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Medizin

HIV/Aids: Was tun, wenn die Mutter HIV-infiziert ist?

Durch ärztlicher Betreuung kann die Übertragung aufs Baby vermieden werden

Als HIV-Infizierte ein Kind zu gebären, ist für den Nachwuchs nicht mehr gar so riskant wie noch vor 15 Jahren. Bei guter ärztlicher Betreuung kann die Übertragung des Virus aufs Baby ziemlich sicher vermieden werden. In Basel diskutierten Experten, wie man es am besten macht. Angenommen, eine Aids-kranke Frau wird schwanger. Was ist zu tun? Soll der Arzt auf einen Schwangerschaftsabbruch drängen? Oder man stelle sich vor, ein HIV-infiziertes Paar möchte gerne eine ganz normale Familie mit Kindern gründen. Können und dürfen die beiden ihren Traum verwirklichen? Sodann ist da ein Baby, das während der Geburt von seiner Mutter mit dem die Immunschwäche auslösenden Virus angesteckt wurde. Wie und ab welchem Alter soll es behandelt werden?

All dies sind nicht bloss akademische Fragen, sondern Fälle aus der ärztlichen Praxis, wie sie kürzlich an einem Symposium im Basler Zentrum für Lehre und Forschung von in- und ausländischen Experten diskutiert wurden. 2000 Babys werden täglich weltweit bei der Geburt von ihren Müttern mit dem HI-Virus angesteckt. Weil dies meist in Entwicklungsländern passiert, wo die Chancen für eine fachgerechte Behandlung minimal sind, sterben diese Kinder dann in der Regel eher früher als später an den Folgen der Immunschwächekrankheit Aids. Auch hier in der Schweiz war die Übertragung des HIV von der Mutter aufs Kind noch vor 15 Jahren ein Problem: Jedes vierte von einer HIV-infizierten Mutter geborene Kind bekam damals den gefährlichen Erreger mit auf den Lebensweg.

Inzwischen ist das Ansteckungsrisiko in den Industrieländern auf zwei Prozent gesunken. «Somit ist die Mutter-Kind-Übertragung hierzulande zahlenmässig kein grosses Thema mehr», räumt der Kinderarzt Christoph Rudin im Gespräch mit der BaZ ein. Er ist Professor für Pädiatrie am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) und hat sich während der vergangenen zwanzig Jahre mit der Problematik auseinandergesetzt. Gemäss Rudin wurden seit 1985 in der Schweiz 210 Kinder mit dem HIV geboren oder während der Geburt angesteckt, 70 sind inzwischen gestorben. «Auch wenn dies zum Glück keine grossen Zahlen sind: Betreuung und Beratung der jungen Patienten und deren Familien, die es dann tatsächlich trifft, sind sehr aufwändig.» Rudin war auch einer der Organisatoren des Symposiums und ist erfreut, dass der Meinungsaustausch mit seinen ausländischen Kollegen derart gut funktioniert hatte.

Denn eine über nationale Grenzen hinweg gültige Lehrmeinung, wie mit dem Problem umzugehen sei, gibt es nicht. Das beginnt bereits bei der Frage, ob die Gesellschaft HIV-positive oder Aids-kranke Frauen in ihrem Wunsch, eigene Kinder zu haben, unterstützen soll. Einige Länder sind in dieser Hinsicht sehr restriktiv. «Hier in der Schweiz sind wir zur Einsicht gekommen, dass es kontraproduktiv ist, betroffenen Frauen den Kinderwunsch auszureden», so Rudin. Die würden dann einfach in eine andere Stadt oder gar ins Ausland ausweichen, womit weder Mutter noch Kind gedient sei. Damit möglichst alle Risikopersonen erfasst werden können, gelte seit dem vergangenen Jahr die Direktive, dass Gynäkologen den von ihnen betreuten Schwangeren dringend raten, sich auf HIV testen zu lassen. Dies geschieht laut Rudin leider noch nicht lückenlos, aber wenigstens könnten dann diejenigen Mütter, die sich als infiziert herausstellen, fachgerecht behandelt – und insbesondere die Ansteckung ihrer Kinder bei Geburt verhindert werden.

Und da gibt es doch schon ermutigende Resultate. «Der erste Durchbruch wurde erzielt, als man die vorbeugende Wirkung von Retrovir (AZT) entdeckte», erinnert sich Rudin: Werden Schwangere mit dem Aids-Medikament behandelt, sinkt das Infektionsrisiko fürs Neugeborene von erwähnten 25 bereits auf acht Prozent.

