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Nanowissenschaften

Ein Stoff für Harry Potters Mantel

Nanotechnik machts möglich: Neue Materialien können fürs menschliche Auge unsichtbar werden

Der Stoff, aus dem Harry Potters Tarnmantel gefertigt ist, könnte bald auch unseren Alltag erobern. Forscher haben Materialien entwickelt, um die das Licht gleichsam einen Bogen macht und die daher unsichtbar werden. Wenn der Löffel im Wasserglas einen Knick zu haben scheint und Fische sich unter anderem deshalb so schwer von Hand fangen lassen, weil sie sich nie dort befinden, wo sie zu sein scheinen, so ist dies dem Phänomen der so genannten Lichtbrechung zuzuschreiben: An der Grenze zwischen Luft und Wasser ändern Lichtwellen ihre Richtung, sie werden gebrochen, weil die beiden Medien Luft und Wasser einen unterschiedlichen Brechungsindex aufweisen. Mit dem Resultat, dass das menschliche Auge getäuscht wird und die Dinge am falschen Ort sieht.

Über einen ganz speziellen Fall von Lichtbrechung wird diese Woche gleichzeitig in den beiden renommierten Wissenschaftsmagazinen «Nature» und «Science» berichtet. Forschern der Universität Kalifornien in Berkeley ist es gelungen, so genannte Meta-Materialien zu entwickeln, die Lichtwellen um sich herum zu biegen vermögen, ohne dass dabei eine Reflexion oder ein Schatten entsteht. Folglich werden aus solchem Material gefertigte Gegenstände unsichtbar. Diese aus Nanostrukturen zusammengesetzten Meta-Materialien verfügen über einen negativen Brechungsindex – zur Veranschaulichung: Könnte man Wasser einen solchen negativen Brechungsindex verpassen, würden die anfangs erwähnten Fische fürs menschliche Auge in der Luft schwimmen und der Löffel mit beiden Enden aus dem Glas ragen.

Materialien mit negativem Brechungsindex wurden zwar schon zuvor erzeugt. Allerdings funktionierte der Effekt bis jetzt erst im zweidimensionalen Bereich, mit Materialschichten, die bloss ein Atom dick waren. Und die Mikrowellen, mit denen experimentiert wurden, sind fürs menschliche Auge unsichtbar. Demgegenüber sind die neuen Materialien zwar immer noch zehnmal dünner als ein Blatt Papier, gelten aber trotzdem bereits als dreidimensionale Gebilde. Zudem lässt sich der negative Brechungsindex an ihnen im einen Fall bereits mit rotem – sichtbarem – Licht demonstrieren.

Damit ein Metamaterial das Phänomen des negativen Brechungsindexes zeigt, müssen seine Baustrukturen kleiner sein als die Wellenlänge der im Experiment verwendeten elektromagnetischen Strahlung. Das menschliche Auge kann bloss Licht der Wellenlängen 400 (violett) bis 700 Nanometer (tiefrot) erkennen. Sollen also Metamaterialien als Tarnkappe dienen, müssen sie unter anderem sehr klein gebaut sein, damit sie den begehrten Effekt im sichtbaren Bereich zeigen.

Die eine Gruppe der Berkeley-Wissenschaftler um Jason Valentine erreichte dieses Kriterium beinahe, indem alternierend Schichten von leitenden Silberatomen und nicht leitenden Magnesiumfluorid-Molekülen übereinander gelegt wurden. In dieses Lasagne-ähnliche Gebilde wurde danach ein nano-feines Fischnetzmuster gestanzt. An diesem Meta-Material konnte der negative Brechungsindex immerhin mit 1500-Nanometer-Wellen, also im nahen Infrarot-Bereich, demonstriert werden, schreiben die Forscher in «Nature».

Näher an den Tarnkappen-Effekt heran führt der Weg, den der Jungakademiker Jie Yao und dessen Kollegen einschlugen. Wie die Gruppe in «Science» berichtet, liess man hiezu nano-dünne Silberdrähte in poröses Aluminiumoxid hineinwachsen. Daraus resultierte ein Meta-Material, das den negativen Brechungsindex bei rotem Licht von 660 Nanometer Wellenlänge zeigt. «Somit konnten wir diesen Effekt erstmals im sichtbaren Bereich und an dreidimensionalen Strukturen demonstrieren», freut sich Jie Yao.

Dreidimensional mag zwar Yaos Material sein, doch ist es noch arg dünn und spröde, um daraus einen Mantel oder eine Tarnkappe zu fertigen. Aber das kann sich ja noch geben. Fürs erste wird der Anwendungsbereich der neuen Materialien ohnehin weniger im Zauberland zu suchen sein, als im Labor-Alltag. So könnten etwa die ungewohnten optischen Eigenschaften solcher Materialien genutzt werden, um Lichtmikroskope mit bis jetzt unerreichbarem Auflösungsvermögen zu bauen. Interferenzen unterdrückende Metamaterialien werden vielleicht bald einmal die Leistungsfähigkeit von Antennen verbessern. Auch der Doppler-Effekt, den viele technische Geräte von Polizei-Radar bis GPS nutzen, könnte mithilfe der neuen Materialien umgepolt werden. Da muss Harry Potter sich also wahrscheinlich noch ein bisschen in Geduld üben, bis er an der Reihe ist.

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