Leben ist auch auf der Basis von Silizium und Ammoniak denkbar
Die Vorstellung, es könnte irgendwo im Kosmos Leben existieren, fasziniert Laien und Astronomen gleichermassen. Doch wer nach ausserirdischem Leben sucht, muss sich von erdgebundenen Vorstellungen lösen und sich auf eine vollkommen ungewohnte Biochemie gefasst machen. Vorläufig bevölkern sie erst die Welt der Science Fiction-Romane, die Steine fressenden Trolle und skurrilen Wesen, die sich an strahlendem Uran laben. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist es nicht unbedingt. Zwar ist Leben ein komplexer biochemischer Prozess, doch sind daran zumindest auf der Erde im wesentlichen bloss ein halbes Dutzend der über 100 bekannten Elemente beteiligt: Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Phosphor und Schwefel.
Das müsste nicht so sein. Theoretisch denkbar ist auch eine komplett andere Biochemie, in der beispielsweise Silizium die Rolle des Kohlenstoffs als Gerüst für Makromoleküle übernimmt, Chlor anstelle des Sauerstoffs als Oxidationsmittel wirkt, der Energiebedarf statt mit Licht über Radiowellen oder Erdwärme gedeckt wird und die biochemischen Reaktionen in Ammoniak oder Methan ablaufen statt, in wässriger Lösung. Der Astrobiologe Dirk Schulze-Makuch trug kürzlich in der Zeitschrift «Naturwissenschaften» * zusammen, was alles theoretisch möglich wäre – und was aus Sicht des Astronomen nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Sein Fazit: Einen zu engen Blickwinkel hat, wer bei der Suche nach ausserirdischen Lebensformen «Kohlenstoff-Chauvinist» bleibt und «alternative Biochemien» ausklammert. Gut, im Kosmos sind die Elemente Kohlenstoff und Silizium im Verhältnis 10 zu 1 vertreten, schon allein deshalb ist die Wahrscheinlichkeit klein, irgendwo im Weltraum eine Biochemie auf Silizium-Basis anzutreffen. Selbst auf der Erde, wo ja Silizium die Übermacht besitzt, konnte sich dieses Element ausser bei den Kieselalgen nicht durchsetzen als Baustein fürs Leben. Kohlenstoff hatte und hat unter irdischen Bedingungen einfach die besseren Karten.
Dabei wäre Silizium geradezu prädestiniert als Stellvertreter für Kohlenstoff. Die chemischen Eigenschaften der beiden Elemente sind sehr ähnlich, stehen sie doch im Periodensystem übereinander. Wie Kohlenstoff kann Silizium Ketten und Ringe bilden, sogenannte Silane – der kleinste Vertreter ist SiH4 analog zu CH4. Die Halbleiter-Eigenschaften der Siliziumverbindungen würden zudem eine Energieversorgung nach dem Prinzip der irdischen Fotosynthese erlauben. Eine Biochemie auf der Basis von Polysilanen ist daher denkbar, allerdings nur unter tiefen Temperaturen und bei Abwesenheit von Sauerstoff, Wasser und Kohlenstoff – weil sonst letzterer dem Silizium den Rang abläuft.
Biochemische Prozesse sind nur in einem flüssigen Medium denkbar, denn die beteiligten Makromoleküle müssen sich ja bewegen können, wenn sie miteinander reagieren sollen. Wasser spaltet aber die Silane auf und kommt daher als Lösungsmittel für eine Silizium-Biochemie nicht in Frage. In die Lücke springen könnte da flüssiger Ammoniak. Auch er kann durch Abspaltung und Aufnahme von Wasserstoff-Ionen Säure-Basen Reaktionen eingehen. Laut Dirk Schulze-Makuch sollte im Ammoniak sogar Leben auf Kohlenstoffbasis möglich sein, es müssten lediglich die Carbonylgruppen (C=O) durch die analoge Stickstoffverbindung C=N ersetzt werden.
