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Gesundheitspolitik

Geld gegen Leben – dieser Vorwurf stimmt nicht

Wie Zusatzkosten in Relation zu einem Zusatznutzen gebracht werden können

«Eine Nutzenmessung im Gesundheitswesen verlangt von den Beteiligten nichts Unmögliches oder Unethisches, sondern liefert Informationen, die anderweitig nicht verfügbar sind»: Professor. Dr. Peter Zweifel, Leiter des Sozialökonomischen Instituts der Universität Zürich, stellte am 1. Schweizerischen Kongress für Gesundheitsökonomie eine pragmatische Methode vor, wie Zusatzkosten in Relation zu einem allfälligen Zusatznutzen gebracht werden können. Im Gesundheitswesen drehe sich die Debatte meist bloss um die Kosten, monierte Prof. Zweifel, «aber vom Nutzen redet kaum jemand». Dabei bestehe die Gefahr, dass ohne Kenntnis der Nutzenwirkung von Reformvorschlägen die Entscheide nicht im Interesse der Versicherten fallen. Doch wie kann man den zusätzlichen Nutzen einer Massnahme messen? Für Prof. Zweifel ist das keine Hexerei. Er hat zusammen mit Kollegen ein ausgeklügeltes Befragungssystem entwickelt, mit dem er herausfinden kann, wie viel Geld ein Versicherter für eine bestimmte Zusatzleistung auszugeben gewillt ist resp. wie gross die marginale Zahlungsbereitschaft (MZB) für eine solche Massnahme wäre.

Hüftprotektor als Beispiel

Als Beispiel stellte Prof. Zweifel zur Diskussion, ob sich die Gratisabgabe von Hüftprotektoren an Senioren für das Gesundheitswesen rechnen würde. Immerhin könnte ein Protektor zum Preis von 80 Franken die Träger mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% vor einer Fraktur bewahren. Andererseits ist der Schutz sehr kompliziert anzuziehen und stört auch beim Tragen. Befragt wurden nun 522 über 70-jährige Personen, ob sie einen solchen Protektor kaufen würden resp. wie viel Geld ihnen ein solches Gerät wert wäre. Das Resultat ist einigermassen ernüchternd, betrug doch die MZB minus 299 Franken, das heisst, dem Durchschnitt der Befragten müsste man noch 299 Franken draufzahlen, damit sie sich das Ding umschnallen. Eben weil der Vorteil der Risikoreduktion angesichts der komplizierten Handhabung und des schlechten Tragkomforts als viel zu gering erachtet wurde. Weiter wurde untersucht, ob sich eine Gratisabgabe des Hüftprotektors fürs Gesundheitswesen lohnen könnte angesichts der Tatsache, dass eine Fraktur durchschnittlich 63 000 Franken Heilungskosten verursacht. Ein Tragtest mit 120 000 Teilnehmern über zwei Monate ergab eine Compliance von 10%, also nur 12000 Personen trugen den Protektor regelmässig. Entsprechend könnten ganze 150 Frakturen verhindert und so 9,45 Millionen Franken eingespart werden. Demgegenüber schlug die Gratisabgabe mit 9,6 Millionen Franken zu Buche und ist somit ein Verlustgeschäft. Fazit: Eine Gratisabgabe lohnt sich zur Zeit nicht, bevor nicht der Tragkomfort und damit die Compliance besser werden.

Freie Arztwahl lieb und teuer

Prof. Zweifel zeigte auch, wie die Rechnung umgekehrt aufgemacht werden kann, nämlich um wie viel sich die Krankenkassenprämie verringern müsste, damit eine Leistungsschmälerung hingenommen wird (marginale Kompensationsforderung, MKF). Dabei stellt sich heraus, dass den Schweizern die freie Arztwahl besonders lieb und teuer ist, die man sich höchstens für durchschnittlich 103 Franken Prämienrabatt abkaufen liesse. Zum Vergleich: Eine eingeschränkte Spitalwahl würde die Krankenkassen bloss 37 Franken Prämienrabatt kosten. Zwar räumte Prof. Zweifel ein, dass es sich bei diesen Zahlen um hypothetische Ergebnisse handle. «Wie sich die Befragten verhalten, wenn es dann ernst wird, ist eine andere Sache.» Doch könnten solche Befragungen zumindest helfen, sich über die Präferenzen der Versicherten Klarheit zu verschaffen und die Krankenkassen dazu ermuntern, ihren Kunden massgeschneiderte Angebote zu unterbreiten.

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