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Physik

Als gings um Haaresbreiten zwischen Erde und Mars

Unvorstellbar empfindlich sind heute die Methoden, mit denen Jagd auf Umweltgifte wie etwa Dioxine gemacht wird

Spuren von Umweltgiften aufzuspüren und deren Menge zu bestimmen ist eine trickreiche Angelegenheit. Bereits die Probenahme ist anspruchsvoll, und die Resultate der Spurensuche bedürfen hinterher der Interpretation. Die Dioxinwerte, die in der Umgebung der ehemaligen Deponien im Elsass ermittelt und eben veröffentlicht wurden, sind das Ergebnis eines komplizierten Prozesses. Die Analysengeräte sind im Lauf der Jahre ständig empfindlicher geworden, und gerade darin liegt das Problem. Auf den Punkt gebracht kann man etwa sagen: Je empfindlicher die Methode und je tiefer die Nachweisgrenze, desto kritischer wird’s mit der Messgenauigkeit.

«Wenn wir eine Messgenauigkeit von 20-40 Prozent hinkriegen, sind wir schon sehr gut», umschreibt der Analytiker Michael Oehme das Dilemma. In seiner Funktion als Professor für organische analytische Chemie der Universität Basel überwacht er die Qualität der Analysen, die von verschiedenen Labors mit Boden- und Wasserproben rund um die Altlastdeponien in der Region Basel durchgeführt werden. Problematische Verbindungen wie Dioxine sind zum Glück nur in minimalen Spuren vorhanden, aber gerade deswegen ist es schwierig, deren Menge genau zu bestimmen. «Je kleiner die Konzentration des zu bestimmenden Stoffes, desto grösser die Fehlerquelle in der quantitativen Bestimmung», fasst Oehme im Gespräch mit der baz das Problem zusammen. Zwar kann man mit den heute verfügbaren Mitteln beispielsweise einen Milliardstel eines Millionstel Gramms (Femtogramm) Dioxin nachweisen. In diesem Bereich wird die Mess-Ungenauigkeit aber schnell einmal 100 Prozent: Es könnten ein oder auch zwei Femtogramm sein. (Ein Femtogramm im Verhältnis zu einem Gramm entspricht etwa der Dicke eines Haars im Vergleich zum Abstand Erde-Mars.)

Um auch nur schon die erwähnte 20-40prozentige Genauigkeit der Bestimmung zu erreichen, muss Dioxin – um bei diesem Beispiel zu bleiben – in 1000fach höherer Konzentration vorliegen, also im Bereich von einem Millionstel eines Millionstel Grammes (Pikogramm). «Das genügt aber völlig, da sind wir dann immer noch Grössenordnungen unter einem problematischem Niveau», versichert Oehme.

Güggeli-Spuren. Dabei steht und fällt die Qualität eines Analysenresultats mit der Sorgfalt bei der Probenahme. Man kann natürlich mit dem Milchkesseli Wasser aus einem Bach schöpfen und das analysieren lassen. «Das Dumme ist: Jede Analyse ergibt einen Wert, nur stellt sich dann die Frage, was dieser bedeutet», so Oehme. Denn im Pikogramm-Bereich, in dem die Umweltanalytik heute arbeitet, kann bereits das Berühren des Verschlusses am Probengefäss das Resultat verfälschen. «Das geht so weit, dass ich sagen kann, ob eine Wasserprobe am Morgen oder am Nachmittag genommen wurde. Denn schon die minimalen Cholesterinspuren, die nach dem Verzehr etwa eines Güggelis an den Händen des Probennehmers hängen bleiben, zeigen sich hinterher in der Analyse.» Gummihandschuhe überzuziehen bringt übrigens nichts, denn die sind mit Weichmachern «verschmutzt».

Vorsicht ist also angezeigt. So werden die Probenflaschen aus Spezialglas vorgängig bei über 400 Grad ausgeheizt. Und wichtig: Jede zu analysierende Probe wird von einer Blindprobe mit Mineralwasser begleitet, die den genau gleichen Prozess durchmacht, wie das Original, von der Abfüllung draussen im Feld über den Transport ins Labor durch alle Analysenprozesse hindurch. Wird in der richtigen Probe ein Stoff gefunden, schaut der Analytiker erst mal nach, ob und wieviel der Substanz ebenfalls in der Blindprobe enthalten ist.

