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Sportmedizin

Wer den Radsport ernsthaft betreiben will, muss sich früh im Jahr in den Sattel schwingen

Nun radeln sie wieder

Lanzarote. Wir bewundern sie natürlich allesamt insgeheim, die Ironmen- und women, wie sie im aerodynamischen Dress so elegant durch die Gegend flitzen «die Versuchung ist gross, es ihnen gleich zu tun. Doch Achtung, Radfahren als Ausdauersport will gelernt sein, ein Sonntagsspaziergang ist das nicht. Wers wirklich wissen will, kann sich in speziellen Trainigscamps unter professioneller Anleitung ans individuelle Leistungsniveau herantasten. Und vielleicht seine blauen Wunder erleben.

Radeln Sie gerne? Nicht einfach so gemütlich durch die Gegend, den Schmetterlingen nachstaunend. Sondern vielleicht auch mal am Limit? Radfahren soll ja die gesündeste Sportart überhaupt sein «sagen die Radler». Und spätestens seit der «Wiedererfindung» des Triathlons in den 1970er Jahren, bei dem um die Wette gelaufen, geschwommen und eben auch geradelt wird, ist Radfahren als Ausdauersport auch bei Amateuren beliebt. Aber Achtung, diese Art Radfahren hat nichts gemein mit der Sonntagsausfahrt in den Stadtpark oder dem überwinden der paar Hundert Meter zwischen Wohnung und Büro auf dem Velo. Ausdauer-Radsport ist eine seriöse Sache, besonders Anfänger (Anfängerinnen sind natürlich immer mitgemeint) tun gut daran, sich unter die Obhut eines erfahrenen Trainers zu stellen. Sonst könnte das Training leicht zum Gesundheitsrisiko werden. Und schon hat der Amateur-Ausdauersportler ein Problem. Denn wer im Sommer fit sein will für den Wettkampf, müsste im Winter mit dem Training längst begonnen haben. Keine leichte Sache bei Schnee und Eis. Schwimmen kann man zur Not im Hallenbad, aber mit Laufen und Radfahren wirds drinnen schwierig. Daher zieht es die Radler-Cracks früh im Jahr in den Süden, nach Mallorca etwa oder gar nach Südafrika «wenn es denn der Geldbeutel erlaubt».

Jürgen Sessner, Chef von «Corpus», dem Sport- und Gesundheitszentrum Hilpoltstein, ist eine der ersten Adressen in Deutschland für trainingsversessene Triathleten. Das Winterloch umschifft er elegant, indem er regelmässig Trainingslager im Süden veranstaltet. Dreimal reiste er dieses Jahr mit seinen Schützlingen auf die kanarische Insel Lanzarote, «Medical Tribune Public» hat ihn im Februar dort aufgesucht.

Trainingslager «Alcatraz»

Weshalb gerade Lanzarote? «Ich finde die Insel ideal fürs Training. Nicht zu weit weg, noch nicht überlaufen und doch ziemlich wintersicher. Zudem haben wir im Club La Santa eine Basis, die keine Wünsche offen lässt.» Ja, der Club La Santa. Im Reiseführer wird der an der rauen Nordwestküste gelegene Komplex als «architektonische Scheusslichkeit» beschrieben, und Sportler haben ihm den Übernamen «Alcatraz» gegeben. Aber eines muss man dem von einer dänischen Stiftung betriebenen Zentrum lassen: Man kann ungefähr jede denkbare Sportart ausüben, von Boxen und Golf übers Windsurfen in der clubeigenen Lagune bis zu den klassischen Leichtathletik-Disziplinen. Besonders auf unsere Triathlon-Lehrlinge zugeschnitten sind das Stadion mit der 400m-Bahn, das 50m-Schwimmen mit mindestens 23 grädigem Wasser «und natürlich der Bike-Shop». Wer seine Ausrüstung nicht von zu Hause mitnehmen mag, kann sich dort eindecken. Eine Zeitlang waren speziell niedrig gebaute Triathlon-Räder (26 Zoll) in Mode, jetzt geht der Trend jedoch zurück zu den herkömmlichen Rennvelos.

