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Zahnmedizin

Ekligen Mundgeruch los zu werden, ist heutzutage keine Hexerei mehr

Meist liegt das Übel auf der Zunge

Viele leiden daran, doch niemand spricht darüber. Dabei ists normalerweise keine grosse Sache, den Mundgeruch los zu werden. Allerdings muss man sich erst einmal des Übels bewusst werden und danach den Mut haben, professionellen Rat einzuholen. Erste Adresse ist der Zahnarzt. Vielleicht bin ich ja überempfindlich. Aber da hats mir doch beinahe den Magen gekehrt, als ich neulich in der Konzertpause auf eine gute Bekannte traf. Schon auf einen Meter Distanz war klar: Die Frau stank fürchterlich aus dem Mund. Die obligaten Küsschen links und rechts brachte ich dann noch mit tapfer angehaltenem Atem hinter mich, aber dann suchte ich unter einem Vorwand möglichst rasch das Weite.

Wie sag ich’s meinem Kinde?

Und kam ins Grübeln. Sicher weiss sie nichts davon, merkts selber nicht einmal. Sollte man es ihr nicht irgendwie schonend beibringen? Aber wer soll dieser «man» sein? Und wie macht man so etwas? «Das ist das Hauptproblem», weiss Privatdozent Dr. Andreas Filippi. «Den eigenen Mundgeruch nimmt man selten wahr, weil man sich daran gewöhnt hat.» Da brauchts sehr viel Takt und Feingefühl, wenn man jemandem die schlechte Nachricht überbringen muss. Am besten gehe es so in der Art: «Wenn ich Mundgeruch hätte, wäre ich froh, jemand würde mich darüber informieren…», sagt Dr. Filippi.

Beunruhigt von der Begegnung im Konzertsaal sass ich jetzt in seinem Behandlungsstuhl – in der «Mundgeruch-Sprechstunde», welche die Basler Universitätszahnkliniken anbieten. Ich wollte wissen: Habe ich oder habe ich nicht? 25 Prozent betroffenFalls ich hätte, wäre ich damit nicht allein in der Welt. Zwischen 15 Prozent (Japaner über 15 Jahre alt) und 43 Prozent der über 60jährigen Amerikaner klagen über Mundgeruch, ist im eben erschienenen Fachbuch «Halitosis» nachzulesen*. «Bei uns sind etwa 25 Prozent der Bevölkerung zeitweilig, 6-7 Prozent permanent betroffen», schätzt Autor und Zahnarzt Filippi. Wer sich zu ihm in die Halitosis-Sprechstunde wagt, darf im Wartezimmer zunächst einen Fragebogen ausfüllen. Der soll helfen, die Ursachen des schlechten Atems herauszufinden. «Mit dem Fragebogen erhalten wir eher ehrliche Antworten als im direkten Gespräch», ist Dr. Filippi überzeugt. Denn schliesslich bewegt man sich doch nah im Intimbereich des Hilfesuchenden.

Nase der beste Detektor

Danach folgt eine zahnärztliche Untersuchung. «Schon in normaler Distanz zum Patienten kann ichs reichen, wenn er unter Mundgeruch mittleren Grades leidet», so Filippi. Endgültig klar wird der Fall, wenn er nahe dran geht, in den Mund schaut, Zunge und Rachen kontrolliert oder nach akuter Parodontitis, Zahnfleischentzündungen, Ausschau hält. «Wenn ich aus 30 Zentimeter Entfernung nichts rieche, ist wohl im Moment nichts los.» Im Moment vielleicht nicht, aber das kann im Tagesverlauf schwanken oder durch kürzliches Zähneputzen maskiert sein. Ein Test mit dem Halimeter kann dem subjektiven Urteil des Zahnarztes (ob oder ob nicht, und wenn Ja, wieviel) einen Zahlenwert geben. Das Gerät misst die Konzentration der Faulgase in der Atemluft. «Für die Diagnose ist das Halimeter nicht unverzichtbar, mit ein wenig Übung liefert die Nase des Zahnarztes gesicherte Resultate.» Aber die Betroffenen glauben eben eher einer Apparatemessung als der zahnärztlichen Nase. «Und wenn’s darum geht, den Erfolg einer Massnahme zu kontrollieren, helfen natürlich die entsprechenden Halimeterdaten schon.»

