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Gesellschaft

Weshalb es harzt mit der Studie über die Fertilität junger Schweizer Männer

«Die Freundin hat mir die Teilnahme verboten»

Hormonaktive Chemikalien, die etwa als Folge menschlicher Aktivitäten in die Umwelt gelangen, könnten schuld sein an der abnehmenden Zeugungsfähigkeit der Männer, so wird befürchtet. Nun soll eine Studie Klarheit schaffen. Doch freiwillige Teilnehmer machen sich rar. Die Studie über die Fruchtbarkeit junger Schweizer Männer, die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes NFP50 (vgl. Box) gestartet wurde, kommt nicht wie ursprünglich geplant vom Fleck. Sie sollte klären, wie es bestellt ist um die Zeugungsfähigkeit der jungen Schweizer Männer. In mehreren Industrieländern und damit auch in der Schweiz wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine Verschlechterung der Spermaqualität beobachtet. Am Waadtländer Universitätsspital CHUV durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass sich die Spermienzahl pro Milliliter Ejakulat bei Männern des Jahrgangs 1970 auf 20 Millionen halbiert hat – verglichen mit den 1950er Jahrgängen. Parallel zu dieser Entwicklung stellten die Urologen auch eine Zunahme von Hodenkrebs und genitalen Missbildungen fest.

Als Auslöser dieser auch bereits im Tierreich zu beobachtenden Phänomene stehen so genannte hormonaktive Substanzen in Verdacht. Sind schwangere Frauen und ungeborene Kinder solchen wie Hormone wirkenden Chemikalien ausgesetzt, kann die Ausbildung der Geschlechtsorgane gestört werden – so die These. Damit lag es auf der Hand, im Rahmen des NFP50 auch der Frage nachzugehen, ob bei Schweizer Männern punkto Spermienzahl und –qualität geografische Schwankungen auszumachen sind und wenn ja: was die Ursachen sein könnten.

Erst 635 Teilnehmer

Geplant war, bis Mitte 2007 in den Rekrutierungszentren von Lausanne und Rüti 3000 Freiwillige für die Teilnahme an der Studie zu gewinnen. Den angehenden Rekruten wird vier Wochen vor dem dreitägigen Aushebungs-Marathon ein Merkblatt mit Fragebögen nach Hause geschickt, die sie und ihre Eltern von der Dringlichkeit des Forschungsprojekts überzeugen sollen. Doch die jungen Leute zeigen bis jetzt wenig Lust, sich der Prozedur – sie umfasst eine gründliche Untersuchung der Geschlechtsorgane und verlangt den Probanden auch Blut-, Urin und Spermienproben ab – zu unterziehen. «Die Freundin hat mir die Teilnahme verboten», «Der Fragebogen war mir zu kompliziert», «Das interessiert mich nicht» und «Ich will so bald als möglich hier raus»: So etwa begründeten die jungen Leute im Rekrutierungszentrum Rüti gegenüber der baz ihre Scheu, sich (auch noch) in den Dienst der Wissenschaft zu stellen.

Tatsächlich konnten bis jetzt insgesamt erst 635 Studienteilnehmer gewonnen werden, bestätigt Michel Crausaz. Er ist Biologe und betreut im Auftrag der Lausanner Stiftung FABER (Fondation pour l’Andrologie, la Biologie et l’Endocrinologie de la Reproduction) die Fertilitätsstudie. «Wir mussten uns schon aus Kostengründen auf Lausanne und Rüti beschränken», sagt Michel Crausaz. Er hofft aber, mit der Zeit noch in weiteren Rekrutierungszentren aktiv zu werden und so bis Ende 2009 die erforderlichen 3000 Probanden beieinander zu haben. «Das wird sicher genügen, um einen zuverlässigen Überblick über die Situation in unserem Lande zu erhalten.» Crausaz will dann die Studien-Teilnehmer nach zehn Jahren nochmals kontaktieren und sie zu ihrer familiären Situation befragen, sprich, ob sie inzwischen Vater geworden sind oder nicht.

Es melden sich vor allem Diensttaugliche

Doch momentan befinden wir uns immer noch in Rüti, im Büro von Andres Kunz, dem Chefarzt des Rekrutierungszentrums. Er findet das Studienprojekt eine gute Sache. «Ich darf aber bei der Begrüssung der jungen Männer in Rüti bloss informieren und daran erinnern, dass es diese Studie gibt. Eine Empfehlung gebe ich keine ab, um auch nur den Anschein eines Beeinflussungsversuches zu vermeiden», sagt er. Freiwilligkeit sowie Anonymität müssten garantiert sein und sämtliche Untersuchungen ausserhalb des militärischen Dienstbetriebes durchgeführt werden. Eine persönliche Beobachtung will er mir aber doch nicht vorenthalten: «Es melden sich meist Probanden, die hinterher als diensttauglich beurteilt werden, von den nicht für den Militärdienst geeigneten jungen Männern – immerhin ein Drittel – hat sich bis jetzt erst einer gemeldet.» Im Klartext: Untersucht wird mit der Studie in erster Linie die Zeugungsfähigkeit junger, diensttauglicher und somit gesunder Schweizer Bürger. Wie weit diese Auswahl repräsentativ ist für alle in der Schweiz wohnenden Männer, ist zumindest zu hinterfragen.

