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Gesundheitspolitik

«Das Fehlen des Nachwuchses macht mir Sorgen»

Besuch bei Peter Tschudi, dem ersten Schweizer Professor speziell für Hausarztmedizin: Was im übrigen Europa seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, feiert in Basel Premiere: Vergangenen April ernannte die Universität Basel als erste Schweizer Hochschule einen Hausarzt zum Professor für Hausarztmedizin. Die baz besuchte den frisch gebackenen Professor in seiner Hausarztpraxis. Den Journalisten empfängt er wie seine Patienten auch im wohl kleinsten und bescheidensten Sprechzimmer seiner Gruppenpraxis. Irgendwie typisch für Peter Tschudi, der eben erst im vergangenen April zum ersten Professor für Hausarztmedizin der Schweiz ernannt worden ist. «Ich arbeite ja bloss noch halbtags in der Praxis und habe daher das grosse Sprechzimmer meiner jungen Kollegin überlassen», erklärt er, ganz der Pragmatiker.

Eher handfest waren ja auch die Überlegungen, die ihn in den Arztberuf geführt haben: Dem Urwalddoktor Schweitzer nachzueifern, ein Wohltäter der Menschheit zu werden war nie sein Traum. «Dafür stehe ich zu sehr mit beiden Beinen auf dem Boden.» Eigentlich wollte Peter Tschudi ursprünglich ja gar nicht Arzt werden, sondern Ingenieur-Agronom. «Doch dazu hätte ich an der ETH in Zürich studieren müssen, und davon war mein Vater gar nicht begeistert. Wie er ebenfalls Pfarrer zu werden oder Jurist wie meine Brüder, kam nicht in Frage. So blieb als nächste Option, die für mich in Frage kam, das Medizinstudium.»

Und unter all den medizinischen Fachgebieten war es zunächst die Chirurgie, die ihn faszinierte. «Ich bin manuell sehr geschickt, ich liebte es schon als Bub, Dinge zu flicken und zu basteln.» Und so flickte und schraubte Peter Tschudi als Assistenzarzt in Davos ein Jahr lang Knochen zusammen, «eine sehr befriedigende Zeit», erinnert er sich. «Man sah gleich ein Resultat, und die Patienten waren danach meist dankbar und begeistert.»

Aber es war dann auch in Davos, wo der angehende Chirurg erkannte, dass Medizin mehr ist als blosses Handwerk. «Nachts und am Wochenende hatte im dortigen Spital jeweils nur ein Assistenzarzt Dienst. Da musste ich mich um alles kümmern, Geburten, kranke Kinder, Opfer von Berg- und Verkehrsunfällen und um die ganze Palette der Inneren Medizin bis zum schweren Herzinfarkte, kurz, Notfälle jeglicher Art.» Fasziniert von der Vielfältigkeit der Anforderungen beschloss Tschudi, das Pferd zu wechseln und auf Allgemeinmedizin zu setzen, also Hausarzt zu werden.

Was aber macht den guten Hausarzt aus? «Der Hausarzt und die Hausärztin (letztere wird schon bald in der Überzahl sein) muss vor allem eine gute Kommunikatorin sein, aus den Patienten herauskitzeln können, wo der Schuh wirklich drückt und über das notwendige Netzwerk verfügen, um die bestmöglichen Abklärungen und Behandlungen anzuordnen.» Wobei, so weiss Tschudi aus Erfahrung, 90 Prozent der Patienten gleich vom Allgemeinpraktiker selber abgeklärt und danach behandelt werden können. Bei 70 Prozent der Kranken führen bereits eine gut geführte Befragung nach den Symptomen und die körperliche Untersuchung auf die richtige Spur, bei weiteren 20 Prozent müssen vielleicht noch Laborwerte erhoben, ein Elektrokardiogramm oder Röntgenaufnahmen gemacht und vielleicht Lungenfunktionsmessungen durchgeführt werden. Im Idealfall muss bloss jeder zehnte Patient an einen Spezialisten oder in eine Klinik überwiesen werden.

«Es ist statistisch belegt, dass Menschen, die bei Beschwerden zuerst ihren Hausarzt aufsuchen, medizinisch weit besser und kostengünstiger betreut sind als solche, die immer gleich einen Spezialisten konsultieren.» Denn dort fehlt der Koordinator und Führer durch das immer komplizierter werdende Gesundheitswesen, der mit der Lebens- und Krankengeschichte des Patienten vertraut ist und weiss, welche Massnahmen schon einmal ausprobiert, welche Medikamente bereits verschrieben wurden und wie unliebsame Überraschungen vermieden werden können.

