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Medizin

Eine Schlankheitspille hat das Fett abgekriegt

Als wahre Wunderdroge war die Substanz lanciert worden. Sie sollte schlank machen und erst noch helfen, von der Zigarette weg zu kommen. Jetzt aber stösst die Zulassung von Acomplia in den USA auf Widerstand: Die Abspeckpille hat ihr Fett abgekriegt.

Der Eklat ist perfekt. Seit zwei Jahren versucht die französische Pharmafirma Sanofi-Aventis, ihre neue Wunderdroge gegen Fettleibigkeit auch in den USA auf den Markt zu bringen. Ein Blockbuster sollte Acomplia werden, Dollar-Milliarden Jahresumsatz bringen im Land, dessen Bevölkerung noch alarmierender als anderswo an Leibesfülle zunimmt. Nun droht das grossen Geschäft zu platzen. Denn der zuständige Beraterausschuss der amerikanischen Arzneimittel-Kontrollbehörde FDA hat sich mit 14 zu Null Stimmen gegen die Zulassung der Schlankheitspille ausgesprochen. «Ich sehe beim besten Willen nicht, wie wir im jetzigen Zeitpunkt unsere Zustimmung geben könnten», äussert sich Dr. Jules Hirsch, klinischer Forscher an der Rockefeller Universität und Mitglied des Beraterausschusses, in der «New York Times». «Angesichts der bekannten und zu vermutenden Risiken wagen wir es nicht, dieses Medikament für die allgemeine Bevölkerung frei zu geben», meinte ein anderes Panel-Mitglied. Und spielte damit auf eine Häufung von «psychiatrischen Zwischenfällen» an, darunter vier Selbstmorde, die sich im Zusammenhang mit der Einnahme von Acomplia ereignet haben sollen. Der Aktienkurs von Sanofi-Aventis machte prompt einen Taucher um drei Prozent.

Dabei hatte die Geschichte begonnen wie in einem Märchen. Denn Acomplia greift im so genannten Endocannabinoid-System an, einer Art Lustzentrum des Gehirns, und unterdrückt dort das Hungergefühl. Nicht nur dies: Lange wurde auch in der Fachwelt vermutet, dass der Appetitzügler so nebenbei auch die Freude am Rauchen vergällt. Eine wahre Wunderdroge schien somit gefunden, ein Kraut gewachsen zu sein gleichzeitig gegen Übergewicht und Nikotinsucht, die beiden wichtigsten Lifestyle-Risikofaktoren für eine Herzkreislauf-Erkrankung.

Nun, als Tabak-Entwöhner konnte sich Acomplia bis jetzt nirgends durchsetzen, eine entsprechende Zulassung wurde jedenfalls noch in keinem Land erteilt. «Wir erforschen diese Indikation weiterhin», teilte die Herstellerfirma zwar der NZZaS auf Anfrage mit. Doch Dr. Corinne Weber, die als leitende Ärztin an der Zürcher Höhenklinik Wald ein Nikotinentwöhnungsprogramm anbietet weiss aus Erfahrung: «Das funktioniert in der Praxis leider ganz einfach nicht.»

Als Medikament gegen Rauchsucht ist Acomplia somit weg vom Fenster. Als Schlankheitsmittel hingegen hat das Produkt innert zwei Jahren einen wahren Siegeszug angetreten und ist inzwischen in 37 Ländern erhältlich, seit April dieses Jahres auch in der Schweiz. Inzwischen kann die Herstellerfirma Wirksamkeit und Sicherheit ihres Produktes anhand von Erhebungen unter über 110 000 Patienten belegen. Demgemäss können Menschen mit einem Körpermassenindex von 30 (und mehr) mit Hilfe von Acomplia ihr Gewicht um bis zehn Prozent reduzieren, sofern sie die Medikamenteneinnahme mit kalorienarmer Diät und Bewegungstherapie kombinieren. Zudem verringert sich der Bauchumfang, und die Blutfettwerte verbessern sich. Als mögliche Nebenwirkungen werden Übelkeit, Kopfschmerzen und psychiatrische Störungen (Angstgefühle, Schlaflosigkeit und Depressionen) eingeräumt, jedoch «grösstenteils nur schwach bis moderat ausgeprägt».

Eben diese Einschätzung scheint das FDA-Panel nun nicht zu teilen. Denn offenbar wird im Endocannabinoid-System nicht bloss das Hungergefühl reguliert, sondern dort entstehen auch depressive Verstimmungen und Phobien. Wenn also die Rezeptoren in der entsprechenden Hirnregion medikamentös blockiert werden, kann neben dem Appetit auch die Freude am Leben verloren gehen. Zumindest gibt es Hinweise dafür, dass die Einnahme von Acomplia ein bereits vorhandenes Risiko verdoppelt, Angstzustände, Depressionen und Psychosen zu entwickeln, begründet das FDA-Beratergremium seinen negativen Entscheid.

«Die Substanz könnte wahrscheinlich sowieso nur wenigen Leuten helfen», so Dr. Jules Hirsch. «Stellen sie sich vor, man erklärt einer 100 Kilogramm schweren Frau, sie habe mit dem Medikament eine 25prozentige Chance, zehn Kilo abzunehmen – aber nur, wenn sie gleichzeitig Diät hält: Da wird kaum jemand begeistert sein.»