Jede(r) darf mitkommen

Rund zwei Dutzend Sportbegeisterte sind Jürgen Sessner diesen Februar auf die «Insel des ewigen Frühlings» gefolgt. Besondere Voraussetzungen müssen eigentlich keine erfüllt werden. Jede(r) darf mitmachen. Nicht einmal ein ärztlicher Attest wird eingefordert: «Das liegt im Bereich der Eigenverantwortlichkeit jedes Einzelnen», findet Sessner. Selbstverständlich sind Grundkenntnisse in Radfahren, Schwimmen und Laufen von Vorteil, sonst vergeudet man Zeit und Geld. «Aber wir zwingen niemanden der Kursteilnehmer zu etwas, jeder kann mittun, so viel er will «und mag». Andererseits: Nach Ferienlager sieht der Trainingsplan der ersten Woche auch nicht gerade aus. Der Tag beginnt jeweils mit Schwimmtraining (7.45 bis 9 Uhr) unter dem wachsamen Auge von Ute Mückel, der weltweit besten Triathlon-Schwimmerin. Anhand von Video-Aufnahmen zeigt sie ihren Schützlingen jeweils hinterher auf, wie sie mit kleinen Stiländerungen grosse Fortschritte machen können. Und dann sind natürlich täglich Radtraining und Laufen angesagt, so zwischen drei und fünf Stunden. Auch in diesen Disziplinen figurieren in Triathlon-Kreisen bekannte Namen auf Jürgen Sessners Trainerliste: Heidi Jesberger, Timo Bracht und Alex Taubert. Letzterer ist deutscher Triathlon Langdistanz-Meister, hat zweimal den Zürcher Ironman gewonnen und geht auch kommenden 2. Juli wieder in Zürich an den Start.

Laktat bringts an den Tag

Die Kursteilnehmer sind also in guten Händen. Gleich schon am Montag um 11 Uhr schwingt man sich in die Sättel. Bergauf (wie meist auf der Insel der Vulkane) gehtís die 7,5 km von Santa nach Tinajo, dazu bläst (wie gewohnt) eine kräftige Brise, aber am ersten Tag zum Glück als Rückenwind. Gleichmässig fahren, im aeroben Bereich, also mit nur so viel Energieaufwand, wie vom eingeatmeten Sauerstoff verwertet werden kann, lautet die Aufgabe für diesen Probetripp. Oben angekommen wird Fahrerinnen und Fahrern das Ohrläppchen gepiekst, ein Tröpfchen Blut entnommen und der Laktatwert (Milchsäure) ermittelt (vgl. Box). «Der Laktatwert ist für uns ein wichtiger Indikator, um das Training der Kursteilnehmer individuell zu steuern», sagt Jürgen Sessner. Er hat zu diesem Zweck sein eigenes tragbares Labor mitgenommen. Längst nicht allen Kursteilnehmern gelingt es, bei diesem ersten Test den vorgegebenen Bereich von 2-4 mmol/l einzuhalten, wird während der Theoriestunde vom Mittwoch auskommen. Auf der Achterbahn Aber wir greifen vor. Der Montag schliesst mit freiem Training und einem 45minütigen Lauf, beides bloss in Magerschrift auf dem Trainingsplan eingetragen, also fakultativ. Aber die meisten wollen nichts auslassen, die Gunst der Stunde nutzen, und das wird einigen Probleme geben, wie sich später zeigt. Dienstag, Donnerstag, Freitag und Samstag geht es etwa im gleichen Stil weiter, mit leicht gesteigerten Anforderungen mit um die fünf bis sechs Trainingsstunden.

Höhepunkt für Radler ist der Freitag. Man ist fünf Stunden unterwegs. Gruppe 1 nimmt die 115 km zur Nordspitze der Insel unter die Räder, die reine Achterbahnfahrt mit Windböen von allen Seiten, eigentlich ein Höllenritt. Die «gemütliche» Gruppe 4 schafft an diesem Tag dagegen «bloss» rund 60 km durch den Vulkan-Nationalpark Timanfaya. Und auch am Mittwoch, dem «Kompensationstag», werden den Kursteilnehmern zwei Stunden individuelles Radtraining und/oder ein 45 Minuten- Lauf empfohlen, anschliessend einstündiges freies Schwimmtraining «so viel zum Ruhetag im Trainingslager.

