Weshalb klinische Studien immer öfter in Entwicklungsländer ausgelagert werden
Als «neuen Kolonialismus» brandmarkt der indische Medizinethiker Anant Bhan den Trend, klinische Medikamententests in der Dritten Welt durchzuführen. Anant Bhan referierte vergangene Woche in Basel über seine Thesen. Es gibt viele gute Gründe, manche neue Arzneien in Entwicklungsländern zu testen, bevor sie auf den Markt gelangen. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von neuen Malaria-Medikamenten oder Aids-Impfstoffen beispielsweise werden vernünftigerweise dort untersucht, wo später dann auch deren Einsatzgebiet liegt. Und das sind leider eben oft die Entwicklungsländer.
Geringere Kosten
Daneben sind aber oft rein wirtschaftliche Überlegungen der Beweggrund, dass die Durchführung klinischer Studien immer häufiger in die Dritte Welt verlagert wird. «Patienten sind dort einfacher zu rekrutieren, die Ärzte arbeiten günstiger und geniessen in der Regel das blinde Vertrauen ihrer oft des Lesens und Schreibens unkundigen Patienten. Zudem sind die Vorschriften weniger streng oder werden lässiger gehandhabt als in den Industrieländern.» So schilderte der indische Medizinethiker Anant Bhan vergangene Woche an einem Workshop in Basel die Zustände aus seiner Sicht. Eingeladen hatten das Universitätsspital Basel, die Akademie der Medizinischen Wissenschaften und das Tropeninstitut, um Modelle für die Forschungszusammenarbeit mit Entwicklungsländern zu diskutieren. Mit Anant Bhan wurde ein streitbarer Referent engagiert.Zwar zähle sich Indien längst nicht mehr zu den Entwicklungsländern, «aber auch bei uns sind Forschungsinstitute, die sich aufs Testen von Medikamenten spezialisiert haben, wie Pilze aus dem Boden geschossen, es ist ein wahrer Krieg um Patienten ausgebrochen». Klinische Forschung sei in Riesengeschäft geworden. «Geschäfte machen aber auch Pleite, und wer kümmert sich dann um die Patienten?»
Ethiker gefordert
Daher müssten in Drittwelt-Ländern nicht bloss die Forschungs-, «sondern auch die Ethik-Kapazitäten ausgebaut werden», fordert der Medizinethiker. Lokale Gesetze und Bestimmungen seien wo nötig den internationalen Standards anzupassen, «selbstverständlich unter Berücksichtigung kultureller Sensibilitäten etwa in der islamischen Welt».
Nun, mit seinem Plädoyer rannte Anant Bhan offene Türen ein – zumindest bei den anwesenden Kollegen. Doch vermochten diese am Workshop auch durchaus positive Beispiele für die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Erster und Dritter Welt zu schildern. So konnte etwa der Basler Pneumologe Michael Tamm Studienresultate vorlegen, welche die Effektivität der Bronchoskopie für die Tuberkulose-Diagnose in Entwicklungsländern bestätigten. Christian Burri seinerseits stellte die Strategie vor, mit der das Tropeninstitut in den vergangenen fünfzehn Jahren die Behandlung der Schlafkrankheit in den ländlichen Regionen Afrikas verbessern konnte. Und Niklaus Gyr – er sprach für das Universitätsspital Basel – erinnerte daran, wie sehr auch Entwicklungsländer von der einmaligen Schweizer Aids-Kohortenstudie profitieren können.
Partnerschaft
Am Workshop war man sich mit Anant Bhan einig, dass bei alledem nur «langfristige Partnerschaft» zum Erfolg führen kann. Marcel Tanner, Direktor des Schweizerischen Tropeninstituts, brachte es auf den Punkt: «Man kann nicht einfach kommen, ein paar Tests durchführen, und dann seine Sachen wieder packen.» Solche Studien seien schon deshalb wertlos, weil die Nachbeobachtung und -betreuung nicht gewährleistet seien. «Etwa 300 Substanzen, HIV-Impfstoffe, Medikamente gegen Malaria und Tuberkulose, sind in der Pipeline und müssen getestet werden», so Tanner. Dazu fänden sich in den Industrieländern schlicht nicht genügend geeignete Versuchspersonen. In den Entwicklungsländern hingegen sei das Potenzial gross. Und nutzbar, «sofern wir dort helfen beim Aufbau und Vernetzen der medizinischen Zentren, bei der Aus- und Weiterbildung des Personals in Ethik, im klinischen Handwerk und bei der Datenverarbeitung». Dabei sieht sich Tanner durchaus nicht als Heilsbringer so nach dem Motto «Der Westen weiss es am besten». Denn bei den gemeinsamen Bemühungen herauszufinden, ob auch in der Praxis anwendbar ist, was im Labor funktioniert, «lernen beide Seiten. Wir bringen immer auch etwas zurück.» Gut zu wissen, wenn man bedenkt, dass auch in der klinischen Forschung der Ersten Welt zuweilen indische Verhältnisse herrschen sollen …