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Medizin

Fibromyalgie: Wenn der ganze Körper schmerzt

Schmerz

Wenn der ganze Körper schmerzt, ohne dass dafür eine Ursache gefunden werden kann, ists vielleicht eine Fibromyalgie. Das Schmerzsyndrom ist deshalb heimtückisch, weil Diagnose und Therapie so schwierig sind. Die Krankheit hat jetzt zwar einen Namen, aber sonst ist nicht viel klar: «Fibromyalgie» nennt man heute das Schmerzsyndrom, das früher als Weichteil-Rheuma bekannt war. «Das Problem ist, dass auch die meisten Ärzte nicht wissen, was Fibromyalgie ist», so Iskander Bahous. Der in Basel praktizierende Rheumatologe setzt sich seit Jahren mit Schmerzzuständen unerklärbarer Herkunft auseinander. Tatsächlich ists nicht einfach, die Diagnose Fibromyalgie zu stellen. Denn für den Fasermuskelschmerz ist auch mit den modernsten diagnostischen Mitteln keine körperliche Ursache zu finden.

Doch sicher ist: Wer andauernd überall Schmerzen hat, ist krank und braucht Hilfe. «Etwa jede Zehnte meiner Patientinnen leidet unter Fibromyalgie», erklärt Bahous. Wie er das weiss? «Zuerst müssen alle anderen möglichen Diagnosen ausgeschlossen werden: Wenn die Schmerzen weder von Polyarthritis herrühren können noch von einer Stoffwechselstörung, wenns weder eine Medikamenten-Nebenwirkung ist noch eine Depression, dann muss man an Fibromyalgie denken.»

Die 18 Punkte

Der Rheuma-Arzt tastet dann die 18 Tenderpoints ab, präzis lokalisierte und besonders empfindliche Areale im Nacken-, Rücken-, Schulter- und Hüftbereich. «Wenn ich bei 11 von 18 dieser Tenderpoints dauernd erhöhte Schmerzempfindlichkeit finde, dann ist für mich die Diagnose klar: Fibromyalgie.» Dabei ist auffallend, dass es meist Frauen sind, welche die Praxis mit dieser Diagnose verlassen. «Ein männlicher Fibromyalgie-Patient ist schon beinahe eine Kuriosität.» Weshalb? «Beim Syndrom spielen sozio-psychologische Komponenten eine grosse Rolle. Denkbar ist, dass Frauen mehr Probleme haben, Konflikte am Arbeitsplatz (Mobbing) wegzustecken, und deshalb besonders anfällig sind für Fibromyalgie», weiss der Arzt aus Erfahrung.Aber wie kann man eine Krankheit mit unklarer Ursache überhaupt behandeln? «Am Anfang jeder Behandlung steht das ausführliche Gespräch», so Iskander Bahous. «Die Patientinnen wollen das Gefühl haben, dass ich sie und ihre Schmerzen ernst nehme. Meine Aufgabe in dieser Phase ist es zuzuhören, die Patientinnen reden zu lassen über ihre Sorgen am Arbeitsplatz, über finanzielle Probleme, Knatsch in der Partnerschaft.» So wird allmählich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, «wie in früheren Zeiten zu einem Priester», meint Bahous. «Schliesslich bin ich Träger von so vielen Geheimnissen, dass die Patientinnen mir treu bleiben und Schluss machen mit dem Doktor-Shopping.» So bezeichnet er das Phänomen, dass viele Fibromyalgie-Patientinnen jahrelang von einem Arzt zum anderen wechseln, bis sie ihre Vertrauensperson finden.

Lotto-Sechser

Wie etwa Beatriz Däppel. «Es war ein Sechser im Lotto», sagt sie rückblickend. Aber nicht etwa, weil sie damals vor zwei Jahren den Jackpot geleert hätte. Sondern weil sie in Iskander Bahous endlich den Arzt fand, der sich Zeit nahm, sich ihr und ihrem Leiden zu widmen. «Ich war schon als Kind Rheumatikerin, sehr wetterfühlig und litt besonders unter feucht-kühlen Temperaturen», erinnert sich die in Uruguay aufgewachsene, jugendlich wirkende Mittvierzigerin.

