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Zoologie

Wie Afrikas Heuschrecke Amerika eroberte

Heuschreckenschwärmen gelang wahrscheinlich schon mehrere Male die Atlantiküberquerung

Was Afrikas Bauern jeweils in Panik versetzt und die Bewohner der kanarischen Inseln immer wieder mit Ekel erfüllt, fasziniert den Biologen Matthias W. Lorenz seit Jahren: Heuschreckenschwärme. Er geht der Frage nach, was die Insekten aufs Meer hinaus treibt. Am diesjährigen Kongress der Löss-Forscher auf Lanzarote (die baz berichtete) war er ein Exot, der Wissenschaftler aus Bayreuth. Denn von Haus aus ist Matthias W. Lorenz weder Geograf oder Geologe noch Geochemiker, sondern Biologe, genauer Tierökologe. Etwas teilt er jedoch mit den Löss-Forschern: das Interesse an den Winden, die von Afrika aus weit in den Atlantik hinaus bis in die Neue Welt wehen, Staub mit sich tragen – und Heuschrecken. Lorenz erforscht die hormonelle Regulation bei Insekten und sein Lieblings-Versuchstier ist eben die Heuschrecke. «Die Tiere haben eine ideale Grösse, man kann ihnen Körperflüssigkeit abzapfen und sie leicht züchten.»

Lange glaubte man ja, beim relativ genügsamen Einzelgänger unter den afrikanischen Wüstenheuschrecken und den gefrässigen rot/schwarz gefärbten Heuschrecken-Horden der Schistocerca gregaria handle es sich um zwei unterschiedliche Arten. Heute jedoch ist gewiss, dass es sich immer um dasselbe Insekt handelt, das sich von der einen in die andere Form verwandeln kann. Lorenz studiert die Umstände, welche diese Metamorphose auslösen. Lorenz hats im Labor ausprobiert: «Wenn man zehn Wüstenheuschrecken in einen Raum mit zehn Nahrungspflanzen bringt, werden sich die Individuen gleichmässig verteilen, jedes Insekt wird sich seine eigene Pflanze aussuchen. Bietet man denselben Tieren hinterher bloss eine einzige Pflanze zum Frass an, werden sich wegen des verknappten Angebots alle zehn Individuen auf diese eine Nahrungsquelle stürzen.» So weit ist alles logisch. Aber jetzt wird‘s spannend. Denn lässt man einem solchen zwangssozialisierten Tier hinterher die Wahl, sich entweder (wie zu Beginn des Experiments) an einer eigenen Futterpflanze gütlich zu tun oder sich dort niederzulassen, wo bereits Artgenossen futtern, so wird es letzteres vorziehen.

«Erstaunlich ist, dass diese Verhaltensänderung von der solitären in die gregäre Phase innert Stunden erfolgt», sagt Lorenz. Und sieht darin die primäre Ursache zur Schwarmbildung. Das kann man sich folgendermassen vorstellen: Ist die eine Pflanze kahl gefressen, muss sich die Gruppe zwangsläufig eine andere suchen. Und da man sich so schön aneinander gewöhnt hat, bleibt man zusammen und sucht gemeinsam ein neues Opfer – der Kristallisationspunkt für die Schwarmbildung ist geschaffen.Doch da viele Heuschrecken viel Futter brauchen, sind die Schwärme gezwungen, auf Wanderschaft zu gehen. Diese Wanderbewegungen vollziehen sich in der Regel saisonal innerhalb des afrikanischen Kontinents. «Heuschrecken lieben feuchtes Wetter, dann gibts viel Futter. Aber allzu nass darf es nicht werden, sonst versinken die Eiablagen im Wasser.» Interessant ist, dass sich mit zunehmender Populationsdichte nach dem Verhalten auch das Äussere der Heuschrecken von Generation zu Generation verändert. Die Sprungbeine der Nachkommen werden allmählich kürzer, dafür wachsen die Flügel. Und die unauffällige Tarnfarbe weicht einer rot/schwarzen Zeichnung, «wahrscheinlich, weil dies den Wärmehaushalt verbessert», vermutet Lorenz.

