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Neurowissenschaften

Ein Filter gegen den Schmerz

ETH-Forscherteam findet neues Prinzip zur Schmerzbekämpfung

Chronische Schmerzen zu besiegen ohne unerwünschte Nebeneffekte: Dies könnte bald schon möglich werden dank der Entdeckung, die einem deutsch/schweizerischen Forscherteam geglückt ist. Eine Forschergruppe um den Zürcher Pharmakologie-Professor Hanns Ulrich Zeilhofer hat im Rückenmark von Mäusen zwei Rezeptoren entdeckt, die als Schmerzfilter wirken, sobald sie mit einer Valium ähnlichen Substanz in Kontakt kommen. Laut Prof. Zeilhofer sollte es grundsätzlich möglich sein, eine analoge Substanz zu entwickeln, die auch beim Menschen wirkt. Der an ETH und Universität Zürich tätige Forscher und sein Team präsentieren ihre Studie diesen Donnerstag in der Wissenschaftszeitschrift «Nature».

Schwer behandelbar sind chronische Schmerzen, besonders dann, wenn sie ohne genau erkennbaren Grund auftreten. Zum Glück dient beim gesunden Menschen das Rückenmark als Filter für Schmerzsignale: Längst nicht alle Signale, die aus den verschiedenen Körperteilen eintreffen, werden ins Gehirn weiter geleitet und dort als Schmerz wahrgenommen. Bei chronischen Schmerzpatienten hingegen ist diese Filterfunktion im Rückenmark stark beeinträchtigt, sodass jetzt sehr viel mehr Signale bewusst und somit als Schmerz empfunden werden. Hier setzen die Forschungsarbeiten von Zeilhofers Team an. «Grund für den Verlust der Schmerz-Filterfunktion ist wahrscheinlich, dass hemmende Schalt-Neuronen im Rückenmark nicht mehr richtig funktionieren», sagt Prof. Zeilhofer. «Und wir glauben nun, in diesen Schaltzentren zwei Rezeptoren entdeckt zu haben, durch deren Aktivierung die Filterfunktion wieder hergestellt werden kann.»

Reagieren auf Valium

Die beiden Rezeptoren arbeiten normalerweise mit dem Nervenbotenstoff GABA (Gamma-Aminobuttersäure), und deren Wirkung kann mit Benzodiazepinen, also Valium-ähnlichen Stoffen verstärkt werden. So werden müde Rezeptoren wieder munter gemacht. «Doch ist es natürlich nicht praktikabel, Schmerzpatienten mit Valium zu behandeln», winkt Prof. Zeilhofer gleich ab. Denn erstens wirke Valium sedierend, mache also müde, geistig träge und verliere mit der Zeit seine Wirkung, weil sich der Körper rasch an die Substanz gewöhnt. «Aber all diese Nebenwirkungen haben ihren Ursprung im Gehirn, der Schmerz steuernde Effekt, den wir entdeckt haben, findet hingegen im Rückenmark statt.»

Macht nicht müde

Zum Glück kommen die betreffenden GABA-Rezeptoren im Rückenmark in besonders grosser Zahl vor und sind nicht beteiligt an der dämpfenden Wirkung von Valium. Somit geht es darum, eine Valium-ähnliche Substanz zu finden, die das Gehirn gleichsam links liegen lässt und spezifisch nur mit den GABA-Rezeptoren im Rückenmark reagiert. Für die Versuche an Mäusen und Ratten hatte Hanns Ulrich Zeilhofer solche Substanzen zur Verfügung, «aber die sind für den Einsatz beim Menschen noch nicht gut genug».

Es sollte eine Pille sein

Damit die neue Schmerztherapie-Methode auch beim Menschen funktionieren kann, muss der Wirkstoff sehr spezifisch für die betreffenden GABA-Rezeptoren im Rückenmark sein und sollte idealerweise in Pillenform zur Verfügung stehen. «Das ist eine Herausforderung für medizinische und pharmazeutische Chemiker», räumt Prof. Zeilhofer ein. Er und sein Team können die Aufgabe nicht selber lösen, doch «hoffen wir natürlich, dass die Pharma-Industrie unsere Anregungen aufgreifen wird». Man stehe auch schon in Kontakt mit Interessenten.

Box: Ein lohnendes Feld

Kopfweh, Rückenschmerzen oder Arthritis-Leiden sind oft chronisch, bestehen andauernd oder kommen wiederholt in Wellen. Diese Art von Schmerz hat die Warnfunktion verloren, hat sich zu einem eigenen Krankheitsbild entwickelt und ist meist nur schwer behandelbar. Etwa 16 Prozent der Schweizer Bevölkerung leiden unter chronischen Schmerzzuständen, die somit auch zu einem gesundheitspolitischen Problem geworden sind. Denn Schmerzbekämpfung verschlingt inzwischen schätzungsweise mehr Geld als die Behandlung von koronaren Herzerkrankungen, Krebs und Aids kombiniert. Schmerzforscher haben daher ein lohnendes Feld zu beackern.

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