Ein bunter Haufen

In diesem Stil gehtís weiter in die zweite Trainingswoche. Was sind das für Leute die so was freiwillig auf sich nehmen während ihrer kostbaren Ferien, und weshalb? Sind das alles verbissene und überehrgeizige Freaks? Nicht unbedingt «zumindest die Teilnehmer am Trainingslager scheinen nicht in diese Kategorie zu fallen. Bei aller Ernsthaftigkeit, mit der sie dem Training nachgehen, haben sie sich den Spass an der Sache bewahrt, so nach dem Motto «Mitmachen zählt mehr als Gewinnen».Zum Beispiel Erich. Auf den ersten Blick macht er keine ausgesprochen sportliche Figur, Durchschnitt wie Du und ich. Aber er wollte es wissen und buchte für sich und seinen Sohn eine Woche Triathlon-Trainingslager auf Lanzarote. Doch dann musste sich der Vater meist ohne seinen Sohnemann bergauf und im Gegenwind abmühen «der junge Mann blieb mit einer Erkältung im Club zurück. Erich machte alleine weiter, belegte eher die hinteren Ränge, was ihn jedoch nicht sonderlich verdross. Dafür blieben seine Laktatwerte im sicheren Bereich. Oder Fabio. Der 13jährige ist zusammen mit seinem Paten Jürgen hergereist, von dem hat er die Trainingswochen zu Weihnachten geschenkt bekommen. Der Junge schlägt sich ganz ausgezeichnet. Jedenfalls besser als sein Pate. «Ich habe eigentlich damit gerechnet, mit einer schnelleren Gruppe mitradeln zu können, aber jetzt bin ich bloss in Gruppe 4 «zusammen mit Fabio», so Jürgen ein bisschen enttäuscht.

Oder Ursula und Daniel, beide im Gesundheitsbereich tätig. «Als Kind habe ich Sport gehasst», erinnert sich Ursula, bis sie für sich das Laufen als Ausgleich zum Arbeitsalltag entdeckte. In dieser Disziplin schaffte sie es immerhin, den Berliner Marathon durchzustehen. Zum Triathlon kam Ursula eigentlich durch Daniel, gibt sie zu. «So haben wir mehr voneinender, es ist toll, zusammen zu trainieren.» Auf dem Rad war sie eh schon gut, nur (sportlich) schwimmen musste sie noch lernen. Auch Daniel startete, nachdem er als 20jähriger mit dem Rauchen aufgehört hatte, zunächst als Läufer, «Waffenläufer», präzisiert er. Danach entdeckte er das Mountainbike und sattelte mit 38 um auf Triathlon. Daniel war schon vor zwei Jahren mit dabei im Trainingscamp auf Lanzarote, um sich für den Ironman auf Hawaii fit zu machen. Er qualifizierte sich dann tatsächlich für diesen international prestigeträchtigsten Triathlon-Wettkampf «und durfte zusammen mit 60 weiteren Schweizer Amateuren ins «Mekka» der Triathleten pilgern. «Darauf bin ich heute noch stolz.»

Eine Form von Masochismus?

60 bis 90 Prozent ihrer Freizeit und eine gute Stange Geld wenden die beiden auf für ihr Steckenpferd. Steckt übertriebener Ehrgeiz, eine Art Sucht oder gar eine Form von Masochismus dahinter, sich derart ausschliesslich für das eine Hobby abzurackern? Oder was ists?«Das habe ich mich auch schon gefragt», meint Daniel nachdenklich. Auch er kennt die Theorie von den Endorphinen, den morphinähnlichen Substanzen, die sich bei körperlicher Anstrengung im Gehirn bilden und dort angenehme Gefühle erwecken. «Es stimmt, ich fühle mich ganz einfach gut nach dem Training.» Daneben hilft ihm der Triathlon-Sport aber auch, Distanz zu finden zu seinem Beruf, «draussen in der Natur zu sein, zusammen mit Gleichgesinnten, das ist für mich ein grosses Plus.»

Klassenschelte des Chefs

Mittwochabend der zweiten Woche. Wieder eine Theoriestunde. Jürgen Sessner ist nicht zufrieden mit seinen Zöglingen. Nicht etwa, weil diese zu faul sind und zu wenig Einsatz zeigen. Im Gegenteil. «Ich sehe eine ganze Anzahl verschnupfter Nasen vor mir. Und Daniel hat auch bereits Herpesbläschen auf den Lippen», beginnt Sessner seine Klassenschelte. Er nennt auch gleich den Grund: Überanstrengung. «Mit der Umsetzung der Trainingspläne hat es einmal mehr nicht optimal geklappt.» Dabei sind diese Programme Frucht jahrelanger Erfahrung, zugeschnitten für Amateure, die zu Hause vielleicht zehn Stunden die Woche trainieren. «Wenn die jetzt im Lager plötzlich auf 30 Stunden und mehr steigern, den Profi-Trainern nacheifern und ebenfalls noch eine Runde drauf geben, kommts nicht gut. Übertrainieren mit den einhergehenden hohen Laktatwerten schadet dem Immunsystem, macht anfällig für Infektionen.» Zum Glück habe das stürmische Wetter zwei Tage Zwangspause erfordert, «sonst läge jetzt die Hälfte von Euch im Bett».

