Kategorien
Zahnmedizin

Wie Zahnimplantate ein Menschenleben verändern können

«Ich bin heute der glücklichste Mensch»

Ob es jetzt bloss eine Zahnlücke zu schliessen gilt oder gleich alle Zähne im Mund ersetzt werden müssen: Zahnimplantate bieten heute eine attraktive Alternative zu Brücken und Prothesen. «Ich bin heute der glücklichste Mensch», sagt Fredy Serra von sich und lacht übers ganze Gesicht. Das war nicht immer so. Noch vor einem Jahr mochte er die Lippen kaum zu einem Lächeln verziehen. Denn der Lebesmittel-Kaufmann hatte riesige Probleme mit seinem Gebiss. «Das hat schon in meiner frühen Jugend begonnen», erinnert er sich. Mit seinen Löchern in den Zähnen war er ständiger Gast beim Schulzahnarzt. «Ich habe zwar die Zähne regelmässig geputzt, aber vielleicht nicht richtig.» Möglicherweise sei die Karies-Anfälligkeit zu einem gewissen Grad auch durch Veranlagung bedingt gewesen, meint er. Ein Autounfall als etwa Zwanzigjähriger («mein Wagen hat sich dreimal überrollt») kostete ihn einige Zähne im Oberkiefer und machte die Situation nicht besser. Später gingen bei einem Skiunfall auch noch ein paar Zähne im Unterkiefer verloren. Mit Brücken und Spangen wurden die Schäden geflickt. In den 80er Jahren kam oben eine Teilprothese hinzu. «Sie war über zwei noch vorhandene Zähne gestülpt und ich musste sie nachts rausnehmen. Damit fühlte ich mich nie wohl.»

In Rio auf den Geschmack gekommen

Deshalb hat er sich schon vor zwanzig Jahren nach der Möglichkeit erkundigt, Implantate einzusetzen. Diese Technik sei noch zu wenig ausgereift, beschied ihm damals der Zahnarzt. So kam es, dass Fredy Serra sich erst im Jahr 1999 ernsthaft mit den Möglichkeiten der Implantationstechnik befasste. Er war gerade in Rio de Janeiro in den Ferien und hatte wieder einmal riesigen Ärger mit der Prothese. Über Freunde lernte er dann die Prominenten-Zahnärztin Martha Faisol kennen, die sich zusammen mit ihrem Vater auf Zahnimplantate spezialisiert hatte, «sogar Hollywood-Stars zählen zu ihren Patienten». Und diese brasilianische Zahnärztin war es, die dem geplagten Besucher aus der Schweiz beibrachte, was die moderne Implantationstechnik so alles vermag. Martha Faisol wirkte derart überzeugend, dass Fredy Serra sich am liebsten gleich an Ort und Stelle in den Behandlungsstuhl gelegt hätte. «Das ging jedoch nicht, dazu hätte ich in Rio bleiben müssen. Aber die Brasilianerin hat mir versichert, man könne das auch in der Schweiz sehr gut machen.»

14 auf einen Streich

Zurück in Basel fand er dann einen Zahnarzt, der Erfahrung hatte mit der Zahnimplantationstechnik – und den Befund seiner brasilianischen Kollegin bis ins Detail bestätigen konnte. «Er hat mich genau untersucht, viele Röntgenbilder angefertigt und dann zur weiteren Abklärung an Professor Lambrecht* überwiesen», erzählt Fredy Serra. Denn die eigentliche Operation, das Einschrauben der Titan-Implantate, sollte im Zentrum für Zahnmedizin der Universität Basel durchgeführt werden. Doch bevor es so weit war, musste zuerst das Restgebiss saniert, mussten unrettbar verfaulte Zähne gezogen und Eitertaschen behandelt werden. Vor zwei Jahren kam dann für Fredy Serra der grosse Tag. Unter Vollnarkose wurden 14 Implantate gesetzt (die beiden letzten folgten später unter Lokalanästhesie). Ob er Angst gehabt habe? «Nicht ein bisschen», wiegelt er ab. «Ich lag zwar noch nie zuvor auf einem Operationstisch. Aber ich hatte volles Vertrauen und war tief beeindruckt von der Professionalität, mit der Professor Lambrecht und sein Team vorgingen.»

