, doch lässt sich die sogenannte Missweisung für jeden gegebenen Ort und Zeitpunkt leicht messen. Dazu brauchts bloss einen Sonnenkompass, eine Uhr, gutes Wetter und die Erkenntnis, dass die Sonne jeweils am Mittag im Süden steht. Der geografische Nordpol liegt dann exakt gegenüber. Und die Differenz zum am Kompass abzulesenden Norden ist dann eben die Missweisung oder Deklination. Seefahrer haben solche Messungen über Jahrhunderte routinemässig durchgeführt und damit reiches Datenmaterial zum Zustand des Erdmagnetfeldes in ihrer Zeit überliefert.

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