Die natürliche Grenze …

Timo doppelt nach: «Es hat keinen Zweck, zu schnell zu viel zu wollen. Der Absturz ist brutal, eine Woche krank im Bett kann die Früchte einer ganzen Trainings-Saison kosten. Jedes Individuum hat seine natürlichen Grenze, die zu respektieren ist.» Ist denn aber die Versuchung nicht gross, der Natur ein bisschen nachzuhelfen, etwa mit EPO-Doping den Sauerstofftransport im Blut zu optimieren und so diese individuelle Grenze ein wenig hinauszuschieben? Jürgen Sessner winkt ab. Er glaubt nicht, dass seine Schäfchen zu solch illegalen Mitteln greifen. «EPO ist nicht so einfach erhältlich und viel zu teuer für Amateure.» Hoffentlich hat er Recht.

http://www.clublasanta.com

http://www.corpus-sport.de

Ursprünglich eine französische Erfindung

Der Triathlon, der Wettkampf in den drei Disziplinen Radfahren, Laufen und Schwimmen, wurde ursprünglich in Frankreich «erfunden». Unter der Bezeichnung «Les trois sports» fanden dort zwischen 1920 und 1934 regelmässig Wettkämpfe statt. Danach wurde es ruhig um den «Dreisport», bis er in den 70er Jahren in Südkalifornien als «Triathlon» neu entdeckt wurde. Einer der Teilnehmer des ersten Wettkampfes vom Herbst 1974, der Marineoffizier John Collins, war dann 1978 auch Mit-Organisator des ersten Hawaii-Ironmans. Der Hawaii-Ironman ist heute noch weltweit der bekannteste und spektakulärste Triathlon-Wettkampf.Es gibt die unterschiedlichsten Wettkampfdistanzen. Die Ironman resp. Langdistanz beispielsweise geht über 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km Laufen. Die olympische Kurzdistanz fordert den Sportlern 1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen ab. In der Volksdistanz sind noch 0,5/0,75 km im Wasser, 20 km auf dem Rad und 5 km laufend zu meistern. Dazwischen gibt’s noch die Wertung des Half-Ironman, die Mitteldistanz und die Kurzdistanz.

Doch existiert selbstverständlich nach oben keine Begrenzung. Die Verdoppelung und Verdreifachung der Ironman-Distanzen (Ultra-Triathlons) wurde bald überboten durch den Deca-Triathlon (über zehnfache Ironman-Distanz). Den Weltrekord in dieser Disziplin hält der Kanadier Eric Seedhouse mit genau 218 Stunden, 20 Minuten und 41 Sekunden «Pausen inbegriffen, versteht sich.Mehr dazu im Internet z.B. unter http://de.wikipedia.org/wiki/Triathlon

Nur nicht übersäuern!

Die Konzentration von Milchsäure (als Laktat) im Blut kurz nach einer körperlichen Anstrengung ist ein aussagekräftiger Indikator für den Trainingsstand eines Sportlers. Laktat entsteht im Organismus bei unvollständiger Verbrennung von Glukose. Wird der Muskulatur eine Leistung abverlangt, die mehr Sauerstoff benötigt, als durch das Blut herangeführt werden kann, bilden sich grössere Mengen Laktat. Ausdauer-Sportler müssen darauf hintrainieren, ihre Leistung nahe der aerob-anaeroben Schwelle erbringen zu können, dem Gleichgewichtszustand von Sauerstoffbedarf und Sauerstoff-Aufnahme. Diese Schwelle ist individuell verschieden, entspricht jedoch bei Sportlern etwa einem Laktatwert von 4 mmol pro Liter Blut. Liegt die Laktatkonzentration im Blut über längere Zeit höher, reagiert der Körper mit Leistungseinbruch, auch Muskelschäden können die Folge sein.

