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Gesundheit/Ernährung

Cholesterinsenker unter Beschuss

Das Schlucken von Pillen gegen «schlechtes» LDL-Cholesterin verhilft nicht automatisch zu gesunden Blutgefässen. Dies zeigt eine Studie aus den USA. Die Aufregung ist gross. In den Vereinigten Staaten rennen verängstigte Patienten den Ärzten die Praxis ein, gewiefte Anwälte bereiten bereits eine Sammelklage vor, der wegen der Immobilienkrise ohnehin gebeutelte Aktienkurs von Schering-Plough sackt nochmals um 20 Prozent ab und der US-Kongress droht mit einer Untersuchung. Der Grund: Kleinlaut hatten die Firmen Merck/Schering-Plough Mitte Januar in einer Medienmitteilung bekannt gemacht, dass ihr Kombipräparat Vytorin, mit dem sie seit 2004 gutes Geld verdienen, nicht hält, was die Etikette verspricht. Damit ist das über Jahrzehnte aufrecht erhaltene Dogma erschüttert worden, wonach Medikamente, welche die Blutkonzentration an «schlechtem» Cholesterin (LDL) im Blut senken, generell auch zur Verhütung von Herz-Kreislauferkrankungen beitragen. Vytorin ist in der Schweiz seit November 2005 unter dem Markennamen Inegy erhältlich und eine Kombination der beiden auch hierzulande zugelassenen Arzneien Zocor und Ecetrol. Während Zocor, ein sogenanntes Statin, die körpereigene Cholesterinproduktion in der Leber bremst, hemmt Ecetrol die Aufnahme des Blutfettes aus dem Darm. Daher müsste der kombinierte Einsatz beider Stoffe eigentlich den Cholesteringehalt im Blut effizienter senken und damit auch besser vor Herz-Kreislauferkrankungen schützen, als Zocor für sich allein genommen dies tun kann.

So zumindest lautet die These, die Merck und Schering-Plough mittels der Studie «Enhance» an insgesamt 720 schwer cholesterinkranken Patienten untermauern wollten. Eben dies gelang jedoch nicht. Zwar hatten die kombiniert behandelten Patienten tatsächlich weniger LDL im Blut als die Kontrollgruppe, die bloss Zocor erhielt. Aber auf die Gesundheit der Blutgefässe hatte dies keinen positiven Einfluss: In 30 000 Ultraschall-Bildern von der Halsschlagader waren bei beiden Gruppen etwa gleich viele Cholesterin-Ablagerungen zu sehen. Plaques in den Arterien gelten als gefährlich, weil sie losbrechen und einen Herzinfarkt oder Hirnschlag auslösen können.

Jetzt erweist sich die Studie «Enhance» für Hersteller von Cholesterinsenkern aber als Rohrkrepierer, weil die Beweiskette: niedriges LDL – gesunde Blutgefässe – Schutz vor Herzinfarkt und Hirnschlag unterbrochen wurde. Ebenfalls wenig hilfreich ist, dass während der zwei Jahre dauernden Studie unter den kombiniert behandelten Patienten zwei Infarkt-Todesfälle auftraten gegenüber bloss einem in der Kontrollgruppe. Das ist zwar statistisch nicht signifikant, liefert aber gleichwohl gute Schlagzeilen.

Schering-Plough verweist auf eine weitere noch laufende Vytorin-Studie an über 20 000 Patienten. Davon will aber im Moment in den USA niemand etwas hören. Patienten sind verängstigt und verärgert, weil sie während Jahren eine unwirksame oder vielleicht sogar schädliche Medikamentenkomponente geschluckt haben. Die Ärzte und vor allem die Kardiologen sind sauer, weil Merck/Schering-Plough die Resultate von «Enhance» so lange zurückgehalten und dann erst noch direkt den Medien zugänglich gemacht hat, statt sie zuerst in einer Fachzeitschrift zu publizieren. Und auch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA steht ein bisschen im Regen mit ihrer Politik, neue Cholesterinsenker zuzulassen, wenn nur schon deren hemmender Effekt auf LDL, nicht aber ein tatsächlicher Nutzen für die Blutgefässe nachgewiesen ist.