Der Hausarzt hingegen kennt den Patienten, dessen Familie, die Situation am Arbeitsplatz, sein Verhältnis zu den Nachbarn und die Einbindung im Quartier. «Natürlich kann ich zum Beispiel einem Patienten, der wegen andauernder Kopfschmerzen in die Praxis kommt, gleich ein Computertomogramm verordnen, um so einen Hirntumor als Ursache seiner Beschwerden auszuschliessen – und ich kann auf diese Weise viel Geld und Zeit unnötig aufwenden. Ich kann aber auch zuerst versuchen herauszufinden, ob der Grund für die Kopfschmerzen vielleicht bei der drohenden Kündigung des Arbeitsplatzes liegt oder bei der Ehefrau, die ihn verlassen will», so Tschudi. Eine solche Vor-Selektion könne meist nur der Hausarzt treffen, dank umfassender Kenntnis der Lebenssituation seines Patienten.

Erfahrung, fundiertes Wissen und die Fähigkeit, seinen gesunden Menschenverstand zu gebrauchen und auf die Patienten einzugehen, sind somit wohl die wichtigsten Instrumente des Hausarztes. Aber kann man das überhaupt lernen und lehren? Was kann die Einrichtung einer Professur speziell für Hausarztmedizin da beitragen? «Sehr viel», ist Peter Tschudi überzeugt. Am Universitätsspital erfolge die Ausbildung der angehenden Ärztinnen und Ärzte meist an Schwerkranken, also an einem sehr speziellen Patientengut, das wenig Ähnlichkeit hat mit der tatsächlichen Situation draussen in der Praxis. «Wir Hausärzte können da die Studierenden ergänzend mit den häufigsten akuten und chronischen Erkrankungen vertraut machen, indem wir unsere Patienten mit in den Hörsaal zur Vorlesung bringen.»

Das tut Peter Tschudi an der Universitätsklinik zwar bereits seit 25 Jahren, aber erst mit der Gründung des Instituts für Hausarztmedizin in Basel (das erste in der Schweiz) und jetzt mit seiner Habilitation und Ernennung zum Professor für Hausarztmedizin (ebenfalls eine Schweizer Premiere) werde das Fach von Kollegen und Studierenden so richtig ernst genommen. «Wir sind als Hausärzte jetzt endlich akademisch und universitär auf gleicher Augenhöhe mit den übrigen Fachärzten», stellt er befriedigt fest.

Damit wird auch – so hofft Tschudi – das Ansehen des «gewöhnlichen» Hausarztes steigen und das Berufsbild sich verbessern, was wiederum wichtig ist für die Nachwuchsförderung. Zwar verbringen alle im dritten und vierten Jahr Medizin Studierenden der Universität Basel bereits jetzt jeden Dienstagnachmittag in einer Arztpraxis (ebenfalls einmalig in der Schweiz), um die gelernte Theorie im Alltag umsetzen zu können. Und neuerdings können angehende Hausärzte für die Weiterbildung zum Facharzt bis zu einem Jahr in einer Hausarztpraxis assistieren – dies dank der finanziellen Zusagen der kantonalen Gesundheitsdirektoren. «Trotz all dieser Bemühungen steuern wir auf einen empfindlichen Hausarztmangel zu», befürchtet Peter Tschudi. «Der fehlende Nachwuchs macht mir grosse Sorgen.»

Empfehlung: Reportage «Ein Tag im Leben eines Hausarztes»

Box: Basel als Vorreiter

In punc­to Hausarztmedizin war die Schweiz bis vor kurzem Entwicklungsland. Was in England seit 44 und in Deutschland seit über 30 Jahren etabliert ist, nämlich Professuren für Hausarztmedizin, war bei uns bis vergangenen April unbekannt. Dass mit Peter Tschudi ein Hausarzt sich auf seinem Gebiet habilitieren kann und zum Professor ernannt wird, ist eine Schweizer Premiere. Bereits mit der Gründung des Instituts für Hausarztmedizin vor zwei Jahren hatte Basel in der Schweiz eine Vorreiter-Rolle übernommen.

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