Der Laktat-König

Wie hat nun unsere Gruppe den Laktat-Test bestanden? Ganz unterschiedlich, kam am ersten Theorieabend heraus. Etwa die Hälfte hat die Aufgabe gelöst, die Bergfahrt zu bewältigen, ohne dass der Laktatwert über den gesetzten Wert von maximal 4 mmol/l anstieg. Gleichzeitig wurde ja auch die Herzfrequenz registriert, und so kann Volker Tzscheetzsch, der als Sportwissenschaftler die Gruppe betreute, jedem einzelnen Kursteilnehmer Tipps geben, in welchem Belastungsbereich, bei welcher Herzfrequenz er oder sie in den kommenden Tagen trainieren sollte. Ursula beispielsweise, die wir schon kennen gelernt haben, schaffte den Berg mit 2,6 Laktat bei einem Puls von 165, ziemlich gut also. Ihr empfiehlt Volker, etwas häufiger zu schalten. Erich hatte bei einem mittleren Puls von 140 nach der Bergfahrt 3 mmol/l Lakatat im Blut und lag damit im Mittelfeld. Und da gab es dann noch den «Laktat-König» Jochen, bei dem oben am Berg 15 mmol gemessen wurden. Alle Beteiligten hoffen, dass das ein Messfehler war. «Musterknabe» in bester Kondition war der Trainer und Profi-Triathlet Timo Bracht. Er war am schnellsten oben, und das bei einem Laktatwert von 2,1 und 150-160 Puls. Er ist ja auch optimal ausgerüstet, kann an einem Display am Lenker laufend Puls und abgegebene Leistung ablesen. 285 Watt waren es durchschnittlich auf der 7,5 km messenden Bergstrecke. «Es hat gar keinen Zweck, sich beim Training zu sehr zu verausgaben», mahnt er seine Schützlinge. «Denn 99 Prozent der im Wettkampf zu erbringenden Leistung müssen dann ja ebenfalls im aeroben Bereich erbracht werden.»

Zehn Fragen an den Sportmediziner Dr. med. Peter Jenoure*

Kann und darf jede Person ein Radtraining aufnehmen?

Im Prinzip darf jedermann von jung bis alt, Kind, Frau oder Mann ein Radtraining aufnehmen. Man könnte fast meinen, das Radfahren sei von den Ärzten erfunden worden! Es handelt sich physiologisch und biomechanisch um eine ideale Sportart, wären da nicht die Stürze und das Risiko der Verkehrsunfälle.

Was muss beachtet werden, bevor man ein intensives Radtraining aufnimmt?

Die Ausgangsbedingungen sind etwa gleich wie bei jeder anderen Sportart: ein guter gesundheitlicher Allgemeinzustand, den man ab einem gewissen Alter (etwa 30 Jahre) sportärztlich kontrollieren sollte. Zudem ist es «unter anderem «wichtig, elementare Trainingsgrundsätze zu respektieren und darauf zu achten, dass das Sportgerät dem eigenen Körper angepasst wird.

Ist Radfahren tatsächlich so gesund wie die Radler behaupten?

Was Radler behaupten, weiss ich nicht. Meist handelt es sich da um ein bisschen verrückte Typen, so dass hier möglicherweise Einschränkungen zu machen sind! Trainiert man aber vernünftig, progressiv, nach bewährten Trainingsgrundsätzen, achtet man auf ausreichende Ernährung und Flüssigkeitsersatz, und nimmt man Rücksicht auf die klimatischen Bedingungen (Hitze, Ozon, etc.), so ist Radfahren tatsächlich recht unbedenklich. Im Vergleich zum Joggen fehlen die Schläge durch den Bodenkontakt bei jedem Schritt, ein Teil des Körpergewichts wird vom Sattel getragen, um einige Vorteile zu nennen. Meine einzige Kritik: Die Sportart ist etwas einseitig, repetitiv. Koordinative Fähigkeiten kommen vielleicht nicht so sehr zum Zug, wie man sich dies von einem optimal abgestimmten Bewegungstraining wünschen würde.

Ist häufiges Trainieren bei 120 bis 180 Herzfrequenz unbedenklich für den Kreislauf? Gibtís keine Spätfolgen zu befürchten (Stichwort «Sportlerherz»)?