Geändert hat sich daran nichts, als sie vor über 20 Jahren in die Schweiz übersiedelte. «Wahrscheinlich habe ich schon lange an Vorstufen der Fibromyalgie gelitten», meint Beatriz Däppel rückblickend. «Brutal begonnen hats dann aber in den Jahren 1997/98. Ich wachte jeden Morgen auf mit schmerzenden und steifen Händen, die sich geschwollen anfühlten, obwohl sie komplett normal aussahen. Rheumatests waren negativ, dafür kamen Herzrhythmusstörungen, Kreislaufprobleme, Schmerzen im Rücken und im Bauch dazu», erinnert sie sich. Erst vor fünf Jahren sei man im Bruderholzspital auf die empfindlichen Tenderpoints aufmerksam geworden.Jetzt hatte Beatriz Däppels Krankheit endlich einen Namen: Fibromyalgie. Weshalb sich ihr Zustand gerade vor fünf Jahren derart verschlechtert habe? Sie hat eine Vermutung. «Ich habe damals seit langem wieder einmal meine Familie in Uruguay besucht. Und war erschüttert, wie schlecht es meinen Angehörigen wirtschaftlich erging. Vielleicht hat das beigetragen zum Ausbruch der Krankheit.»

Arbeitet wieder

Heute lebt Beatriz Däppels Familie in Spanien, wo es ihr gut geht. Und die Patientin hat nach einigen Zwischenstationen in Iskander Bahous ihren Arzt des Vertrauens gefunden. «Er behandelt mich als vollwertigen Menschen, bespricht mit mir die Behandlungsmöglichkeiten und sagt nicht: Da kann man nichts machen.» Sie liebt das Leben wieder, «obwohl ich oft so schlapp bin, dass ich mich aus dem Fenster stürzen möchte». Beatriz Däppel glaubt zwar nicht, dass sie je wieder schmerzfrei leben wird, hat aber «die Hoffnung nicht aufgegeben». Jedenfalls fühlt sie sich besser, ist auch wieder voll berufstätig, macht einen lockeren und gesunden Eindruck, als ob ihr nichts fehlte.

Die Erfolgsquote ist nicht begeisternd – Schwierige Behandlung

Beatriz Däppel ist die glückliche Ausnahme, längst nicht allen Fibromyalgie-Patientinnen kann so weit geholfen werden, dass sie wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können. Oft endet die Leidensgeschichte mit einer Invalidenrente. «Obwohl ich sehr zurückhaltend bin, meinen Patientinnen Invalidität zu attestieren», versichert der Rheumaarzt Iskander Bahous. «Denn Beschäftigung ist Teil der Therapie.» Teil einer Behandlung, an deren Anfang wie oben geschildert intensive Gespräche stehen. Erst auf einer gesicherten Vertrauensbasis kann dann ein Behandlungskonzept aufgebaut werden. Infusionen von Schmerzmitteln, Neuraltherapie (Einspritzen örtlich wirksamer Schmerzmittel), Abgabe von Psychopharmaka (zur Senkung der Schmerzempfindlichkeit), Bewegungs- und Physiotherapie stehen etwa auf dem Programm. Und die Erfolgsquote? «Leider ist sie nicht so hoch, wie man sich wünschen möchte», bedauert Bahous. Es wäre aber auch illusorisch zu hoffen, dass eine Fibromyalgie (die ja meist seit Jahren plagte) innert zwei Wochen abheilt. «Wir Rheumatologen können höchstens die Schmerzen lindern. Auf die psychosoziale Situation der Patientinnen haben wir wenig Einfluss.»

http://www.fibromyalgie.ch

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