Acht Monate lang Geduld geübt

Nach der Operation musste sich der Patient dann vor allem in Geduld üben. «Die Heilungsphase dauerte recht lang», erinnert er sich. An einigen Kieferstellen habe man Knochenersatzmaterial einfügen müssen, «und das musste alles zuerst einmal zusammenwachsen.» Dazu seien die Titan-Hohlschrauben mit einem Deckel verschlossen und das Zahnfleisch darüber genäht worden. «Die ersten zehn Tage blieb ich zu Hause, bis das einigermassen verheilt war. Ich habe die Zeit gleich für eine willkommene Abmagerungskur genutzt.» Danach konnte er wieder die zum Provisorium abgeänderte alte Prothese tragen. Acht Monate dauerte es, bis dann Zahnarzt und Zahntechniker mit dem Aufbau der Kronen beginnen konnten. Das Zahnfleisch über den Implantatkappen wurde wieder geöffnet, alles mehrfach vermessen, zahllose Abdrucke wurden angefertigt, «Das war eine Riesenarbeit. Ich war ständig beim Zahnarzt.» Ob das nicht sehr lästig war? «Wissen Sie, ich habe schon derart viel erlebt mit meinen Zähnen, das spielte alles keine Rolle mehr.»

«Ist das Geld wert»

Zumal Fredy Serra überglücklich ist mit dem Resultat. Dieses ist wirklich eindrücklich. Als Laie kann man auf den ersten Blick nicht erkennen, dass da nicht alles echt ist, was zwischen den Lippen glänzt. «Ich würde es wieder tun», versichert er. Und er habe schon mehrere Bekannte davon überzeugt, den gleichen Schritt zu wagen. Wie man sich fühlt, mit dem Gegenwert eines Sportwagens im Mund durch die Stadt zu flanieren? Fredy Serra zuckt bloss mit den Schultern, «der Kostenvoranschlag wurde ziemlich genau eingehalten». Rund 80 000 Franken (alles inklusive) seien sicher eine schöne Stange Geld, aber ihn reut es nicht (obwohl er ausser der Narkose alles aus der eigenen Tasche bezahlen musste). «Freunde und Bekannte rieten mir zwar, die Arbeit in Deutschland oder Ungarn durchführen zu lassen, weil es dort viel billiger sei. Aber das war mir zu riskant. Meinen Zahnarzt hier kenne ich, und zu dem habe ich volles Vertrauen. Das ist mir viel Geld wert.»

* Prof. J.Thomas Lambrecht ist Vorsteher der Klinik für zahnärztliche Chirurgie, -Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde und Direktor des Zentrums für Zahnmedizin der Universität Basel

Der alte Wunsch nach dritten Zähnen

Ein Fund aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. beweist es: Der Wunsch, verloren gegangene Zähne irgendwie wieder zu ersetzen, war damals schon weit verbreitet und wurde so gut es eben ging auch erfüllt. Perlmutter- und Knochensplitter, Tier- und Menschenzähne oder auch Elfenbein waren der Stoff, aus dem in jener Zeit der Ersatz gefertigt wurde, um die Zahnlücke zu schliessen. Drauf beissen durfte man natürlich nicht, aber wenigstens erlaubte die Kunstzahn-Kulisse wieder strahlend zu lächeln. Jahrhunderts gebräuchlich wurden Tauglicher waren dann schon Implantat-Materialien wie Gold und Porzellan, die Ende des 19.. Es ist eben nicht gleichgültig, was da in den Kieferknochen gesteckt wird: Das Material muss strapazierfähig sein, darf weder giftig sein noch Krebs oder Allergien auslösen. Mit Titan wurde schliesslich ein Werkstoff gefunden und ab den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingesetzt, der sowohl mechanisch belastbar als auch biokompatibel ist, also weder in Knochen noch Schleimhaut unerwünschte Reaktionen auslöst.

Gängig sind heute Hohlschrauben aus Titan. Sie werden in den Kieferknochen geschraubt und nach einiger Zeit von körpereigenem Knochenmaterial umwachsen. Darauf wird eine herkömmliche Zahnkrone gesetzt. Diese Konstruktion hält besser als der ursprüngliche eigene Zahn. Das HighTech-Stück hat allerdings seinen Preis: Rund 4500 Franken muss man für ein Implantat berappen, die Kosten für die chirurgischen und prothetischen Leistungen des Zahnarztes und für den Zahntechniker inklusive Material eingerechnet. Das kommt alles aus der eigenen Tasche, die Krankenkasse beteiligt sich nur in Ausnahmefällen. «Das ist nicht billig, aber trotzdem preiswert», meint Professor Lambrecht. Denn wer Sorge trägt zum Implantat, braucht danach sicher keine vierten Zähne mehr.