Grundsätzlich ist ein «Sportlerherz» eine gute Sache, es handelt sich um eine Anpassung des Herzmuskels an die athletische Arbeit. Wenn sämtliche bereits besprochenen Grundbedingungen respektiert werden, ist ein Radtraining unbedenklich. Was die empfohlene Pulsfrequenz, die sogenannte Trainingsfrequenz anbelangt, so kann man sie wohl mit Faustregeln bestimmen nach dem Motto: maximale Herzfrequenz gleich 220 minus Alter, Trainingsfrequenz 60-80 Prozent dieser maximalen Herzfrequenz. Eigentlich empfehle ich aber Sportlern aller Stufen einen seriösen Leistungstest auf dem Fahrradergometer, kombiniert mit Laktatbestimmungen. Daraus lassen sich differenziertere Empfehlungen ableiten.

Hat ein hoher Stoffwechsel-Umsatz (6000 kcal und mehr pro Tag) keine negativen Folgen?

Ein Stoffwechsel-Umsatz von 6000 kcal und mehr pro Tag wird nur bei Leistungen erreicht, wie sie von Spitzenradfahrern anlässlich von grossen Rundfahrten abverlangt werden. Wenn die Aufnahme mit dem Verbrauch in Einklang steht und wenn vor allem die Zusammensetzung der Diät korrekt ist, so kann der Körper solche Nahrungsmengen durchaus ohne negative Folgen verarbeiten.

Wenn die Ernährung hauptsächlich auf die Aufnahme von Kohlenhydraten ausgerichtet ist,Wie bereits könnten Ballaststoffe zu kurz kommen. Steigt da nicht z.B. das Darmkrebsrisiko?

Wie bereits erwähnt, sollte die Ernährung besonders bei intensivem Training ausgewogen sein, auch wenn Kohlenhydratbetont. Die sogenannte Ernährungspyramide muss auch bei diesen grossen verzehrten Quantitäten trotz hohem Kohlenhydrat-Anteil so gut wie möglich respektiert werden. Somit sollten die Ballaststoffe nicht zu kurz kommen und die Risiken sich im Rahmen halten. Im übrigen ist diese etwas extreme Ernährungsweise nicht die Regel, sondern entspricht momentanen Ausnahmesituationen.

Was sind die Folgen von hohen Laktatwerten fürs Muskelgewebe?

Eigentlich ist das Laktat kein grosses Problem. Es versäuert den Körper und vermindert so die Leistungsfähigkeit. Das Laktat wird aber dann nach einer körperlichen Anstrengung sehr gut verarbeitet. Muskelbeschwerden kann mit genügend bemessenen Erholungsphasen und «massnahmen wie Bädern, Massage, Schlaf, etc. begegnet werden. Der Stellenwert der Erholung und der Erholungsmassnahmen ist enorm, wird aber leider viel zu wenig beachtet. Nach einer Trainingssitzung braucht der Körper unbedingt eine ebenso organisierte «Erholungssitzung», wenn man so sagen kann.

Wie werden die Gelenke durch intensives Radtraining beansprucht?

Die sportmedizinischen Erkenntnisse über den Radsport zeigen, dass verschiedene Körperteile strapaziert werden können: Der Nacken, die Wirbelsäule allgemein, die Kniegelenke, die Handgelenke. Schliesst man die Folgen von Stürzen aus, handelt es sich dabei um sogenannte Überlastungserscheinungen, auch Mikrotraumata genannt. Auch diese negativen Störungen können durch Verwendung eines nach Mass angepassten Rades und sorgfältiger Pedaleinstellung auf ein Minimum reduziert werden. Wie in den meisten anderen Sportarten auch darf man sich zudem beim Radfahren nicht mit Radtraining begnügen. Kraft- und Beweglichkeitstraining für die Rückenmuskulatur, für das Becken sowie die kniestabilisierende Muskulatur ist eine sehr gute Prophylaxe, um diese Überlastungserscheinungen zu vermeiden.

Radfahren soll (wegen gestörter Blutzufuhr zu den Hoden) impotent machen. Stimmt das?

Diese Aussage hört man immer wieder, sie hat aber bloss anekdotischen Wert. Es kann tatsächlich zu Störungen und Schmerzzuständen mit Taubheitsgefühl im Damm- und Hodenbereich kommen. Aber diese Beschwerden sind sämtliche reversibel.

* Dr. Peter Jenoure wirkt als Sportarzt an der crossklinik in Basel.

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