«… wenn ich schon hier bin …»

Szenenwechsel ins Wartezimmer der «Praxis am Bahnhof» in Rüti. Hier wartet bereits P.S. auf seinen Termin bei Dr. Christoph Zeller. Dieser wird die für die Studie notwendigen Untersuchungen vornehmen, die Geschlechtsorgane auf Missbildungen untersuchen und von den Hoden ein Ultraschallbild anfertigen. Zuvor war P.S. eine Blutprobe entnommen worden und er hatte auf der Toilette seine Urin- und Spermienproben produziert. Letztere unter Zuhilfenahme von «Literatur», die ihm die Praxishilfe diskret ins stille Kämmerchen mitgab. Das Ejakulat wird gleich vor Ort mit modernsten Methoden auf seine Qualität untersucht, Mobilität und Zahl der Spermien pro Milliliter werden ermittelt. Sämtliche Proben werden tiefgefroren, damit sie später wenn nötig auf hormonaktive Chemikalien getestet werden können.

Ob ihm die Prozedur nicht etwas peinlich sei? Einen begeisterten Eindruck macht P.S. nicht gerade. Aber «wenn ich schon hier in Rüti bin, kann ich ja auch diesen Test noch machen», meint er. Der junge Mann scheint auch sonst nicht der Typ zu sein, der sich leicht verunsichern lässt. Die Lehre als Optiker und ein Jahr Berufsleben hat er bereits gemeistert, auf die Rekrutenschule freut er sich, er will durchdienen und fasst gar ins Auge, Berufsoffizier zu werden: «Das wäre doch nochmals etwas ganz Neues», meint er.

Es kommen bloss vier

Den ganzen Mittwochnachmittag hat Christoph Zeller für die Studien-Teilnehmer reserviert, die nach der Rekrutierung in seine Praxis kommen wollen, oder auch nicht. Zwar wird eigentlich erwartet, dass sich die Teilnahmewilligen mittels Rücksendung des Fragebogens anmelden, damit in der Praxis am Bahnhof schon mal der Papierkram und die Proberöhrchen vorbereitet werden können. Aber oft bekommen die jungen Leute im letzten Moment doch noch kalte Füsse und tauchen nicht auf, erzählt Dr. Zeller. «Andererseits hat ein angemeldeter Proband kürzlich spontan gleich noch zehn Kollegen mitgeschleppt, das hat uns einige Hektik beschert.»

Und, was haben Dr. Zellers Untersuchungen bis jetzt ergeben? «Wirklich schlimme Fälle, wie etwa Krebsgeschwüre, kamen nicht zum Vorschein bei den über 50 Ultraschallaufnahmen, die ich bis jetzt gemacht habe», sagt der Arzt. Hingegen seien gelegentlich Varikozelen (Krampfadern im Hodensack) zu sehen, auch die Spermienqualität lasse bisweilen zu wünschen übrig. Stösst Christoph Zeller auf Befunde, hinter denen krankhafte Veränderungen stecken könnten, «benachrichtigen wir natürlich die Betroffenen und raten ihnen, ihren Hausarzt aufzusuchen». Die jungen Männer (und womöglich auch angehenden Väter), die in die Rekrutierungszentren Lausanne und Rüti aufgeboten werden, haben also die Gelegenheit, kostenlos eine Expertise über den Zustand ihrer Reproduktionsorgane zu erhalten – wenn sie es denn wissen wollen. Am Tag unseres Besuchs in Rüti waren dies vier der 140 zur Rekrutierung Aufgebotenen.

Box: Hormone in der Umwelt

Sie sind allgegenwärtig, machen Wasserschnecken zu Zwittern und – so wird befürchtet – Männer unfruchtbar, die so genannten hormonaktiven Substanzen. Darunter werden Chemikalien verstanden, die das Hormonsystem des Menschen schon in geringsten (subtoxischen) Konzentrationen durcheinander bringen können. Hormonaktive Chemikalien gelangen teils als Folge menschlicher Aktivitäten in die Umwelt oder entstehen auch in der freien Natur. Den Hauptharst bilden jedoch Chemikalien, die in der Industriegesellschaft eine wichtige Rolle spielen, etwa Kunststoff-Zusätze, Düngemittel und Pestizide, UV-Filter in Textilien und Kosmetika, Flammschutz-Chemikalien bis hin zu den organischen Zinn-Verbindungen, die als Holzschutzmittel, Schiffsanstrich oder Wurmmittel in der Geflügelzucht verwendet werden. Hinzu kommen Dioxin-verwandte Substanzen aus Verbrennungsgasen oder weibliche Sexualhormone im Abwasser (Abbauprodukte der Antibaby-Pille), insgesamt ein Horror-Mix, der erwiesenermassen mit Schuld hat am Artensterben und möglicherweise eben auch die Fortpflanzungsfähigkeit des Mannes kompromittiert.

Jedenfalls zeigte sich auch der Bundesrat alarmiert, als er vor sieben Jahren das Nationale Forschungsprogramm «Hormonaktive Stoffe» (NFP50) starten liess. Der Katalog der in Angriff genommenen Studien ist beeindruckend. Untersucht wurden die Aktivitäten hormonaktiver Verbindungen in der Luft, im Wasser, in Fischen und Pflanzen – nicht weniger als 30 Forschungsprojekte wurden initiiert. Kommenden Juni will Felix R. Althaus, der Präsident der Leitungsgruppe des NFP50, den Schlussbericht vorlegen. «Wir schliessen ab, obwohl zwei Projekte wegen äusseren Umständen in Verzug geraten sind», bestätigt der Professor für Veterinärpharmakologie an der Universität Zürich im Gespräch mit der baz. Und ja, das Budget von 15 Millionen Franken werde garantiert eingehalten, versichert Prof. Althaus.

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