Fingerabdrücke. Fündig wird Michael Oehme öfters als ihm lieb ist. Einige hunderte Signale pro Probe zeigen die Chromatografen jeweils an, wenn man bis in den untersten Konzentrationsbereich misst. Ein jedes Signal auf dem Bildschirm bezeugt die Existenz einer chemischen Verbindung. Wenn man nur diejenigen Verbindungen näher anschaut, die mit mindestens einem Mikrogramm (Millionstel Gramm) in der Probe vertreten sind und daher für eine Umweltbelastung relevant sein können, bleiben in der Regel noch etwa 50-60 Substanzen übrig. Einige sind natürliche Produkte, andere sind künstlichen Ursprungs und können (müssen aber nicht) aus der Industrieproduktion stammen. Besonders Ausschau gehalten wird nach sogenannten chlorierten organischen Verbindungen, die in der Vergangenheit häufig zur Herstellung von Farbstoffen verwendet wurden. «Unsere Detektoren, die Massenspektrometer, liefern von jeder Verbindung eine Art Fingerabdruck, der meistens eindeutig ist», so Michael Oehme. Viele Chemikalien sind alte Bekannte, die Fingerabdrücke des Rests müssen mittels Datenbanken identifiziert werden – ganz wie bei Interpol.

«Seveso» ist tatsächlich überall

Der Empfindlichkeit moderner Analysemethoden ist es zu verdanken, dass auch das «Seveso-Gift» Dioxin heute praktisch überall in Böden nachgewiesen werden kann. So weit die schlechte Nachricht. Die gute ist, «dass die gemessenen Mengen unbedenklich sind. Wir bewegen uns da in der Grössenordnung von einem Millionstel eines Millionstel Gramms (Pikogramm) pro Liter Wasser – das entspricht einem Schnapsglas voll im ganzen Bodensee», rechnet Prof. Michael Oehme vor. Er war 1979 einer der ersten, der nach dem Chemie-Unfall von Seveso systematisch nach Dioxinen in der Umwelt zu suchen begann. Noch eine gute Nachricht hat Oehme: «Seit 1985 sind die Dioxinemissionen in der westlichen Welt um die Hälfte zurückgegangen.» Dies schliesst er aus der Tatsache, dass sich die in Tierfett und Muttermilch nachweisbaren Konzentrationen mehr als halbiert haben.

Bleiben die Sünden der früheren Jahre, die ihre Spuren in den mit Chemiemüll belasteten Deponien zurückgelassen haben könnten – besonders in der Region Basel ein heisses Thema. Daher wurde Michael Oehme damit beauftragt, auch in der Umgebung der Mischdeponien rund um Basel nach dem Seveso-Gift zu suchen. Inzwischen kann er erste Resultate vorweisen: «Wie zu erwarten, treten auch dort gelegentlich Ultraspuren auf, was aber für die Gesundheit von Mensch und Tier komplett irrelevant ist», urteilt Oehme.

Dioxin ist nicht gleich Dioxin

Als Dioxine bezeichnet man chemische Verbindungen bestehend aus zwei chlorierten Benzolringen, die über Sauerstoffatome miteinander verbunden sind. Die Toxizität der Dioxine hängt von Anzahl und Anordnung der Chloratome ab. Der giftigste Vertreter ist das 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-Dioxin TCDD, das beim Chemieunfall von Seveso mit etwa 2,5 Kilogramm die Umwelt verschmutzte und zahlreiche Menschen an Chlorakne erkranken liess. Die Toxizität anderer Dioxine wird in TCDD-Äquivalenten angegeben. Viele besitzen nur einen Bruchteil des Giftpotentials von TCDD oder sind ungiftig.

Doch ist auch das Seveso-Dioxin nicht das tödliche Gift, als das es gemeinhin dargestellt wird «Es ist noch niemand direkt an Dioxin gestorben», so Michael Oehme. Akute Vergiftungssymptome sind die erwähnte Chlorakne, als Langzeiteffekte sind Leberschäden, Immunschwäche, Krebserkrankungen oder psychische Störungen bekannt.

Dioxine waren schon vor dem Menschen auf der Welt. Man findet die Verbindungen etwa in Tonerden. Sie entstehen aber auch laufend in der Natur, zum Beispiel bei Waldbränden. Sedimentkerne aus Seen zeigen, dass mit der Industrialisierung und vor allem mit dem Aufkommen der Chlorchemie die Dioxinemissionen zunahmen. Prinzipiell können bei jedem Verbrennungsprozess Dioxine entstehen. Bis zur Einführung moderner Verbrennungstechnik und Rauchgasreinigung waren vor allem auch die Kehrichtverbrennungsanlagen wahre Dioxinschleudern.

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