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Chemie

Wovon die Alchimisten träumten

Transmutation, die Umwandlung von einem Element ins andere, ist einfacher geworden. Am Paul Scherrer-Institut in Villigen wurde dafür eine speziell ergiebige Neutronenquelle entwickelt. Damit könnte theoretisch auch das Atommüll-Problem entschärft werden. Die Alchimisten hätten ihre helle Freude gehabt am Experiment, das den Physikern am schweizerischen Paul Scherrer Institut (PSI) kürzlich geglückt ist: Der alte Traum, aus minderwertigem Material Gold herzustellen, ist jetzt leichter zu verwirklichen als auch schon. Mit chemischen Methoden hatten die Alchimisten bis in die Neuzeit hinein versucht, ihr Ziel zu erreichen. Doch erst die Kernphysiker zeigten, wie man es richtig macht, nämlich durchs Beschiessen von Atomkernen mit Neutronen, den ungeladenen Kernteilchen. Damit lassen sich Elemente transmutieren, umwandeln in einen anderen Stoff. Lohnen würde es sich zwar nicht, auf diesem Weg Edelmetalle zu kreieren. Doch dank der rekordverdächtigen Neutronenquelle, die dem PSI seit Ende 2006 zur Verfügung steht, ginge es zumindest einfacher.

«Megapie» heisst das von neun europäischen Forschungsinstitutionen unterstützte Versuchsprojekt, das die für Transmutationen notwendigen Neutronen sprudeln lässt. Was man mit «Riesentorte» übersetzen möchte, steht in Wirklichkeit für «Megawatt Pilot Experiment» und kommt der Sache schon näher. Denn ungefähr ein Megawatt beträgt die Protonenstrahlleistung, mit der das Target beschossen wird, das Zielmaterial, aus dem dann die begehrten Neutronen herausgeschleudert werden. Dieser Umweg ist notwendig, weil sich Neutronen – da definitionsgemäss ohne Ladung – nicht auf die vom Experimentator gewünschte Energie beschleunigen lassen. Anders die positiv geladenen Kernteilchen, die Protonen (Wasserstoffkerne), die sich im Ringzyklotron des PSI schön auf Touren bringen lassen. Daraus resultiere die weltweit intensivste Protonenstrahlleistung, nimmt das im aargauischen Villigen beheimatete Institut für sich in Anspruch. Das sei etwa, als ob 500 Herdplatten zusammengeschaltet würden, um eine Tasse Tee zu brauen.

Protonen auf Trab bringen ist also schon lange eine Spezialität des PSI. Aber auch in der Umwandlung von Protonen- in Neutronenstrahlung hat man viel Erfahrung, und ist jetzt eben im Rahmen des Megapie-Projekts neue Wege gegangen. Als Target, das unter dem Protonenbeschuss die begehrten Neutronen liefert, wird normalerweise eine Scheibe Blei verwendet. «Berechnungen haben aber ergeben, dass die Neutronenausbeute viel höher sein könnte, wenn flüssiges Metall als Target benutzt wird», erläutert PSI-Physiker Werner Wagner gegenüber der baz.

Genau diese Hypothese wurde mit dem Megapie-Projekt überprüft – und bestätigt. Denn als die Experimentatoren ein Gemisch aus flüssigem Blei und Wismut als Zielscheibe für den Protonenstrahl aufstellten, schwoll der Neutronenfluss um 80 Prozent an, noch stärker, als aufgrund der Berechnungen erwartet werden durfte. «Ein einzigartiges Resultat, viele Gratulationen von Wissenschaftlern aus aller Welt trafen in Villigen ein», vermeldet das PSI nicht ohne Stolz.

Laut Werner Wagner ist der Effekt damit zu erklären, dass die Metallatome in der Schmelze viel näher beieinander sitzen als im festen kristallinen Zustand. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Protonen ihr Ziel finden. Zudem wir die Neutronenausbeute aber auch durch die Art der Kühlung verbessert. Nur etwa fünf der 920 Liter Metallschmelze befinden sich zu jedem gegebenen Zeitpunkt unter Protonenbeschuss. Der Rest zirkuliert bei 225 Grad im geschlossenen System und transportiert so die durch den Beschuss frei gesetzte Wärme ab. Auf störende Kühlrohre kann so verzichtet werden.

Was dem Laien bloss als interessante Spielerei unter Physikern erscheinen mag, ist natürlich viel mehr. Denn effiziente und für Mensch sowie Umwelt ungefährliche Neutronenquellen sind für Wissenschaftler aller Disziplinen wichtige Instrumente. Auch wenn die Herstellung von Gold nicht im Vordergrund steht, so wird doch die Möglichkeit breit genutzt, mit Hilfe von Neutronentstrahlen beinahe nach Belieben ein Element ins andere umzuwandeln. Oder radioaktive Isotope herzustellen, die dann ihrerseits als Markiersubstanzen dienen in Medizin und Technik. Ein weiteres Anwendungsgebiet könnte sodann eine ergiebige Neutronenquelle auch in der Entschärfung von langlebigem Strahlenmüll finden.

Atommüll mit Neutronenstrahlen «verbrennen»

Die mit dem Megapie-Projekt gewonnenen Erkenntnisse könnten unter anderem auch helfen, das Atommüll-Problem zu entschärfen. Indem etwa langlebige Spaltprodukte aus herkömmlichen Atomreaktoren in stabile Isotope oder solche mit kurzer Halbwertszeit umgewandelt werden. So wandelt sich beispielsweise das radioaktive Jod-129 unter Aufnahme eines Neutrons ins stabile Edelgas Xenon, Technetium-99 in nicht radioaktives Ruthenium, um nur zwei Beispiele zu nennen. Derart behandelter Atommüll würde bereits nach 500 Jahren nicht stärker strahlen als gewöhnliche Steinkohle.

Solche Transmutationsprozesse könnten in sogenannten Hybrid-Reaktoren durchgeführt werden, die Thorium als Brut- und Brennstoff nutzen und bei denen die Kettenreaktion von aussen – eben mittels Neutronenquellen – in Gang gehalten wird. Ein solches Konzept ermöglichte den Betrieb von Kernreaktoren, die einerseits nicht «durchbrennen», andererseits eben dem Strahlenabfall das Leben verkürzen können. Der Hybridreaktor steht allerdings erst auf dem Papier. Sollte er jedoch einmal gebaut werden, könnten die mit dem Megapie-Projekt gewonnenen Erkenntnisse sehr wohl gelegen kommen.

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