Eine zweite wirkungsvolle Massnahme hat sich als Erstes in der Schweiz durchgesetzt, nämlich der so genannte elektive Kaiserschnitt. Dabei geht es darum, das Kind noch vor Einsetzen der Wehen und jedenfalls vor dem Reissen der Fruchtblase per Operation auf die Welt zu bringen. Denn es ist erwiesen, dass das Infektionsrisiko fürs Neugeborene vor und während der Geburt, wenn es mit dem Blut der Mutter in Kontakt kommt, am grössten ist.

Andererseits stehen zur Behandlung der infizierten Mutter seit ein paar Jahren derart potente Arzneien zur Verfügung, dass die zusätzliche Schutzwirkung eines Kaiserschnitts fraglich ist und denn auch am Symposium kontrovers diskutiert wurde. «Wir halten es in Basel so, dass Schwangeren auf ausdrücklichen Wunsch hin bei unmessbarer Viruslast im Blut auch eine Vaginalgeburt ermöglicht wird, allerdings in der Erwartung, dass sie sich genau ans Medikamenten-Regime halten und auf das Stillen des Kindes verzichten», so Rudin. Denn auch Letzteres sei ein Risiko, dem man sich bei uns, wo es genügend gute Babynahrung zu kaufen gibt, nicht aussetzen sollte.

Kinder haben gute Chancen

Doch selbst wenn es trotz aller Vorsichtsmassnahmen zu einer Übertragung von der Mutter aufs Baby kommt, hat das Kind heutzutage eine gute Chance, wie jedes andere aufwachsen zu können – vorausgesetzt es wird optimal betreut. «Die Frage ist unter anderem, wann mit der medikamentösen Behandlung angefangen werden soll», fasst Rudin die Diskussionen am Symposium zusammen. Vielen Kindern gehe es nämlich trotz HIV-Infektion jahrelang gut. Bereits im Frühstadium der Infektion mit der Medikamentenbehandlung zu beginnen, die teils schweren Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen und dabei erst noch möglicher-weise das Pulver frühzeitig zu verschiessen, wolle genau überlegt sein. «Eine allgemeingültige Regel lässt sich nicht aufstellen. Denn man weiss noch viel zu wenig über das Immunsystem von Kindern, ausser, dass es sich von demjenigen der Erwachsenen grundlegend unterscheidet», so Rudin. Man müsse eben jeden Fall individuell abklären. Dies geschieht in Basel innerhalb eines Gremiums, der Aids-Forschungsgruppe, in der Infektiologen, Frauen- und Kinderärzte an einem Tisch sitzen: «Eine Konstellation, die vorab auch von den betroffenen Familien und Kindern sehr geschätzt wird», weiss Rudin.

Normalste Sache der Welt?

Ists also bereits die normalste Sache der Welt, wenn HIV-infizierte Paare Eltern werden? Das doch nicht gerade. Aber ein grosses gesundheitliches Risiko ist es heute fürs Kind nicht mehr. Denn HI-Viren können bereits routinemässig aus dem Samen eines zukünftigen Vaters herausgewaschen werden, «das ist zwar nicht ganz einfach, aber es funktioniert», versichert Rudin. Auch die medikamentöse Behandlung der Schwangeren ist eine weitgehend sichere Sache. Das Ungeborene läuft allenfalls Gefahr, zu früh zur Welt zu kommen, was allerdings an sich schon ein Risikofaktor ist. Doch das Kind wird mit grosser Wahrscheinlichkeit gesund aufwachsen, selbst wenn es zur kleinen Gruppe derjenigen gehören sollte, die das HIV zeitlebens mit Medikamenten in Schach halten müssen.

Manchmal wird nachgeholfen

Jedenfalls sehen der Basler Kinderarzt Christoph Rudin und seine Kollegen in der Aids-Forschungsgruppe aus medizinischer Sicht keinen Grund, einer Schwangeren wegen deren HIV-Infektion zur Abtreibung zu raten. Im Gegenteil: Wenn sich der Kinderwunsch auf natürlichem Weg nicht erfüllen lässt, ohne den möglicherweise nicht infizierten Partner zu gefährden, wird je nach Umständen auch mit den modernen Methoden der Fortpflanzungsmedizin nachgeholfen. «In dieser Hinsicht werden HIV-infizierte Paare genau gleich behandelt wie alle übrigen», versichert Rudin.

Weshalb nicht alle HIV-Infizierten Aids bekommen

Warum erkranken einige wenige HIV-Infizierte auch ohne Medikamentenbehandlung nicht an Aids? Ein schweizerisch-amerikanisches Forscherteam unter der Leitung des Basler Oberarztes Christoph Hess hat dafür eine Erklärung gefunden.