Damit spricht Dr. Hirsch ein Problem an, das auch den beiden anderen weltweit auf dem Markt eingeführten Schlankmachern zu schaffen macht, dem Reductil von Abbott und dem Xenical der Hoffmann-La Roche. Beide Abspeck-Pillen entfalten ihre Wirkung nur, wenn gleichzeitig Zurückhaltung geübt wird bei der Kalorienaufnahme und allgemein der Lebensstil geändert, das heisst der Körper mehr bewegt wird. Wer kann dann noch mit Sicherheit sagen, worauf es zurückzuführen war, wenn dann die Pfunde tatsächlich ein wenig schmelzen? Auf die Diät und aufs Joggen oder auf das doch nicht ganz billige und mit Nebenwirkungen belastete Medikament?

Denn die Maxime «ohne Nebenwirkung keine Wirkung» trifft leider auch auf die Schlankheitspillen zu. So hatte etwa Reductil vor fünf Jahren unrühmliche Schlagzeilen gemacht. Nach zwei mit der Einnahme des Medikaments in Verbindung gebrachten Todesfällen wurde der Verkauf in Italien gestoppt. Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic gab eine Vorsichtsmeldung heraus, und in den USA reissen sich nun Anwälte um Reductil-geschädigte Patienten, um – wie dies dort so üblich ist – eine Sammelklage gegen die Herstellerfirma auf die Beine zu stellen. Wie Acomplia wirkt auch Reductil im Zentralnervensystem, hemmt dort die Wiederaufnahme der Nervenbotenstoffe Noradrenalin und Serotonin, was indirekt eine Appetitminderung zur Folge hat. Aber eben: Auch Risiken wie Bluthochdruck und lebensgefährliche Herzrhythmus- Störungen müssen unter Reductil in Kauf genommen werden.

Dagegen erscheint eine Schlankheitskur mit Xenical weniger problematisch. Das Roche-Medikament wirkt ausschliesslich lokal, hemmt die Fettaufnahme im Verdauungstrakt und schützt wenigstens vor den Pfunden, die sich auf diesem Weg an den Hüften ansammeln. Gegen den Ansturm von Kohlehydraten (Zucker, Stärke, Alkohol), die momentan besonders im Visier der Ernährungsberater stehen, vermag allerdings auch Xenical nichts auszurichten. Dafür halten sich dann die Nebenwirkungen in abschätzbaren Grenzen. Heftiger Durchfall, etwa als «Strafe», wenn man die vorgeschriebene fettarme Diät einmal nicht einhält, ist etwa das Schlimmste, das einem mit Xenical passieren kann. Zentralnervöse Störungen wie sie mit Reductil und Acomplia auftreten können, sind jedenfalls unwahrscheinlich. Dies ist wohl auch mit ein Grund dafür, dass der Xenical-Wirkstoff seit diesem Sommer in den USA auch ohne Rezept erhältlich ist.

Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, wie es Acomplia in den USA weiter ergehen wird. Zwar könnte sich die FDA theoretisch über die einstimmige Abmahnung seines Beratergremiums hinwegsetzen und den Schlankmacher gleichwohl für den Verkauf freigeben. Dies wäre jedoch eine ziemliche Überraschung. «Sanofi-Aventis wird weiterhin eng mit der FDA zusammenarbeiten, um die Empfehlungen des Beraterausschusses zu besprechen», schreibt die Herstellerfirma in ihrer Stellungnahme. Die Firma erwartet den abschliessenden Entscheid der FDA am kommenden 26. Juli.

Falls dieser negativ ausfällt, stellt sich natürlich die Frage, wie sich die 37 Länder verhalten werden, in denen Acomplia bereits zugelassen ist. Allen voran die Schweiz, die erst dieses Frühjahr Grünes Licht gegeben hat für die Schlankheitspille. «Es kommt eben vor, dass verschiedene Kontrollbehörden Nutzen und Risiken eines Medikaments unterschiedlich beurteilen», umschreibt Monique Helfer von Swissmedic die heikle Situation. Daher würde auch ein Verdikt der FDA nicht automatisch den Rückzug von Acomplia vom Schweizer Markt zur Folge haben. «Ausser es tauchen neue Daten auf.»

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Rimonabant, der Wirkstoff von Acomplia, ist ein sogenannter CB1-Blocker, der die Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems (EC) hemmt. Dieses ist beteiligt an der Regulierung von Körpergewicht und Fettstoffwechsel, aber auch der psychischen Befindlichkeit. EC-Rezeptoren finden sich im ganzen Körper, in besonders hoher Dichte jedoch im Gehirn. Dort dockt denn auch das Tetrahydrocannabinol THC an, der Rauschstoff im Marihuana – mit der entsprechenden euphorischen Wirkung. THC wird in vielen Ländern schwerkranken Menschen gegeben, um den Appetit anzuregen. Somit ist nahe liegend, dass umgekehrt die Blockierung von EC-Rezeptoren appetitzügelnd wirkt. Das EC-System kann aber noch mehr, es spielt im körpereigenen Belohnungssystem eine Rolle und vermittelt heitere Gefühle. Werden also die EC-Rezeptoren medikamentös blockiert, eben etwa um die Lust aufs Essen zu dämpfen, dann besteht das Risiko, bereits vorhandene depressive Neigungen zu verstärken.

NZZaS 22. Juli 2007 (ungekürzte Version)

PS: Sanofi-Aventis hat ihren Registrierungsantrag bei der FDA kurz vor der Drucklegung dieses Artikels zurückgezogen.

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