Kategorien
Gesundheitspolitik

Wenn Computer «Dökterlis» spielen

Telemedizin – unpersönlicher, billiger, besser? Eine Podiumsdiskussion suchte Antworten

Telemedizin heisst das neue Zauberwort im Gesundheitswesen. Wird die (relativ) neue Technologie die Erwartungen erfüllen, zur Qualitätssicherung beitragen und erst noch helfen, Kosten einzusparen? Die Grundsatzdiskussion ist eröffnet. Haben Sie neulich mal Ihren Hausarzt telefonisch um Rat gefragt, bei «Medgate» angerufen oder medizinische Informationen zu Ihrem Krankheitsbild aus dem Internet heruntergeladen? Dann haben Sie bereits eine telemedizinische Dienstleistung in Anspruch genommen.

Unter Telemedizin wird nämlich jede Form von Behandlung über Distanz verstanden. Dabei werden Daten und Informationen nicht im persönlichen Kontakt ausgetauscht, sondern über elektronische Medien (E-Mail) oder herkömmliche Kommunikationskanäle (Post, Telefon, Fax) übermittelt. Dieser Tele-Informationsaustausch kann einerseits zwischen Arzt und Patient, aber auch zwischen medizinischen Fachleuten stattfinden. Heute schon ist es keine Seltenheit, dass der Arzt einen nicht ganz eindeutigen Befund, das Bild eines Abstrichs oder einer Gewebeprobe, einem Kollegen per E-Mail zur Begutachtung sendet.

All dies ist erst der Anfang einer Entwicklung, die wohl nicht aufzuhalten ist. Wohin der Weg führen könnte, versuchte das «Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung» mit einem Podiumsgespräch auszuleuchten. Was heute alles schon möglich ist und gemacht wird, schilderte Robert Sader, der an verschiedenen Kliniken für Wiederherstellende Chirurgie arbeitet. Sein Patient litt an einer Kiefer-Fehlstellung, der Unterkiefer stand weit vor, «sodass es ihm reinregnete». Früher hätte der arme Kerl eine zweijährige Leidens- und Vorbereitungszeit durchmachen, Gebisskorrekturen über sich ergehen lassen müssen, bevor es dann zur entscheidenden Operation – mit ästhetisch ungewissem Ausgang – gekommen wäre.

Roboter-Operationen

Heute kann der Eingriff erst mal im Computer aufgrund der eingespiesenen Röntgenbilder simuliert und mehrfach durchgespielt werden. Die dreidimensionale Bildgebung hilft abzuschätzen, wie das neue Gesicht etwa aussehen könnte oder sollte, und besonders beeindruckend: Fachkollegen und der Betroffene selber können dank Computer-Vernetzung ihre Meinung und ihr Wissen am dreidimensionalen Modell auch aus der Ferne einbringen. Dieses Tele-Konsilium kann dann auch die eigentliche Operation begleiten, am Bildschirm sieht der Operateur, welchen Schnitt der Kollege in der fernen Hauptstadt jetzt setzen würde.

Das geht so weit, dass die Operation theoretisch auch von einem Roboter ausgeführt werden könnte. So was wurde 2001 tatsächlich mit einer Patientin angestellt, die in Strassburg an der Gallenblase operiert wurde: Die Chirurgen sassen in New York am Computer, den Routineeingriff führte ein Roboter vor Ort durch. «Das ist natürlich Unsinn», meint Robert Sader dazu. Den Chirurgen im Operationssaal könne man sich trotz Cyber-Tech nicht ersparen, «es könnte ja Komplikationen geben».

Hohe Erwartungen

Ohnehin hat dieses spektakuläre Beispiel wenig zu tun mit dem heutigen telemedizinischen Alltag, das zeigte die Podiumsdiskussion im Basler Zentrum für Lehre und Forschung (ZLF). Dabei erweckt das neue Instrument durchaus hohe Erwartungen bei allen Mitspielern im Gesundheitswesen. Patienten erhoffen sich mehr Selbstbestimmung und – besonders wenn sie fern von medizinischen Zentren zuhause sind – besseren Zugang zu den Angeboten der Spitzenmedizin. Ärzte schätzen den schnellen Informationsaustausch mit Kollegen. Und die Krankenkassen rechnen mit Einsparungen, wenn etwa dank Telemedizin unnötige Arztbesuche oder Spitaleinweisungen vermieden werden können, Mehrfachuntersuchungen die Ausnahme werden, weil die Krankengeschichten allesamt im Internet abfragbar sind.

Gerade da legte jedoch der Ethiker sein erstes Aber ein. So monierte Markus Zimmermann vom Luzerner Institut für Sozialethik etwa das Problem des Datenschutzes, und zwar in zweifacher Hinsicht: «Mängel beim Datenschutz gefährden die Privatsphäre, allfällige Qualitätsmängel der gespeicherten Daten die Gesundheit der Patienten», mahnte er. Daneben sei jedoch aus ethischer Sicht prinzipiell nichts einzuwenden gegen die Telemedizin.

Weiteres Hilfsmittel

Ein anderer Diskussionsteilnehmer merkte an, dass der Aufbau eines einheitliche Telemedizin-Datennetzes «ja auch Geld kostet», der Einsparungseffekt sei daher ungewiss. Alt Nationalrätin Angeline Fankhauser – sie stellte sich als «Berufs-Seniorin» vor – beklagte ihrerseits den Umstand, dass «ohne Bedenken in Spitzentechnologie investiert wird, während gleichzeitig bei der Altenpflege gespart werden muss». Am pragmatischsten beurteilte die Situation der Diskussionsteilnehmer, welcher der Praxis am nächsten steht: Lucien Portenier. Er sass als Vertreter der Pflegerinnen und Pfleger auf dem Podium. «Für uns ist die Telemedizin ein weiteres Hilfsmittel unter vielen, das bei der Betreuung der Patienten helfen kann. Telemedizin wird den direkten Kontakt zwischen Behandelnden und Kranken sicher nie ersetzen, höchstens ergänzen können.» Und zu der weiteren Entwicklung auf diesem Gebiet? «Die lassen wir gelassen auf uns zukommen.»

Die TA-SWISS-Studie kann kostenlos bezogen werden beim Zentrum für Technologie-Abschätzung, Birkenweg 61, 3003 Bern. Tel. 031 322 99 63, E-Mail: ta@swtr.admin.ch

Aufklärung über die Folgen neuer Technologien – Chancen und Risiken

Neue Technologien versprechen oft entscheidende Verbesserungen der Lebensqualität, bergen zugleich aber auch neuartige Risiken, deren Folgen sich nicht immer von vornherein absehen lassen. Hier springt das «Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung» in die Lücke. Das TA-SWISS untersucht die Chancen und Risiken neuer technologischer Entwicklungen in den Bereichen Biotechnologie und Medizin, Informationsgesellschaft und Mobilität. Ziel ist, den Informations- und Meinungsaustausch zwischen Fachleuten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und der breiten Öffentlichkeit zu fördern und Letztere etwa mittels Publiforen in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung ist dem Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat angegliedert, der seinerseits dem Bundesrat beratend zur Seite steht.

www.ta-swiss.ch oder www.publiforum.ch

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung