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HIV/Aids: Aids-Konferenz wird zum Promi-Treffen

20 000 Fachleute wollen in Toronto Strategien gegen die Aids-Pandemie beraten

Bill Clinton wird die Konferenz mit seiner Anwesenheit beehren, Prinzessin Mette-Marit von Norwegen sowie Filmstar Richard Gere wollen mit dabei sein, Bill und Melinda Gates werden gar das Wort ergreifen: Die 16. Internationale Aids-Konferenz in Toronto wird als Promi-Treffen in die Geschichte eingehen. Und das ist gut so. Die «AIDS 2006» in Toronto wird der Vorgänger-Veranstaltung in Bangkok vom Jahr 2004 in nichts nachstehen. Wiederum werden vom 13. bis 18. August etwa 20 000 Teilnehmer erwartet, 400 Veranstaltungen stehen auf dem Programm mit insgesamt 13 000 Vorträgen und Poster-Präsentationen. Und wenn es dem Einzelnen auch Schwierigkeiten bereiten wird, sich in der Masse zurecht zu finden, an die Informationen heranzukommen, nach denen er oder sie eigentlich Ausschau hält: Die AIDS 2006 wird ihren Zweck trotzdem erfüllen. Denn die Mammut-Konferenz wird, nicht zuletzt wegen des Engagements der Prominenz, zumindest eines generieren – Schlagzeilen. Die aber hat das Thema Aids dringend nötig, droht doch die schleichende Katastrophe, die den Frieden und die Stabilität in der Welt bedroht wie kaum eine andere Krise, zusehends als «Normalfall» aus dem Bewusstsein von Bevölkerung und Politikern verdrängt zu werden.

Das könnte fatale Folgen haben. Denn die Pandemie breitet sich weiterhin beinahe ungehindert aus, rechnet Anthony Fauci in seinem Leitartikel in «Science» vom 28. Juli vor. Fauci ist Direktor des amerikanischen Instituts für Infektionskrankheiten beim NIH in Bethesda/USA und hat die Aids-Epidemie von Anfang an mitverfolgt. Also seit im Juni vor 25 Jahren die ersten Berichte erschienen von zuvor gesunden und jungen schwulen Männern, die quasi über Nacht an der seltenen Lungenkrankheit PCP zu Grunde gingen. Oder Kaposi’s Sarkome entwickelten, Hauttumore, an der sonst höchstens betagte Menschen erkranken. Niemand hätte damals gedacht, dass dies der Anfang einer Pandemie sein könnte, welche die Gesundheitsbehörden in der ganzen Welt für Jahrzehnte auf Trab halten würde. Fauci schätzt die Zahl der seit 1981 weltweit Infizierten auf über 65 Millionen, mindestens 25 Millionen Menschen sind bereits an Aids gestorben.

Lange tappte man bezüglich der Krankheitsursache im Dunkeln. Zwar setzte sich schon früh die Erkenntnis durch, dass die beobachteten Lungenentzündungen und Tumore eine gemeinsame Ursache hatten, nämlich ein geschwächtes Immunsystem (AIDS bedeutet auf deutsch etwa «Erworbenes Immunschwäche-Syndrom»). Aber wodurch und wie das Immunsystem derart bis zum vollständigen Zusammenbruch geschwächt werden kann, darüber gabs zunächst bloss wilde Spekulationen. Bis Ende 1982 waren in den USA 644 Menschen an Aids gestorben, zur Mehrzahl junge Homosexuelle. Promiskuitives Sexualverhalten sei Schuld, Sperma sei halt ein «sehr potentes Antigen» und schädige das Immunsystem, zitierte die baz etwa David Portilos Erklärungsversuche an der ersten Aids-Konferenz, die im März 1983 im kalifornischen San Diego durchgeführt wurde. Und wenn Sperma dem Immunsystem der Frauen offensichtlich kaum etwas anhaben könne, so sei das eben ein weiterer Beweis dafür, dass das weibliche das stärkere Geschlecht sei, sinnierte der Forscher von der Universität von Nebraska. James Curran allerdings vom US-Zentrum für Seuchenkontrolle CDC lenkte schon damals den Verdacht auf «ein Virus oder Virenbestandteile».

Und sollte damit Recht behalten. Denn noch im selben Sommer nagelten der Amerikaner Robert Gallo und der Franzose Luc Montagnier ein RNA-Virus als Verursacher der Immunschwäche fest, das HIV. Ein Aufatmen ging durch die Fachwelt. Denn gegen ein Virus müsste sich in relativ kurzer Zeit ein Impfstoff finden lassen, so die einhellige Meinung. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellte.

«Ich habe mich erst anfangs der 90er Jahre mit Impffragen befasst, da war der Optimismus bereits abgeflaut», erinnert sich Manuel Battegay, Professor für Infektiologie und Aids-Spezialist am Basler Universitätsspital. Schon während des Medizinstudiums habe man unter Kollegen die Häufung dieser speziellen Krankheitsfälle diskutiert, die Bedeutung der neuen Krankheit sei in Basel bereits früh erkannt worden. «So hat mich etwa Prof. Rudolf Schuppli, damaliger Ordinarius für Dermatologie, während des Staatsexamens fast ausschliesslich zu Aids befragt.» Aber optimistisch «war ich bezüglich einer HIV-Impfung nie, die Variabilität des HI-Virus ist weltweit viel zu gross».

Inzwischen sind riesige Summen in die Aids-Forschung und die Entwicklung von Medikamenten investiert worden. Allein Amerikas staatliches Gesundheitsinstitut NIH hat in den vergangenen 25 Jahren laut Fauci über 30 Milliarden Dollar für den Kampf gegen HIV ausgegeben. Gleichwohl scheint das Expansionstempo der Pandemie ungebrochen: Noch immer übersteigt die Zahl der Neuinfektionen mit jährlich schätzungsweise über vier Millionen diejenige der Aids-Todesfälle (2,8 Millionen), stellt Fauci resigniert fest.

Trotzdem ists gut investiertes Geld, findet Manuel Battegay. «Die HIV-Forschung hat viele Erkenntnisse über Viren im allgemeinen gebracht. Wir wissen jetzt, wie das Virus an eine Zelle andockt, eindringt und sich vermehrt. Mit diesem Wissen konnten potente Medikamente entwickelt werden, die zwar das HIV nicht besiegen, jedoch die Krankheits- und Sterblichkeitsrate dramatisch um 80 bis 90 Prozent reduzieren können. Der lebensverlängernde Effekt der HIV-Therapien wurde somit von einigen Monaten (Mitte 80er Jahre) auf 20 bis 30 Jahre gesteigert.» Mit zu diesen Erfolgen beigetragen hätten auch die Erkenntnisse der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie, die seit 1988 die Krankengeschichten eines grossen Teiles der HIV-Infizierten in der Schweiz anonymisiert und mit dem Einverständnis der Betroffenen verfolgt.

Bei alledem könnte sich theoretisch jedermann und jede Frau auch ohne Impfstoff mit einfachen Mitteln vor Aids schützen. In reichen und auch in einigen ärmeren Ländern haben die Präventionskampagnen gegriffen, sind alte Gewohnheiten und Verhaltensweisen überwunden worden, geht «ohne Dings» nichts mehr. Aber leider noch längst nicht überall in der Welt, moniert auch Fauci. Weniger als 20 Prozent der Menschen, die es eigentlich brauchen, haben Zugang zu Kondomen oder sauberen Spritzen. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern leider auch eine Frage der sozialen und politischen Umstände – und oft auch der Religion. Wenn also von der «AIDS 2006» vielleicht auch kein Durchbruch auf medizinischem Gebiet zu erwarten ist, werden doch wenigstens die Schlagzeilen und Aufrufe für Aufsehen sorgen, möglicherweise da und dort gehört und zur Kenntnis genommen werden. Und vielleicht mit der Zeit etwas bewirken.

«AIDS 2006» im Internet: Ab 12. August können Kurzfassungen der Vorträge gelesen werden auf http://www.aids2006.org. Für Jugendliche wurde eine spezielle Website eingerichtet: http://youth.aids2006.org

Gute Nachrichten

Rechtzeitig auf die «AIDS 2006» hin sind einige neue Medikamente zugelassen worden, welche die Vermehrung des HIV bremsen können. Vergangenen Monat hat die FDA einer Substanz das OK gegeben, die von Forschern an der Purdue-Universität in Indianapolis entwickelt worden ist. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Protease-Hemmer, also einen Wirkstoff, der ein Enzym blockiert, das notwendig ist für den Aufbau von neuen HIV-Bausteinen. Laut Arun Ghosh, dem Entdecker der neuen Substanzgruppe, wirkt das «Darunavir» genannte Medikament auch gegen Viren, die bereits resistent sind gegenüber herkömmlichen Protease-Hemmern. Dies weil Darunavir die Protease «am Rückgrat» packe.

«Dieses und ähnliche Präparate werden zur weiteren Verbesserung der Therapien beitragen», schätzt auch Manuel Battegay. Und erwähnt noch eine weitere Neu-Lancierung: Ebenfalls vergangenen Juli erschien Atripla auf dem amerikanischen Markt. Dabei handelt es sich um eine Pille, die gleich drei Wirkstoffe enthält und von den Firmen Bristol-Myers Squibb sowie Gilead gemeinsam produziert wird. Das Medikament wird zwar ausschliesslich für den Einsatz an Patienten empfohlen, die zuvor noch keine medikamentöse Therapie erhalten haben. Aber sie muss bloss einmal täglich eingenommen werden. «Ein grosser Fortschritt im Vergleich zum rund Dutzend Pillen, das früher geschluckt werden musste», findet Battegay.

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