Das Phänomen ist so alt wie die Krankheit selber. Einige wenige mit dem HIV infizierte Menschen haben Glück im Pech, da ihr Körper offensichtlich mit dem Virus zu leben lernt: Die Immunabwehr bleibt erhalten, und keine der gefürchteten unter dem Begriff Aids zusammengefassten Begleiterkrankungen bricht aus.

«Langzeitüberlebende» werden diese Menschen genannt, die zum Teil bereits während Jahrzehnten ohne Beschwerden mit dem Aids-Virus leben. Eine weitere Minderheit unter den Infizierten wiederum kann die teure und mit teils unangenehmen Nebenwirkungen einhergehende antiretrovirale Kombi-Behandlung (Haart) ungestraft für einige Zeit absetzen, ohne dass die HI-Viren-Zahl im Blut auf kritische Werte ansteigt oder das Aids-Syndrom ausbricht. Es liegt auf der Hand, dass die Aids-Forscher fasziniert sind von diesen Spezialfällen. Denn sie könnten Hinweise liefern, wie die Infektion im Gros der Betroffenen vielleicht einmal unter Kontrolle gebracht werden kann, ohne oder zumindest mit deutlich geringerem Medikamenten-Einsatz.

Killerzellen der besonderen Art

Einen Erklärungsversuch für diese unerwartete Resistenz gegenüber dem HI-Virus liefert nun eine internationale Forschergruppe unter der Leitung des an der Basler Uni-Klinik tätigen Oberarztes Christoph Hess. Er hat während eines Aufenthaltes in Boston auf diesem Gebiet geforscht. Zunächst standen Hess und seine amerikanischen Kollegen vor dem Rätsel, weshalb im Blut sowohl von HIV-resistenten als auch HIV-anfälligen Infizierten grosse Mengen der so genannten CD8+-Killerzellen zirkulieren. Diese Killerzellen haben eigentlich die Aufgabe, vom HIV befallene Strukturen zu eliminieren. Aber weshalb tun sie dies nur bei den wenigsten HIV-Infizierten?

Christoph Hess und seine Kollegen vermuteten (wie andere Forscher zuvor), dass nicht allein die Quantität der Killerzellen deren Effizienz ausmacht, sondern vor allem deren Qualität. Dem Team gelang es nun, auf diesen Immunzellen zwei Oberflächenstrukturen zu definieren, anhand deren die qualitativ hoch stehenden («reifen») von den qualitativ schlechten («unreifen») Killerzellen unterschieden werden können. Damit hoffen Hess und seine Kollegen einen Test in der Hand zu haben, der darüber Auskunft gibt, ob im Blut eines HIV-Infizierten effiziente Killerzellen zirkulieren.

Zumindest bei dem halben Dutzend Langzeitüberlebenden, bei denen der Test bis jetzt angewandt wurde, hat sich die These bestätigt: Bei ihnen finden sich (im Gegensatz zum Gros der HIV-Infizierten) vorwiegend Killerzellen mit den oben erwähnten Oberflächenstrukturen, die auf eine effiziente Immunantwort hinweisen.

Folgen für die Aids-Behandlung

Falls sich die Arbeiten von Hess und Kollegen in weiteren Studien bestätigen lassen, hätte das einige Folgen für die HIV-Behandlung. Zum Beispiel für den Zeitpunkt, zu dem mit der Medikamenten-Abgabe begonnen wird: Da man davon ausgeht, dass die Qualität der Killerzellantwort in der Frühphase der Infektion wegen der massiven Viruslast entscheidend beeinträchtigt wird, müsste logischerweise möglichst früh mit der Anti-HIV-Behandlung begonnen werden, meint Christoph Hess gegenüber der BaZ. Und bei HIV-Infizierten, bei denen der Hess’sche Test einen hohen Anteil an reifen Killerzellen nachweist, könnte eher einmal ein Therapieunterbruch gewagt werden. Vorteile hätte der Test auch für Impfstudien. Demnach wäre nicht bloss nach der Anzahl der als Immunantwort auf den Impfstoff gebildeten Killerzellen Ausschau zu halten, sondern auch deren Reifegrad respektive Qualität zu berücksichtigen.

Doch all dies ist – so betont Christoph Hess – noch Zukunftsmusik. Zuerst gelte es, die gefundenen Resultate in einer gross angelegten Langzeitstudie zu bestätigen. Erst danach könne man Schlüsse ziehen für die Prävention und Behandlung von HIV-Infektionen.

«The Lancet», Vol 363. March 13, 2004. Christoph Hess konnte diese Arbeit während eines Boston-Aufenthaltes dank finanzieller Unterstützung durch Basel und den Schweizer Nationalfonds durchführen.

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