Zahnimplantate erleben einen Boom

Weltmeister sind die Schweizerinnen und Schweizer: Im Schnitt ein Prozent der Bevölkerung liess sich allein im Jahr 2003 Titanschrauben im Kiefer anbringen, im laufenden Jahr wurde etwa weitere 80 000 Mal geschraubt. «Mit 100 Implantaten pro 10 000 Einwohner nimmt die Schweiz einen Spitzenplatz ein, gefolgt von Schweden (87) und Italien (73)», weiss Heinz P. Frei, Country Manager Schweiz der Straumann AG. Das Institut ist inzwischen marktführend auf diesem Gebiet. «Die Zuwachsraten bewegten sich in der Vergangenheit jeweils um die 15 Prozent jährlich, im 2004 allerdings rechnen wir wegen der allgemein schwachen Wirtschaftslage bloss mit acht Prozent Wachstum.»

Zahnimplantate scheinen somit trotz der aufwändigen Prozedur zur normalsten Sache der Welt geworden zu sein. «Im Prinzip kann der Eingriff in jeder Zahnarztpraxis vorgenommen werden», bestätigt Professor Lambrecht. Allerdings braucht es dazu eine spezielle Ausbildung, vor allem Kenntnisse auf dem Gebiet der Kieferchirurgie. Zudem muss der Zahnarzt oder die Zahnärztin entsprechend eingerichtet sein. «Dieser Aufwand lohnt natürlich nicht für Praxen, in denen pro Jahr nur einige wenige Implantate gesetzt werden.» Aus diesem Grund arbeiten viele Zahnärzte eng mit einer zahnärztlichen Klinik zusammen. «Wir bieten den Zahnärzten an, den chirurgischen Part, also das Setzen des Implantats, zu übernehmen. Die Vorabklärungen und die Nachbehandlung werden hingegen in der Zahnarztpraxis durchgeführt.»Wobei die Wichtigkeit dieser Nachbehandlung nicht genug betont werden kann. «Zentral ist die Mundhygiene», weiss Professor Lambrecht. Er hat schon über 1000 Patienten behandelt, und die Erfolgsrate ist mit 97 Prozent beeindruckend. Doch wer sein Implantat nicht peinlich sauber hält, riskiert es zu verlieren. Bakterien können nämlich entlang der Titanschraube direkt in den Knochen eindringen und dort eine gefährliche Entzündung auslösen.

Wer kann und wer darf nicht?

Eine Alterslimite für Zahnimplantate gibt’s nur nach unten: So lange die Kieferknochen noch wachsen, kann kein Implantat gesetzt werden. Ungünstige Knochenverhältnisse, ein nicht saniertes Restgebiss und schlechte Kooperation des Patienten (etwa mangelhafte Mundhygiene) lassen Professor Lambrecht ebenfalls vom Eingriff abraten. Als weitere Risiken gelten für ihn unter anderen auch Erkrankungen des Blutsystems und Diabetes/Typ 1. Ansonsten bietet sich ein Implantat immer dann an, wenn ein Zahn verloren ging wegen eines Unfalls oder die Wurzel durch eine grosse Füllung gespalten wurde. Dann kommt es aber auch vor, dass an der betreffenden Stelle gar nie ein Zahn wuchs. Statt einer Brücke (die ja das Abschleifen der beiden Nachbarzähne bedingt) kann in diesen Fällen ein Implantat die Lücke schliessen. Präsentiert sich gleich der ganze Kiefer zahnlos, hat man zwei Optionen. Entweder werden 16 Implantate geschraubt und je mit einer Krone versehen. Oder es werden Haltepunkte im Kiefer verankert, an denen sich danach eine Vollprothese sicher befestigen lässt. Die zweite Lösung (vier Implantate bei Verwendung der alten Prothese) kostet rund 6800 Franken und kann mit guter Vorbereitung innert eines Tages am Zentrum für Zahnmedizin der Universität Basel realisiert werden.

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung