Kategorien
Gesundheitspolitik

Tiefere Prämie dank Verzicht auf Arztleistung?

Das kranke Schweizer Gesundheitswesen

Das Schreckgespenst Rationierung und Thesen zur Verbesserung der Effizienz waren Themen am ersten Schweizer Kongress für Gesundheitsökonomie. Dabei wurden auch unkonventionelle Vorschläge zur Gesundung diskutiert. «Wie viel Rationierung erträgt der Patient?» lautete provokativ der Titel der Plenardiskussion. Provokativ waren dann auch die Thesen, die vergangenen Freitag am ersten schweizerischen Kongress für Gesundheitsökonomie auf den Tisch des Kongresssaals im Berner Inselspital gelegt wurden.

Schon an der Auslegung dessen, was unter Rationierung im Gesundheitswesen zu verstehen sei, schieden sich die Geister. Die einen – darunter die Zürcher SP-Kantonsrätin Erika Ziltener, die stellvertretend für die schweizerischen Patientenstellen sprach – sahen eigentlich nur im Bereich der Organtransplantation ein Problem, «weil hier ein knappes Gut, nämlich Spenderorgane, einer übergrossen Nachfrage gegenübersteht». Mit der Folge, dass die Zuteilung irgendwie von irgendwem geregelt werden muss.

Es herrscht Rationierung

«Stimmt alles nicht», meinte dagegen Roger Kübler, Direktor Spital Bern. «Rationierung ist im Spital heute der Alltag.» Im öffentlichen Spital, das permanent unter Kostendruck steht, seien die Ärzte täglich mit Entscheidungen konfrontiert, die letztlich auf Rationierung hinauslaufen. Etwa wenn sich die Frage stellt, einem Patienten das neuste Medikament zu verabreichen, wenn doch ein kostengünstigeres zur Verfügung steht – dessen bekannte Nebenwirkungen dann halt in Kauf genommen werden. Oder: Wer bestimmt, unter welchen Kriterien und wann den Angehörigen eines unheilbar Kranken auf der Intensivstation schonend beigebracht wird, es sei wohl vernünftiger, auf zusätzliche lebensverlängernde Massnahmen zu verzichten? Oft bestimmten die Platzverhältnisse auf der Station diesen Zeitpunkt. «Das alles läuft doch auf eine Rationierungs-Medizin hinaus», ist Roger Kübler überzeugt.

Ähnliches spiele sich auch in den Spitälern des Kantons Zürich ab, warf Erika Ziltener an dieser Stelle ein. Die Sparmassnahmen, welche die Zürcher Gesundheitsdirektorin Verena Diener angekündigt hat, könnten den Komfort der Allgemeinpatienten empfindlich schmälern. So würden Vierer-Zimmer wieder die Norm, am Essen werde eingespart und für nicht dringliche Operationen könnte es künftig Wartelisten geben. 80 Millionen Franken will der Kanton mit diesen Massnahmen bis 2007 einsparen.

Doch kann man von Rationierung im Gesundheitswesen sprechen, wenn am Komfort Abstriche gemacht werden und das eigentliche Ziel die effizientere Nutzung von sich verknappenden Mitteln ist? Nein, meinte der Solothurner SVP-Nationalrat Roland Borer. Wer es will, soll eine Kranken-Zusatzversicherung abschliessen. «Das kommt darauf an, wen man fragt», äusserte dagegen Pius Gyger als Vertreter der Krankenkasse Helsana. «Die Leistungserbringer (sprich Ärzte) können gut damit leben, aber von Seiten der Patienten wird’s einen Aufschrei geben.» Schlimm findet er jegliche Art von Rationierung, «wenn es keine Regeln gibt, die für jedermann einsehbar sind».

Regeln nicht in Sicht

Solche Regeln sind allerdings weit und breit nicht in Sicht. Noch weniger mehrheitsfähige Vorstellungen gibt’s darüber, wer solche Regeln aufstellen und überwachen sollte. Der Bund mittels einer zentralen Rationierungsstelle? Das werden die Kantone nie zulassen. Die Ärzte? Denen traute niemand im Saal diese Rolle zu, weil sie als «Leistungserbringer» von Natur aus nicht unbedingt interessiert sind, kostengünstig zu arbeiten. Die Krankenkassen? «Die leben immer noch in ihrer Kässeli-Mentalität und funktionieren bloss als Zahlstelle: Prämiengelder einnehmen und umverteilen», merkte der Solothurner SVP-Nationalrat Roland Borer bissig an. Und auch den Kantonen traut er sowas nicht zu: «Das hat sich im Spitalsektor gezeigt, wo wir jetzt dank dem Kantönligeist ein unbezahlbares Überangebot am Hals haben.» Die Politiker? «Die leben im Vierjahresrhythmus und machen den Leuten vor, alles sei möglich und die Gemeinschaft komme für die Kosten auf», so Borers Urteil über seine Kollegen.Wo bleibt die Solidarität?

Es war dann Gesprächsleiter Urs Zanoni, der eine weitere Lösungsvariante zur Diskussion stellte: Weshalb den Entscheid nicht jedem Einzelnen überlassen? «Individuelle Rationierung» nennt Zanoni dies – und würde folgendermassen funktionieren: Jeder könnte aus dem Katalog der Krankenkassen auswählen, welche Leistungen er vergütet haben möchte und welche nicht. Zum Beispiel könnte sie oder er eine Organtransplantation von der Versicherung ausschliessen und damit – um eine Zahl zu nennen – lebenslang fünf Prozent der Prämie sparen. Wird dann später trotzdem eine Transplantation nötig und gewünscht, müsste diese aus dem eigenen Sack bezahlt werden.

Selbstredend blieb auch diese Idee im Gremium nicht ungeschoren. Wo da der Solidaritätsgedanken bleibe, wurde etwa moniert. Oder ob es praktikabel und vernünftig sei, einen gesunden 20-Jährigen entscheiden zu lassen, wie seine Bedürfnisse aussehen werden, wenn er einmal alt und krank ist.

Kühne Ideen

Andererseits könnte gerade ein solcher in jungen Jahren gefällter Entscheid das eigene Risikoverhalten positiv beeinflussen: Wer weiss, dass die Krankenkasse ihm eine neue Leber, Lunge, Niere oder ein neues Herz nicht bezahlen wird, trägt vielleicht besser Sorge zu seiner Gesundheit. Indem er weder raucht, trinkt, noch Drogen konsumiert und sich körperlich fit hält. Alles Wunschdenken, vielleicht. Aber ausprobieren könnte man es ja. Es sei denn, Professor Peter Zweifel, Leiter des Sozialökonomischen Instituts der Universität Zürich, hat tatsächlich Recht mit seiner Feststellung, dass «sich der einzelne Schweizer gar nicht so sehr aufregt über die hohen Gesundheitskosten». Dann könnte man ja alles lassen, wie es ist.

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung