«Man muss die Gesamt-Risikosituation beurteilen»
Wie sehr ist die Gesundheit der Durchschnittsbevölkerung tatsächlich gefährdet durch hohe LDL-Cholesterinspiegel im Blut? Was vermögen die Cholesterinsenker Statine zu bewirken, wer sollte sie einnehmen, und wie stehts mit den Nebenwirkungen? Dazu befragte Medical Tribune Public Prof. Ulrich Keller. Er ist Leiter der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am Basler Universitätsspital.
Herr Professor Keller, wie hoch schätzen Sie die gesundheitliche Gefährdung der Allgemeinbevölkerung ein, die von einem erhöhten LDL-Cholesterinspiegel im Blut ausgeht?
Seit vielen Jahren weiss man, dass da ein Zusammenhang zwischen LDL-Spiegel und Herzinfarktrisiko besteht. Sehr eindeutig ist das bei schweren Fällen. Doch allgemein gilt: Ein erhöhter LDL-Spiegel ist einer unter mehreren Risikofaktoren für Herzkreislauf-Krankheiten. Man muss deren Summe anschauen: Wenn nur LDL allein erhöht ist, muss das noch kein grosses Problem sein. Ausser bei vererbter familiärer Hypercholesterinämie, bei der die Werte sehr hoch sind und bei der häufig junge Familienmitglieder Herzinfarkte haben.
Sind das nicht eher seltene Fälle?
Davon ist bei uns jeder 500. Einwohner betroffen.
Was gilt denn als normaler Cholesterinwert?
Da sind wir recht schnell in einer schwierigen Diskussion: Was ist normal und was nicht? Es gibt einerseits statistische Normwerte, aber auch Zielwerte. Das heisst aber nicht, dass alle, die darüber liegen jetzt gleich Medikamente schlucken sollen.
Was muss man dann unternehmen?
Dann muss man eben das gesamte Risikopotential anschauen. Wir vermeiden es seit einigen Jahren, von einem Risikofaktor isoliert zu sprechen, sondern analysieren die gesamte Situation. Wenn jemand noch weitere Risikofaktoren aufweist, etwa bereits einen Herzinfarkt hinter sich hat, unter Arteriosklerose oder Diabetes leidet, dann ist LDL-Cholesterin-Überschuss tatsächlich ein Alarmsignal.
Über die Nahrung gelangt ja relativ wenig Cholesterin in den Körper. Was können folglich die vielen gegen Cholesterin gerichteten Diätempfehlungen ausrichten?
Auch wenn bloss etwa 20 bis 30 Prozent des Cholesterins im Körper aus der Nahrung stammen, lohnt es sich, auf die Ernährung zu achten. Im Einzelfall kann der Effekt sehr variieren, die einen reagieren weniger, andere mehr auf eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. Zudem ist die Verminderung von Nahrungscholesterin bloss eine aus einem Bündel von Massnahmen, die bei hohen Cholesterinwerten ergriffen werden können.
Was drängt sich weiter auf?
Wir konzentrieren uns heute nicht mehr so sehr auf das Nahrungsmittel-Cholesterin. Mindestens so wichtig ist der Anteil der gesättigten Fettsäuren aus tierischen Quellen. Problematisch sind auch die so genannten Trans-Fettsäuren, die in den gehärteten Fetten wie etwa in vielen Margarinen enthalten sind.
Wird denn Margarine nicht aus «gesunden» Speiseölen hergestellt?
Schon. Aber während des industriellen Herstellungsprozesses von gehärteten Fetten entstehen häufig Trans-Fettsäuren, und die sind dann nicht mehr unbedingt gesund, obwohl sie ursprünglich eine pflanzliche Basis hatten.
Weshalb dies?
Sie können den Anteil des «schlechten» LDL-Cholesterins im Blut steigern. Wer also Cholesterin, gesättigte Fettsäuren und Trans-Fette in der Nahrung vermeidet, kann den LDL-Cholesterinspiegel im Blut um 10 bis 15 Prozent senken.
Neue Studien zeigen zudem: Wer darüber hinaus vermehrt Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zu sich nimmt, sich also gesund ernährt, kann sein LDL-Cholesterin um weitere 15 Prozent reduzieren. Man sollte bei Ernährungsempfehlungen folglich nicht bloss auf den «bösen» Fetten herumreiten, sondern eine gesamthaft gesunde Ernährung anstreben.
Zecks Erhöhung des HDL-Anteils im Blut wird auch regelmässige Bewegung empfohlen. Wie funktioniert dies?
Es ist richtig, dass körperliche Aktivität das HDL begünstigt. Training reduziert allgemein die Fettpolster im Bauchraum, und dies führt zu besseren HDL-Werten. Das ist eine indirekte Folge der Fett-Umverteilung und der verbesserten Fitness. Dann nimmt auch die Menge der Fettsäuren im Blut ab, die in die Leber gelangen kann. Entsprechend erhöht sich dort die Insulinempfindlichkeit, mit dem Nebeneffekt, dass der Abbau von gutem HDL-Cholesterin verlangsamt wird. Das ist bezüglich Herzrisiko günstig.
Welche Rolle spielt Stress bei der ganzen Cholesterin-Problematik?
Ich denke, Stress spielt bloss indirekt eine Rolle. Indem sich etwa Leute unter Stress schlecht ernähren oder sich wenig bewegen. Stress kann sicher ungünstige Auswirkungen auf den Zustand der Gefässe haben, dass er aber auch direkt in den Cholesterinhaushalt eingreifen soll, ist mir nicht bekannt. Ich kenne gestresste Manager, die viel Sport treiben – sie haben gute Lipidwerte.
Zurück zum Cholesterin-Problem: Was vermögen da Medikamente wie etwa Statine zu bewirken und wem sollen sie verschrieben werden?
Statine wurden ursprünglich wegen ihrer hemmenden Wirkung auf die körpereigene Cholesterinsynthese eingeführt. Nach einigen Jahren hat sich dann gezeigt, dass unter dieser Medikation auch weniger Herzkreislauf-Komplikationen bis hin zu Infarkten und Schlaganfällen auftraten. Wer also gemäss den oben aufgeführten Kriterien als Risikoperson gilt, sollte mit Statinen behandelt werden. Dazu gehören sicher einmal alle Patienten, die bereits einen Herzinfarkt durchgemacht haben sowie die meisten Typ-2-Diabetiker.
Versuchen Sie bei Menschen mit geringem oder bloss mittlerem Risiko nicht in einer ersten Phase, die LDL-Werte über Änderung des Lebensstils in den Griff zu bekommen?
In der Realität macht man das parallel zur Statinbehandlung, man will keine Zeit verlieren. In leichten Fällen versuchen wir aber tatsächlich zuerst herauszufinden, wie weit Lifestyle-Modifikationen zum Ziel führen. Das motiviert die Patienten.
Wirklich? Kommen Sie da nicht manchmal unter Druck? Es ist doch einfacher, ein paar Pillen zu schlucken, als lieb gewordene Gewohnheiten aufzugeben.
Das ist eine Verallgemeinerung, die nicht immer zutrifft. Heute gibt es immer mehr Leute, die eine gesunde kritische Einstellung gegenüber Medikamenten haben. Und die entsprechend bereit sind zu versuchen, ihr Cholesterin durch Änderung des Lebensstils in den Griff zu bekommen. Dieser Anteil unter den Patienten nimmt ständig zu.
Hängt dies mit der Furcht vor Nebenwirkungen der Statine zusammen?
Ich denke nicht. Die Verträglichkeit der Statine, die heute auf dem Markt sind, ist sehr gut. Denken Sie bloss an die Millionen Amerikaner, die täglich Statine nehmen. Gefährliche Nebenwirkungen sind extrem selten. Unangenehm sind allenfalls die gelegentlich auftretenden Muskelschmerzen. Auch über Magen-Darm-Beschwerden wird hin und wieder geklagt. Aber diese Probleme verschwinden meist, sobald man die Dosis ändert oder auf ein anderes Präparat wechselt.