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Gesundheitspolitik

Forschung in der Hausarztmedizin hat grosses Potential

Lehre und Forschung sind unzertrennliche Zwillinge: Diese Maxime gilt auch für eine hoch stehende Aus-, Weiter und Fortbildung in Hausarztmedizin, sagt Prof. Dr. med. Peter Tschudi. Der Hausarzt Peter Tschudi ist vergangenen April – eine Premiere für die Schweiz – zum Professor für Hausarztmedizin an der Universität Basel ernannt worden. Im Gespräch mit der Medical Tribune schildert er das Potential der Forschung in der Hausarztpraxis – und was bis heute bereits erreicht werden konnte. Klinische patienten- und krankheitsorientierte Forschung kann am erfolgreichsten in der Hausarztpraxis durchgeführt werden, davon ist Prof. Dr. med. Peter Tschudi überzeugt. Denn während den Forschern in den Kliniken in der Regel bloss ein speziell selektioniertes Patientengut mit oft polymorbiden Individuen zur Verfügung steht, ist in der Hausarztpraxis ein Querschnitt durch die gesamte Bevölkerung anzutreffen mit ihren alltäglichen Leiden. Will man also untersuchen, wie Grundversorgung inklusive Prävention am effizientesten organisiert werden könnte, so geschieht dies wohl am besten in der Hausarztpraxis vor Ort.

Sinusitis – wie behandeln?

Dazu gibt es bereits eindrückliche Beispiele aus der Vergangenheit. Prof. Tschudi erinnert in diesem Zusammenhang an die Basinus-Studie, die ambulante, randomisierte kontrollierte Studie zur Behandlung der Sinusitis. Darin wurden 1568 Patienten aus 26 Hausarztpraxen, MUP und HNO-Poliklinik erfasst. Die bereits mehrfach publizierten Ergebnisse zeigten, dass die Prognose und Abheilung der akuten Sinusitis im Vergleich zur konservativen Therapie nicht signifikant beeinflusst werden kann durch die Abgabe von Antibiotika.

Patient wünscht Antibiotikum …

Ebenfalls ums Thema Antibiotikaverschreibung ging es in der Artimes-Studie. Mit ihr wurde untersucht, wie hoch die Antibiotika-Verschreibung ist in der Hausarztpraxis bei Patienten mit Infekten der oberen Luftwege. «Internationale Studien zeigen, dass die Verschreibungsrate von Antibiotika weit über 60% liegt», sagt Prof. Tschudi.

… wie reagiert der Arzt?

Um herauszufinden, wie diese Zahlen für die Schweiz aussehen, wurden die 45 an der Studie partizipierenden Hausärzte in drei Gruppen eingeteilt. Die eine wurde verblindet und erhielt nur allgemeine Informationen. Einer zweiten wurden die aktuellsten Guidelines zur Antibiotikabehandlung zusammengestellt und die dritte Gruppe erhielt zusätzlich noch ein Kommunikationstraining, um speziell auf diese Aufgabe vorbereitet zu sein, mit den Patienten über seinen Wunsch, ein Antibiotikum zu erhalten, zu diskutieren. «Um Mogeleien vorzubeugen haben wir in den Apotheken sämtliche Rezepte eingesammelt und auch die Patienten nachträglich befragt», präzisiert Prof. Tschudi das Studiendesign. Das Resultat überraschte. «Wir hatten mit einer Antibiotika-Verschreibungsrate von etwa 50 Prozent gerechnet. Nun hat sich aber gezeigt, dass die teilnehmenden Hausärzte der Region Basel nur in rund 20 Prozent der Fälle Antibiotika verschrieben, resp. den Patientenwünschen nachgegeben hatten, im internationalen Vergleich ein ausgezeichnetes Resultat. Und – die Patientenzufriedenheit blieb trotzdem hoch!»

Die Mühe mit dem Cholesterin-Management

Auf die Interaktion zwischen Hausarzt und Patient fokussiert ist ebenfalls eine Studie, mit der die Schwierigkeiten von Diagnose und Therapie der Dyslipidämie ausgelotet werden soll. «Die Richtlinie der AGLA, wonach ein Total-Cholesterin-Wert von nicht mehr als 5 mMol/l anzustreben sei, ist in der Praxis oft nicht zu realisieren», sagt Prof. Tschudi. «Jedermann weiss das, auch diejenigen, welche diese Guidelines verfasst haben. Trotzdem haben die Ärzte jeden Tag ein schlechtes Gewissen, weil sie den Zielwert nicht erreichen.»

Die Studie zum Cholesterin-Management soll nun erhellen, weshalb die Richtlinien in der Praxis wenig taugen, ob es tatsächlich an den Ärzten liegt oder an mangelnder Compliance von Seiten der Patienten. «Dazu haben wir in 20 Hausarztpraxen je 50 Krankengeschichten eingesammelt und darauf überprüft, ob Cholesterin überhaupt bestimmt wurde, wenn Nein, weshalb nicht? Wenn Ja: Was wurde unternommen, wenn der Wert über 5 lag?»

