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Medizin

Wie der Blitz aus heiterem Himmel

Mit zunehmendem Alter steigt auch das Schlaganfall-Risiko

Die gute Nachricht vorweg: Im internationalen Vergleich kommt Hirnschlag unter der Basler Bevölkerung weniger häufig vor. Und die Mehrzahl der Betroffenen erholt sich wieder – vorausgesetzt, professionelle Hilfe ist rechtzeitig zur Hand. Der Schlaganfall – die Neurologen sprechen lieber von Hirnschlag – kann rund 170 Ursachen haben. «In 85 Prozent der Fälle verursacht eine plötzliche Blut-Unterversorgung des Gehirns die dramatischen Symptome», weiss Philippe Lyrer. Er ist Neurologie-Professor am Basler Universitäts-Spital und Leiter der dortigen «stroke unit», welche Diagnose und Therapie des Hirnschlags im ganzen Spital nach einheitlichen Kriterien organisiert. Wird nun ein Patient mit verdächtigen Symptomen wie etwa halbseitige Lähmung, Taubheit in den Gliedern und/oder Wahrnehmungs- und Sprechstörungen eingeliefert, gilts keine Zeit zu verlieren. «Je schneller wir mit der Behandlung beginnen können, desto grösser die Chancen, dass der Patient oder die Patientin die frühere Funktionsfähigkeit wieder erlangt», so Lyrer. Die Hälfte seiner Patienten wird innert drei Stunden nach Auftreten der Symptome eingeliefert, «ab sechs Stunden wird’s kritisch». Doch bevor mit der Behandlung begonnen werden kann, muss man mehr wissen über die Ursache. Meist ist eine Verstopfung von Gefässen, die das Gehirn versorgen, die Ursache für den plötzlichen Funktionsverlust unseres Denkapparates. «Das sieht man bereits im Computertomogramm sehr gut, und dann kann es nützlich und notwendig sein, das Gerinnsel mit thrombolytischen Medikamenten aufzulösen.» Geradezu gefährlich ist die Gabe dieser Medikamente jedoch, wenn der Schlaganfall eine Blutung im Gehirn als Ursache hat. Thrombolytische Wirkstoffe würden in diesem Fall die Situation nur noch verschlimmern. Überhaupt sehen Lyrer und seine Kollegen in der «stroke unit» ihre Hauptaufgabe darin, Schlimmeres zu verhindern. «Da geht es um triviale Dinge. Die Patienten realisieren oft nicht, dass sie krank sind, wollen wieder nach Hause. Wir müssen dafür sorgen, dass sie das Bett nicht verlassen, dabei hinfallen und sich möglicherweise die Hüfte brechen. Essen und Trinken sind tabu, weil die Gefahr des Verschluckens mit anschliessender Lungenentzündung besteht. Flüssigkeitsverlust muss via Infusion ausgeglichen werden. Liegt bereits eine Infektion vor, müssen wir die in den Griff bekommen, weil sonst die Gefässe noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden.»

Nach durchschnittlich zehn Tagen sind die Betroffenen so weit, dass mit der Rehabilitation begonnen werden kann. Denn laut Lyrer «stirbt man an Hirnschlag normalerweise nicht, man wird allenfalls behindert». Nur wenige, meist bereits sehr betagte Hirnschlag-Opfer verlassen die stroke unit nicht lebend. Die grosse Mehrheit wird in eine Rehabilitationsklinik verlegt. Eine schwere Halbseiten-Lähmung kann zwar auch dort nicht rückgängig gemacht werden, vielmehr gilt es zu lernen, trotz des Funktionsverlustes wieder zu gehen. Das Sprachvermögen kann zum Teil wieder antrainiert (Lyrer: «Logopäden vollbringen manchmal Wunder») oder durch nichtverbale Kommunikation ergänzt werden.

Bei alledem ist die psychische Belastung für Betroffene und Angehörige enorm. «Ein Hirnschlag weckt bei den Patienten Urängste, noch mehr als bei einem Herzinfarkt, ist doch das Zentrum des eigenen Denkens betroffen», so Philippe Lyrer. Selbstbild und –bewusstsein sind in den Grundfesten erschüttert, man weiss nicht, was man bereits verloren hat und ob nicht bald ein neuer Hirnschlag droht. «Ein riesiges psychologisches Problem», räumt der Neurologe ein.

Wer ist gefährdet?

Ein Hirnschlag ist laut Philippe Lyrer Folge des Zustandes der Blutgefässe sowie der Summe aller bereits vorhandenen Erkrankungen und Umwelteinflüsse. Dies gilt insbesondere für diejenigen Fälle, in denen eine arterosklerotische Gefässverengung oder ein Gerinnsel (Thrombus) verantwortlich ist für die plötzliche Blut-Unterversorgung des Gehirns. In diesem Bereich spielen dieselben Risikofaktoren eine Rolle, die auch zu einem Herzinfarkt führen können, also etwa Übergewicht, mangelnde Bewegung, Blutdruck/Blutfettwerte und vorab das Alter. «Ab Alter 45 nimmt das Hirnschlagrisiko alle zehn Jahre um den Faktor 2 zu», so der Neurologe Philippe Lyrer.

Daneben können aber auch junge und sportliche Menschen einen Hirnschlag erleiden. Etwa weil ihre Blutgefässe genetisch bedingt einen «Webfehler» haben und daher anfällig sind für eine Schädigung. Oder weil – gerade bei Sportlern – durch Überbeanspruchung der Halswirbelsäule die Gefässwand der Carotis-Arterie lädiert wird. «Allzuviel Bewegung ist eben auch nicht gesund», meint Lyrer dazu. Blutungen ins Hirngewebe hinein können vorkommen beim Platzen von Kapillargefässen wegen Überdruck oder nach Aneurismen (Ausbuchtungen) grösserer Arterien.

Tröstlich zu wissen, dass all dies in der Region Basel prozentual deutlich weniger häufig passiert als im Rest der Welt. «Besonders junge Menschen sind bei uns sehr selten betroffen», so Philippe Lyrer. Weshalb das so ist? «Offenbar ist der kardiovaskuläre Zustand der Basler Bevölkerung überdurchschnittlich gut», meint er. Zudem würden Risikofaktoren wie hoher Blutdruck und Blutfettwerte jeweils sofort und systematisch behandelt. «Die Versorgung ist bei uns recht gut, wobei man sich natürlich immer noch verbessern kann.»

Hirnschlag-Podium im baz-CityForum

Über Diagnose und Therapie des Hirnschlages wird am Mittwoch, 21. Juni um 19Uhr eine Podiumsveranstaltung im baz-CityForum am Aeschenplatz 7 durchgeführt. Es informieren und diskutieren gemeinsam mit einem ehemaligen Patienten:

Kurt A. Jäger, Professor und Leiter der Abteilung für Gefässkrankheiten (Angiologie) am Universitätsspital Basel: Wie die Erkrankung von Blutgefässen zum Hirnschlag führen kann.

Philippe Lyrer, Professor für Neurologie am Universitätsspital Basel, Leiter von «stroke unit» und Neurologie-Bettenstation: Diagnose und Sofortbehandlung des Hirnschlags.

Stefan Engelter, Privatdozent und Oberarzt Neurologie am Universitätsspital Basel, Leiter der Hirnschlag-Behandlungskette zwischen USB und Neuro-Rehabilitation: Die Rehabilitation nach einem Hirnschlag.

Moderation: Ulrich Goetz.

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