Geradezu als ideales Lösungsmittel schätzen die Astrobiologen die Kohlenwasserstoffe Methan und Äthan ein, wie sie etwa auf dem Saturn-Mond Titan anzutreffen sind (vgl. Box). In diesem Medium, so die Fachleute, könnten organische Synthesen unter schonenden Bedingungen ablaufen, welche die Entstehung von Lebensformen begünstigen. Von Leben, das dann allerdings aus grosser Kälte käme…
* Naturwissenschaften (2006) 93: 155-172
Die besondere Definition für «Leben»
Wenn Astrobiologen von ausserirdischem Leben sprechen, haben sie damit nicht die uns geläufigen komplexen Lebensformen vor Augen, mit dem Menschen als «Krone der Schöpfung» an der Spitze der Pyramide. Dirk Schulze-Makuch definiert das Kriterium für Leben etwa folgendermassen: Ein komplexes System, zusammengesetzt aus miteinander verbundenen Einheiten, die sich im thermodynamischen Ungleichgewicht zur Aussen-Umgebung befinden, zum Energieaustausch befähigt sind und sich selber fortpflanzen können durch Kodierung und Übertragung von Information.
Im Visier: Venus und Titan
Nicht gleich eine Silizium-Biochemie, aber doch abenteuerliche Lebensformen auf Kohlenstoff-Basis hält Dirk Schulze-Makuch in der Venus-Atmosphäre und auf dem Titan für möglich. So mögen er und seine Astrobiologie-Kollegen nicht ausschliessen, dass die dicken und stabilen Wolken, mit denen sich die Liebesgöttin umhüllt, als Ursuppe funktionieren könnten. Tatsächlich sind in den unteren Wolkenschichten Partikel entdeckt worden, die irdischen Mikroben ähnlich sehen. Die könnten zwar von Meteoriten importiert, andererseits aber auch hausgemacht sein. Denn von den biologisch unverzichtbaren Elementen Kohlenstoff, Phosphor und Stickstoff sowie Wasserdampf gibt’s genug in den Venus-Wolken, und mit 30 bis 80 Grad Celsius in 50 Kilometern Höhe ist es auch nicht allzu heiss für primitive Lebensformen. Bloss der hohe Säuregrad (pH 0) und die intensive Bestrahlung mit UV-Licht könnten zum Problem werden. Kein unüberwindbares, finden die Fachleute, gedeihen doch auch auf der Erde Mikroben in solch saurem Milieu. Und als Sonnenschutz könnten die Mini-Organismen zyklischen Schwefel (S8) nutzen, den sie aus dem reichlich vorhandenen Schwefelwasserstoff selber produzieren. Die Existenz solcher Schwefel-Schilde würde dann auch erklären, weshalb man mit spektroskopischen Methoden so wenig organisches Material nachweisen kann in der Venus-Atmosphäre.
Ganz anderes Klima herrscht auf dem Titan. Auf dem fünfzehnten und grössten Saturn-Mond klettert das Thermometer selten über minus 180 Grad Celsius. Und doch sind selbst unter diesen extrem anmutenden Verhältnissen auch dort Lebensformen denkbar. Denn die Grundbedingungen sind erfüllt: Der Bau von Makromolekülen ist möglich, Energie gibt’s genug als UV-Strahlung und auch an Lösungsmittel fehlts nicht – in Form von flüssigem Methan. Allerdings werden wegen der tiefen Temperaturen Stoffwechselreaktionen sehr langsam ablaufen, auf dem Titan wird man – wenn überhaupt – Zellen antreffen, die gemessen an irdischen Standards gross sind, aber einen sehr langsamen Metabolismus haben.
Astrobiologen schliessen aber auch nicht aus, dass auf dem Titan ähnlich wie auf der Erde Leben in wässriger Lösung anzutreffen wäre. Wassertröpfchen, suspendiert in ölartigen Kohlenwasserstoffen, könnten einfachen Lebensformen ein Zuhause bieten.