Wenns der Arzt vergisst

Die Gesamtauswertung ist noch im Gang, aber bereits jetzt sind zwei Kategorien auszumachen. Es gibt Patienten gegebene Gründe, wenn etwa der Patient weiterhin gerne Käse essen möchte, ungeachtet seines erhöhten Total-Cholesterin-Wertes. «Dann muss und kann man das akzeptieren, besonders wenn keine weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren vorliegen», sagt Prof. Tschudi. Daneben kommt es aber tatsächlich auch vor, dass der Hausarzt die Total-Cholesterin-Bestimmung unterlässt oder vergisst, obwohl er offensichtlich einen Risikopatienten vor sich hat, weil er zum Beispiel durch gravierendere Probleme bei diesem Patienten absorbiert ist. «Mit der Studie können wir herausfinden, in welchem Umfang der Arzt, der Patient oder beide zusammen verantwortlich sind für das suboptimale Cholesterin-Management».

Die Hypertonie-Datenbank

Ein weiteres innovatives und ambitiöses Projekt ist vergangenes Jahr angelaufen: der Aufbau einer Hypertonie-Datenbank für die Schweiz. «Fast jeder zweite Patient, der eine Hausarztpraxis aufsucht, hat Bluthochdruck. In der Schweiz gibt es aber noch keine gesammelten Daten zu Vorkommen und Verlauf der Hypertonie direkt aus der Hausarztpraxis heraus», sagt Prof. Tschudi. Dies soll sich nun ändern. Hausärzte können jetzt über einen Internet-Fragebogen* online relevante Grund-, Diagnostik-, Therapie- und Verlaufsdaten ihrer hypertonischen Patienten eingeben. Die Daten werden anonymisiert (Patient und Arzt) und zentral im Institut für Hausarztmedizin Basel IHAMB ausgewertet. Der eingebende Hausarzt erhält für seine Patienten eine individualisierte Analyse und kann diese mit dem Gesamtkollektiv vergleichen.

328 Patienten erfasst

Bis jetzt haben laut Prof. Tschudi über 30 Hausärzte ausführliche Daten über 328 Hypertoniker hinterlegt, von 130 Patienten sind bereits 1-Jahres-Verlaufsdaten vorhanden. Die Hypertoniker sind im Schnitt 61 Jahre alt, zu 54% männlich, 20% weisen einen Diabetes auf. Der Blutdruck beträgt im Mittel 146/85 mmHg, 94 % der erfassten Personen erhalten Antihypertensiva. 51% der Hypertoniker schliesslich befinden sich im kardiovaskulären Hochrisikobereich.

Der Weisskittel-Effekt

Ein weiteres Projekt im Bereich Hypertonie verfolgt Prof. Tschudi in seiner Praxis. Es stellt sich immer wieder die Frage, wie eine Hypertonie-Behandlung am besten kontrolliert wird, ob mittels Blutdruckmessung in der Praxis, zu Hause oder durch Langzeit-BD-Messung. Dazu wurden 1 Jahr lang bei 41 Patienten die Praxis- und Langzeitblutdruckmessungen verglichen. Dabei konnte erstmals der «Weisskittel-Effekt» genauer studiert werden, das Phänomen der Falsch-Non-Response bei Patienten, die trotz Behandlung einen erhöhten Praxis-BD aufweisen, gemäss Langzeitmessung jedoch gut eingestellt erscheinen. Dieser Weisskittel-Effekt ist übrigens besonders häufig unter Frauen zu beobachten. Bei vielen Patientinnen konnte auf diese Weise die Blutdruckmedikation reduziert und zum Teil ganz weggelassen werden.

Forschung für Ärzte

Daneben bietet sich die Hausarztpraxis naturgemäss auch als «Labor» für Forschung in eigener Sache an. So werden in der Ausbildungsforschung laufend Effizienz und Akzeptanz des 1997 an der Universität Basel eingeführten Einzeltutoriats hinterfragt, bei dem die angehenden Mediziner im dritten und vierten Studienjahr einen halben Tag pro Woche in der Praxis eines Tutors Einblick erhalten in die Alltagswelt des Hausarztes. Die Qualität der Einzeltutoriate wird übrigens seit 2005 auch einer externen Evaluation unterzogen, die entsprechende Publikation ist in Vorbereitung.

Erwähnenswert auch die Berufszielstudie (jährlich seit 2002) unter Studierenden der medizinischen Fakultät, mit der die Veränderungen des Berufsziels im Lauf des Studiums hinterfragt und insbesondere auch die Attraktivität des Hausarztmedizin ausgelotet wird.

Und schliesslich die Erhebungen im Rahmen der Gesundheitspolitik: Weil FMH und Santésuisse die Anzahl der tatsächlich aktiv tätigen Hausärzte «vermutlich zu hoch angeben», hat Prof. Tschudi mittels einer repräsentativen Stichprobe von 2837 Fragebögen schweizweit die Arbeitspensen in Vollzeitäquivalenten, das Empfinden der Arbeitsbelastung, Zufriedenheit, und Stress ermittelt. «Die Auswertung liefert erstmals für die Schweiz wissenschaftlich fundierte Zahlen von hoher gesundheitspolitischer Bedeutung zur Hausarztpraxis-Situation», macht er geltend.

Die Forschungsthemen werden den Hausärzten somit nicht so bald ausgehen.

*www.hypertensioncohort.ch Medical+Tribune 070928

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