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Chemie

Wie Eiweisse zum Singen gebracht werden

Eine neue Kompositionstechnik haben Forscher der Universität von Kalifornien ausgetüftelt: Ihnen ist gelungen, die Aminosäurensequenz von Proteinen als Musik darzustellen. Damit wollen sie unter anderem die Molekulargenetik für die Jugend interessant machen. Ausgehend von der Vorstellung, dass die ganze Welt von Musik durchdrungen sei, haben kluge Köpfe von Pythagoras bis Kepler und deren Nacheiferer bis heute immer wieder versucht, Naturphänomene, insbesondere solche aus dem Bereich der Astrophysik, musikalisch darzustellen: So ordnet die Theorie von Sphärenmusik und Sphärenharmonie den unterschiedlichen Umlaufzeiten der Planeten um die Sonne Tonintervalle zu, Musik wird zum ordnenden Prinzip des Weltraums erhoben.

Was dem Makrokosmos recht ist, soll dem Mikrokosmos billig sein, haben sich wohl Molekulargenetiker der University of California gedacht. In der Mai-Ausgabe der Zeitschrift «Genome Biology» beschreiben Rie Takahashi und Jeffrey H. Miller, wie der Aufbau von Proteinmolekülen, nämlich deren Aminosäurensequenz, hörbar gemacht werden kann. Die Autoren gehen gar so weit, das Resultat ihrer Bemühungen als «moderne Musik» zu bezeichnen. Und wie das Beispiel zeigt, tönt solche «Proteinmusik» tatsächlich ein wenig wie seriell komponierte Musik.

Für Jugend und Blinde. Dies ist ganz im Sinne von Takahasi und Miller. Denn ein erklärtes Ziel ihrer Arbeit war ja, mit der Verschmelzung von Wissenschaft und Musik vor allem bei jugendlichen Laien das Interesse für molekulargenetische Fragestellungen zu wecken. Daneben hoffen die beiden Wissenschaftler aber auch, sehbehinderten Kollegen ein Instrument in die Hand zu geben, mit dem sie trotz ihres Handicaps auf dem Gebiet der Genomforschung arbeiten können.

Wie man die Grenzen der Sinneswahrnehmungen überwinden kann, hatte ja laut den beiden Autoren zuvor schon Victor Wong demonstriert, ein blinder Meteorologie-Student an der Cornell Universität. Er entwickelte einen Lesestift und ein Computerprogramm, das die Farbabstufungen auf den Wetterkarten in die 88 Töne der Klaviertastatur übersetzt. Der junge Meteorologe kann jetzt also Wetterkarten hören statt lesen.

Synästhesie, etwa die Kopplung von akustischer und optischer Wahrnehmung, kann aber auch von Menschen erlebt werden, die aller Sinne mächtig sind. Ein Knall löst bei vielen oft auch einen optischen Reiz aus, und die dabei «gesehene» Farbe wird in der Regel desto heller wahrgenommen, je höher die Tonlage des akustischen Reizes war. Takahashi und Miller hoffen nun, mit ihrer Arbeit auch einen Beitrag zur Erklärung solch synästhetischen Erlebens zu leisten.

Knifflige Aufgabe. Versuche, genetische Information akustisch umzusetzen, hatte es schon zuvor gegeben, schreiben die beiden Forscher. Bemühungen, die Erbsubstanz direkt zum Tönen zu bringen, verliefen jedoch frustrierend. Denn die DNA benötigt ja bloss vier Buchstaben oder Basen, A, C, G und T, um die Erbinformation weiterzugeben. Blosse Vierton-Musik wäre jedoch eine eher langweilige Angelegenheit. Daher beschlossen die Kalifornier, ihr Augenmerk statt auf den Code (die DNA) lieber auf das codierte Produkt (die einzelnen Aminosäuren) zu richten. Denn immer eine Dreiergruppe der vier Buchstaben A, C, G und T (Triplett oder Codon) steht oder «codiert» für einen unter 20 Eiweissbausteinen. Das sind insgesamt 64 mögliche Kombinationen.

Als Testmolekül verwendeten die beiden menschliche Thymidylat-Synthetase, ein Enzym, das die Synthese von DNA steuert. Anfänglich wurde jeder der 20 Aminosäuren des Proteinmoleküls ein Ton zugeordnet, angefangen bei einer Oktave unter dem mittleren «C». Doch da man der Harmonie zuliebe im diatonischen System (mit insgesamt sieben Ganz- und Halbtönen) verbleiben wollte, ergaben sich auf diese Weise innerhalb von beinahe drei Oktaven immer wieder grosse und störende Tonsprünge. «Das Heraushören einer Melodie war so kaum möglich», berichten die beiden musikalischen Molekulargenetiker. Damit war klar: Die Proteinmusik musste sich dem menschlichen Ohr zuliebe mit einem Tonumfang von maximal zwei Oktaven zufrieden geben. Das ergibt aber im diatonischen System zu wenig Töne, um jede der 20 Aminosäuren individuell etikettieren zu können. Wie aber lassen sich unter diesen Vorgaben Verwechslungen vermeiden?

Dreiklänge und Rhythmen. Takahashi und Miller knackten die Nuss, indem sie jetzt erstens jeder Aminosäure einen Dreiklang zuordneten (statt bloss einen einzelnen Ton) und zweitens chemisch nahe verwandte Aminosäuren paarweise bündelten, sie im selben Akkord erklingen liessen. Damit die beiden Aminosäuren gleichwohl unterscheidbar bleiben, wird der Akkord einfach ein bisschen verschoben › der eine Proteinbaustein erklingt in der Grundstellung des Akkords (beispielsweise c’ › e’ › g’), dessen naher Verwandter dagegen im sogenannten Sextakkord (e’ › g’ › c’). Auf diese Weise bleiben die beiden Aminosäuren unterscheidbar, obwohl ihnen dieselben Dreiklangstöne zugeordnet sind. Und ein weiterer Vorteil: Mit dieser Verschlüsselung wird der Tonumfang der Proteinmusik auf 13 Schritte reduziert, was das Zuhören wesentlich erleichtert.

Die beiden Forscher gaben sich damit noch nicht zufrieden. Musik besteht ja nicht bloss aus Tönen, erst der Rhythmus macht den Reiz. Takahashi und Miller lösten das Problem, indem sie jeder Aminosäure gemäss der Häufigkeit ihres Vorkommens eine Dauer zwischen eins und vier zuordneten. Daraus resultiert die auf dieser Seite abgebildete Notenschrift, es sind die ersten paar Takte der vertonten Thymidylat-Synthetase. Wer kann, sollte versuchen, die Musik auf dem Klavier zu spielen. Die Proteinmusik ist aber auch per Internet im mp3-Format abspielbar. Das tönt tatsächlich wie aus einer neuen Welt. Irritierend ist vielleicht, dass es keine Pausen gibt. Dabei sind die doch auch Musik …

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