Meist liegts auf der Zunge

Zurück zur Untersuchung: Besonders genau schaut sich Dr. Filippi die Zunge an. Bei 90 Prozent der Untersuchten entsteht der Mundgeruch tatsächlich im Mund, in beinahe zehn Prozent der Fälle stammt er aus dem Nasen-Rachenbereich und nur ganz selten ist der Magen der Schuldige. Und im Mund steht vorab einmal die Zunge unter Verdacht. «Im Zungenbelag tummeln sich Unmengen Bakterien, die schwefelhaltige und daher übelriechende Verbindungen wie Schwefelwasserstoff oder Mercaptane absondern.» Die schwefelfressenden Einzeller florieren aber auch sonst überall im Mund, wo es nicht sauber ist. Daher ist die Therapie ebenso einfach wie einleuchtend: Zähne besser putzen und dabei auch die Zunge nicht vergessen. «Letzteres ist bei uns – im Gegensatz etwa zu Indien – keine Selbstverständlichkeit das will gelernt sein.» Dafür gibt’s Dutzende unterschiedlicher Hilfsgeräte, Bürstchen, Schaber und Schwämmchen. Zungenputzen wird gleich in der Sprechstunde trainiert: Schön von hinten nach vorn, die ganze Zungenbreite abdecken. Und den Würgereflex wenn immer möglich vermeiden!

Nach zwei Konsultationen geheilt

Das war eigentlich schon Alles. «Wir sehen die Patienten dann normalerweise noch ein- bis zweimal zur Kontrolle, und dann ist das Problem in den allermeisten Fällen aus der Welt geschafft», verspricht Andreas Filippi. Besonders teuer zu stehen kommt das Ganze auch nicht. «Wir verrechnen in der Regel eine Stunde Aufwand.» Macht rund 200 Franken. Da hat man wohl schon oft Geld für Dümmeres ausgegeben.

Übrigens: Ich hatte nicht. Weder Dr. Filippis geschulte Nase noch das Halimeter konnten was nachweisen. Der erste Wert lag bei 54 (bis 100 sind unbedenklich) und bei der zweiten Messung blieb die Nadel des Geräts gar auf 0 stehen. Ich darf also wieder ungeniert: Küsschen, Küsschen.

* Andreas Filippi: Halitosis. Patienten mit Mundgeruch in der zahnärztlichen Praxis. Quintessenz Verlags-GmbH Berlin, ISBN: 3-87652-878-X

In einem von zehn Fällen ist da gar nichts

«Am heikelsten sind die Mundgeruch-Patienten, die gar keinen Mundgeruch haben.» Was paradox klingt, bereitet Dr. Andreas Filippi etwa bei jedem zehnten Menschen Sorgen, der seine Mundgeruch-Sprechstunde an den Basler Universitätskliniken für Zahnmedizin aufsucht. Denn bei rund zwölf Prozent seiner Schützlinge ist mit dem besten Willen kein Mundgeruch auszumachen, weder mit der Nase noch mittels Halimeter «Da nützt es gar nichts, den Betroffenen klar machen zu wollen, dass bei ihnen zumindest bezüglich Mundgeruch alles in Ordnung ist. Darauf reagieren sie eher verstimmt und fühlen sich nicht ernst genommen», erzählt Dr. Filippi. Als «Halitophobie» bezeichnet die Fachwelt das Phänomen. Was der Laie vielleicht als Schrulle belächelt, ist eine ernsthafte Erkrankung, gehört in den Bereich der Zwangsstörungen. Die Betroffenen – meist junge und körperbewusste Menschen – brechen aus Angst, ihre Umwelt durch Gestank zu belästigen, sämtliche sozialen Kontakte ab, ziehen sich vollkommen in sich selber zurück. «Das hat auch schon mit Selbstmord geendet.» An der Basler zahnärztlichen Universitätsklinik zieht man daher bei Fällen von Pseudo-Mundgeruch professionelle psychologische Hilfe zu, «wir sind gut vernetzt». Und selbstverständlich sagt man den eingebildeten Geruchsträgern nicht gerade heraus «da ist nichts». Sondern schult sie wie die tatsächlich Riechenden in korrekter Mundhygiene. Schaden kanns so oder so nicht.

Halitosis-Sprechstunde der Universität Basel 061 2672609

Mundgeruch im Shakespeare-Sonett

«Und ich fand Duft, der mehr an Reizen bot
als jener Hauch, der aus dem Mund ihr bricht.»

Elegant umschrieb Shakespeare das heikle Problem in einem seiner späten Sonette, das einer geheimnisvollen Lady gewidmet war. Im Kompliment ist offensichtlich ein Stachel verpackt. Das mag daher kommen, dass besagte Lady vermutlich niemand anders war als Emilia Bassano. Die aber hatte sich zum Verdruss des Dichters mit dem Earl of Southampton zusammen getan, den der Dichter mindestens ebenso leidenschaftlich zu besingen pflegte wie die schöne Emilia. Was wiederum Shakespeares Häme erklärbar macht – etwa als Reaktion auf eine Dreierbeziehung, die dem Barden ausser Kontrolle geraten war.

Wie auch immer: Mundgeruch scheint zu Shakespeares Zeiten auch in gehobenen Kreisen ein weit verbreitetes Übel gewesen zu sein, über das man allenfalls hinter vorgehaltener Hand sprach – oder dann eben in Versen.

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