Der Wirbel um Vytorin wurde von der «New York Times» zum Anlass genommen, mit der gesamten Medikamentenklasse der Cholesterinsenker abzurechnen. Es sei nicht zu übersehen, dass in den USA trotz enormem Verbrauch an Cholesterinsenkern mehr Menschen denn je an Herz-Kreislaufversagen sterben, wird moniert. Profitiert von der exzessiven Verschreibung dieser Medikamentenklasse hätten hingegen die Pharmafirmen. Tatsächlich führt praktisch jeder Arzneimittelhersteller einen Colesterinsenker im Sortiment und verdient glänzend dabei: Auf gut 40 Milliarden Dollar wird der Jahresumsatz weltweit geschätzt. Doch «die Vorstellung, man müsse zur Verbesserung der Volksgesundheit einfach nur das LDL senken, ist eben bei weitem zu simpel», zitiert der NYT-Artikel Eric J. Topol, den Kardiologen und Direktor des «Scripps Translational Science Institute» in La Jolla.

Dem können Ernährungsspezialisten nur beipflichten. Zwar wisse man seit vielen Jahren, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen LDL-Blutspiegel und Herzinfarktrisiko. «Doch allgemein gilt: Ein erhöhter LDL-Spiegel ist bloss einer unter mehreren Risikofaktoren für Herzkreislauf-Krankheiten», sagt etwa Prof. Ulrich Keller im Gespräch mit der NZZaS. Doch verschreibt er als Leiter der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am Basler Universitätsspital gelegentlich ebenfalls Vytorin repektive Inegy. «Die Kombination der beiden darin enthaltenen Wirkstoffe ist wegen der Synergie-Wirkung in schweren Fällen hilfreich bei Patienten, die wegen der Nebenwirkungen nicht mit hohe Statindosen allein behandelt werden können.»

Trotz der Kontroverse in den USA sieht Prof. Keller zur Zeit keinen Grund, von diesem Behandlungskonzept abzuweichen. «Die Studie ist ja noch gar nicht publiziert, und bloss auf Zeitungsberichte abgestützt kann ich wohl nicht reagieren.» Ähnlich tönt es bei Swissmedic, dem Schweizerischen Heilmittelinstitut. «Zu Inegy hat Swissmedic keine Hinweise auf neue oder veränderte Risiken, die das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ beeinflussen würden», teilt Mediensprecher Joachim Gross auf Anfrage mit. Die Ergebnisse der Enhance-Studie seien nicht relevant für das Indikationsgebiet, für das Inegy ursprünglich zugelassen wurde. «Swissmedic sieht daher keinen Handlungsbedarf.»

Box: Vom guten und vom schlechten Cholesterin

In Gallensteinen wurde der Stoff im 18. Jahrhundert erstmals gefunden, und das geht ihm heute noch nach: Vom griechischen «chole» (Galle) und «stereos» (hart) hat das Cholesterin seinen Namen. Cholesterin ist ein wichtiger Bestandteil der Zellmembran und wird zu 70 Prozent in Leber und Darm produziert und nur zu 30 Prozent mit der Nahrung aufgenommen. Die Substanz wird den Fetten (Lipiden) und fettähnlichen Stoffen zugerechnet, weil sie im Blut überwiegend als Verbindung mit einer Fettsäure und einem Protein zirkuliert.

Dabei übernimmt dieser Komplex je nach Grösse des Proteinanteils unterschiedliche Aufgaben. Macht der Proteinanteil ungefähr 25 Prozent aus, spricht man von LDL (Lipoprotein niedriger Dichte). Dieses funktioniert gleichsam als Lastesel, der den begehrten Baustoff aus den Produktionszentren in Darm und Leber hinaus zu den Bauplätzen im Körper schleppt. Auch dann noch, wenn’s längst des Guten zu viel ist und das überschüssige LDL die Blutgefässen zu verstopfen droht.

Aber zum Glück gibt es auch das «gute» Cholesterin. Dieses enthält zu 50 Prozent Protein und hat im Vergleich zum LDL eine hohe Dichte. Dieses HDL-Cholesterin besorgt den Transport von überschüssigem Cholesterin aus den Blutgefässen in die Leber zurück, wo der riskante Stoff abgebaut und in den Darm geleitet wird. Dort wird das Cholesterin jedoch teilweise resorbiert und in die Leber zurückgeführt, es gibt also einen eigentlichen Cholesterinkreislauf: Galle – Darm – Leber – Galle.

Originalfassung des in der NZZaS vom 27. Januar 2008 erschienenen Artikels.

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