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Medizin

Freiwillige vor zum Samentest!

An Stellungspflichtigen soll die Zeugungsfähigkeit der jungen Schweizer untersucht werden

Wie stehts mit der Fertilität der jungen Schweizer? Gibt es geografische Schwankungen und wenn ja, weshalb? Um dies herauszufinden werden in den kommenden Monaten unter den Stellungspflichtigen 3000 Freiwillige gesucht, die sich an einer entsprechenden Studie beteiligen möchten. Es ist dies bereits der zweite Versuch, mittels Untersuchungen an Wehrpflichtigen ein Bild zu zeichnen von der Zeugungsfähigkeit junger Schweizer Männer. Ein erster Anlauf, eine solche Rekrutenprüfung der besonderen Art durchzuführen, scheiterte vor drei Jahren aus Datenschutzgründen kläglich und musste von Wehrminister Samuel Schmid höchstpersönlich abgeblasen werden.

Aber die Forscher liessen nicht locker und präsentierten nun gestern vor den Medien eine Versuchsanordnung, mit der die Intimsphäre der Probanden und der Datenschutz garantiert werden kann. Und: Die Teilnahme an der Studie ist wirklich freiwillig, den jungen Männern entstehen weder Vor- noch Nachteile, ob sie nun mitmachen mögen oder nicht.

Doch was macht Stellungspflichtige zu derart begehrten Studienobjekten? «Sie repräsentieren die junge männliche Bevölkerung der Schweiz so gut wie nur möglich», ist Studienleiter Marc Germond überzeugt, die Auswahl sei ideal. Dank den Jung-Rekruten will der Lausanner Gynäkologie-Professor herausfinden, wie es sich mit der Fertilität der Schweizer Männer verhält, wie oft Missbildungen und Hodenkrebs-Erkrankungen vorkommen, wie es mit der Spermienqualität steht, ob sich bei all dem geografische Unterschiede erkennen lassen und was verantwortlich sein könnte für Anomalien: Übermässiger Nikotin- und Alkoholgenuss, Ernährungs- und allgemeine Lebensweise oder etwa doch hormonaktive Substanzen (vgl. unten), die ja auch Untersuchungsgegenstand der übrigen 26 Studien im Rahmen des NFP 50 sind?

Eine wichtige Untersuchung, finden die Forscher – und mit ihnen Samuel Schmid. Deshalb habe der Bundespräsident die Versuchsanordnung und das Prozedere zur Auswahl der Probanden höchstpersönlich überprüft und abgesegnet, versicherte Divisionär und Oberfeldarzt Gianpiero Lupi vor den Medien. Und hofft, dass die Unterstützung von höchster Stelle die Stellungspflichtigen zur Teilnahme ermuntert. In den kommenden Monaten werden sie also zusammen mit den übrigen Wehrdienst-Unterlagen umfassende Informationen erhalten, wie die Studie ablaufen wird. Wer mitmachen will, wird in einem ausführlichen Fragebogen über Wohn- und Geburtsort, Lebensstil, Krankengeschichte, Ernährung und Hobbys Auskunft geben können. Befragt werden auch die Eltern und vor allem die Mütter: zu Ablauf, Lebensweise vor und nach der Schwangerschaft, über weitere Geburten, Bildung und berufliche Tätigkeit.

Darauf kommt der heiklere Teil der Untersuchung. In einer gründlichen urologischen Untersuchung wird der Zustand des gesamten Fortpflanzungsapparates der Probanden ermittelt. Eine Analyse der Samenflüssigkeit soll Auskunft liefern über Konzentration, Beweglichkeit und Form der Spermien, der Hormongehalt im Blut wird gemessen und eine Urinprobe genommen, um in einer späteren Studienphase eventuell nach Rückständen hormonaktiver Stoffe suchen zu können.