Nun ist die Wüstenheuschrecke gerüstet für Fernreisen. Meist verlässt der Schwarm die Grenzen innerhalb des afrikanischen Kontinents nicht. Hin und wieder bricht aber einer auf gen Westen. «Wahrscheinlich ein Zufall», meint Lorenz. Denn die Insekten können ja nicht wissen, dass vor ihnen eine unwirtliche Wasserwüste liegt. Und so kam es, dass sich Ende November 2004 wieder einmal der Himmel verdunkelte über der Insel Lanzarote. Schätzungsweise 100 Millionen Tiere mit einem Lebendgewicht von rund 200 Tonnen gingen auf der Insel nieder. Andere Schwärme erreichten einige Tage später sogar Portugal.

Das war aber vergleichsweise ein Übungsflug mit der spektakulären Reise nach Amerika, welche afrikanische Wüstenheuschrecken im Herbst 1988 unter die Flügel genommen hatten. Dort fielen nämlich auf der Insel Barbados am 14./15. Oktober plötzlich Heuschrecken vom Himmel. Fünf Tage zuvor waren die Schwärme von Schiffen mitten im Ozean beobachtet worden. Zwar hatten sie dank eines tropischen Sturms kräftigen Rückenwind. Aber auch so mussten sich die Tiere mindestens fünf bis acht Tage in der Luft halten. «Wie die Tiere das schaffen, ist mir schleierhaft», meint Lorenz.

Zum Glück für Barbados‘ Zuckerrohrplantagen waren die Heuschrecken diesmal derart ausgepowert, dass ihnen der Appetit vollkommen vergangen war. Und da sie auf der langen Reise von Kohlenhydrat- auf Fettverbrennung umgestellt hatten, verblieb ihnen auch keine Energie mehr, um sich zu vermehren – sie verendeten ganz einfach. Das ist und war aber nicht immer der Fall, ist Matthias Lorenz überzeugt. Und vermutet, dass die afrikanische Heuschrecke Ur-Ahnin ist einer amerikanischen Art, die der Weitgereisten zum Verwechseln ähnlich sieht. Genom-Vergleiche werden vermutlich diese Hypothese bald bestätigen – oder aber widerlegen.

In Olivenöl gebraten

In der Not frisst der Teufel Fliegen, sagt der Volksmund. Nach Heuschrecken würde er sich wohl die Finger lecken. Mathias Lorenz kennt einige Rezepte, wie man die Rieseninsekten zubereiten kann. «In Olivenöl zusammen mit Knoblauch gebraten sind sie recht bekömmlich. Und gegrillt und hinterher in flüssige Schokolade getaucht geben sie ein gutes Dessert ab. Das schmeckt ganz gut, etwa wie Hühnerflügel», versichert der Heuschrecken-Spezialist. Ein guter Tipp für all diejenigen, denen ob der Angst vor der Vogelgrippe der Appetit auf Pouletfleisch vergangen ist.

Auf die Dichte kommt es an

Der deutsche Biologe Matthias Lorenz erklärt das Schwarmverhalten der afrikanischen Wüstenheuschrecke mit hormonellen Veränderungen in den einzelnen Inidividuen (vgl. Bericht auf dieser Seite). Eine Forschergruppe um Jerome Buhl an der britischen Oxford-Universität hat das Phänomen von einer anderen Seite her angegangen, wie in «Science» vom 1. Juni nachzulesen ist. Die Wissenschaftler versuchten, die kollektiven Bewegungsmuster der Tiere mit statistischen Modellen zu erklären, wie sie auch in der Physik zur Beschreibung von sich selbstständig bewegenden Partikeln angewandt werden. Dazu wurde eine wachsende Anzahl Heuschrecken in eine kreisrunde Arena gebracht und die Position jedes einzelnen Tieres von einer Digitalkamera während acht Stunden fünfmal pro Sekunde registriert. So konnten Buhl und seine Kollegen nachweisen, dass es zwei kritische Schwellen gibt, welche die Heuschrecken schliesslich ins Schwärmen bringt. Die eine liegt bei einer Dichte von fünf bis 17 Heuschrecken pro Quadratmeter, unter der sich die Insekten noch wie freie Individuen und unkoordiniert bewegen. Befanden sich während des Experiments um die 50 Tiere pro Quadratmeter in der Arena, formierten sich bereits mehrere Marschgruppen, die zwar zusammenhielten, aber auf ihren Wanderungen immer wieder gemeinsam die Richtung abrupt änderten. Erhöhte sich die Dichte dann auf mehr als 70 Tiere pro Quadratmeter, wurde das Bild ruhiger, die einzelnen Marschgruppen fielen in Gleichtakt und bewegten sich alle miteinander synchron im Kreis herum. Eben wie in einem Schwarm.

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