Untersuchung und Probennahmen werden in ziviler Umgebung durchgeführt werden, die Anonymität wird mit einem Codeschlüssel garantiert, der ausschliesslich dem Arzt des Militärärztlichen Dienstes bekannt ist. Selbstverständlich haben die Testpersonen die Möglichkeit, ihre Versuchsergebnisse einzusehen. Umgekehrt wird informiert, falls die Resultate eine Störung vermuten lassen. «Ein Spermiogramm ist immer eine Momentaufnahme und muss daher in einigen Fällen wiederholt werden, um eine sichere Aussage machen zu können», meint Marc Germond dazu.

Post werden die Freiwilligen von den Forschern jedoch jedenfalls in fünf oder zehn Jahren wieder erhalten. Darin wird nochmals der allgemeine Gesundheitszustand ermittelt und gefragt, ob der junge Mann inzwischen Vater geworden ist. «Damit wird es möglich sein, die heute gewonnene Daten in Zusammenhang zu bringen mit der tatsächlichen späteren Fruchtbarkeit der Versuchsteilnehmer», schwärmt Marc Germond. Man sieht, er hat sich mit seiner Studie auf ein veritables Langzeitprojekt eingelassen.

Was Wasserschnecken zu Zwittern macht

Sie sind allgegenwärtig, machen Wasserschnecken zu Zwittern und – so wird befürchtet – Männer zur Schnecke, die so genannten hormonaktiven Substanzen. Darunter werden Chemikalien verstanden, die das Hormonsystem des Menschen bereits in geringsten (subtoxischen) Konzentrationen durcheinander bringen können. Das ist deshalb beunruhigend, weil ungefähr alles und jedes in unserem Körper von rund 50 Hormonen reguliert wird, Wachstum und Entwicklung, Stoffwechsel, Organisation des Gehirns – und eben auch die Fortpflanzung.

Nun gibt es Hinweise dafür, dass dieses fein abgestimmte Regelwerk schleichend von aussen gestört werden kann, von hormonaktiven Chemikalien, die teils als Folge menschlicher Aktivitäten in die Umwelt gelangen, teils in der freien Natur vorkommen. Zu letzteren zählen etwa Pilzgifte oder in Pflanzen enthaltene Östrogene. Den Hauptharst bilden jedoch Chemikalien, die in der Industriegesellschaft eine wichtige Rolle spielen, etwa Kunststoff-Zusätze, Düngemittel und Pestizide, UV-Filter in Textilien und Kosmetika, Flammschutz-Chemikalien bis hin zu den organischen Zinn-Verbindungen, die als Holzschutzmittel, Schiffsanstrich oder Wurmmittel fürs Geflügel gebraucht werden. Hinzu kommen Dioxin-verwandte Substanzen in den Verbrennungsgasen oder weibliche Sexualhormone im Abwasser (Abbauprodukte der Antibaby-Pille), insgesamt ein Horror-Mix, der erwiesenermassen mit Schuld hat am Artensterben und möglicherweise auch für den Menschen gesundheitsgefährlich ist.

Jedenfalls zeigte sich auch der Bundesrat alarmiert, als er vor fünf Jahren das Nationale Forschungsprogramm «Hormonaktive Stoffe» in Auftrag gab. Inzwischen sind im Rahmen dieses NFP 50 bereits 26 Studien gestartet oder durchgeführt worden. Die Untersuchung zur Fertilität junger Schweizer Männer trägt die Nummer 27.

So weit, so gut. Doch welche Folgerungen werden zu ziehen sein, wenn das Forschungsprogramm den Verdacht gegenüber den hormonaktiven Substanzen erhärtet? Müsste dann nicht alle diese Substanzen verbannt werden, quasi die gesamte Industriegesellschaft ungekrempelt werden? So weit will Felix R. Althaus, der Leiter des NFP 50 nicht gehen. «Wir streben keine Verbots-Orgie an», beschwichtigt der Professor für Veterinärpharmakologie auf Anfrage. Die zu treffenden Massnahmen müssten auch ökonomisch sinnvoll sein. «Gescheiter als ists, den Ersatz der heiklen Substanzen anzustreben. So könnte etwa der Hinweis ‹ohne hormonaktive Substanzen› ein wirkungsvolles Verkaufsargument sein», ist er überzeugt.

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