Weshalb Syphilis-Epidemien etwa alle zehn Jahre auftreten
Etwa alle zehn Jahre erreicht die Zahl der Syphilis-Infektionen in US-Städten einen neuen Höhepunkt: Nicht etwa wegen wechselnden Trends im Sexualverhalten, sondern weil der Erreger mit dem menschlichen Immunsystem Katz und Maus spielt. Das haben Forscher jetzt herausgefunden. Weil er Apollo verärgert hat, ist der Schäfer Syphilos vom Gott zur Strafe mit der neuen Krankheit geschlagen worden. So jedenfalls erzählt es die Sage. Und noch nicht allzu lang ists her, dass – je nach jeweiliger eigener Nationalität – entweder Franzosen oder Spanier als Überträger der Geschlechtskrankheit galten. Ob nun von Gott gewollt oder durch Fremde verbreitet: Die «Lustseuche» Syphilis zählt seit Alters her zu den Plagen der Menschheit. Wie und weshalb diese Plage in ziemlich regelmässigen Abständen grassiert und wieder verschwindet, erklärten nun der britische Infektiologe Nicholas C. Grassly und Kollegen kürzlich in der britischen Zeitschrift «Nature».* Sie haben die Statistiken näher angeschaut, die seit Ende des zweiten Weltkrieges vom amerikanischen Zentrum für Seuchenkontrolle CDC über das Auftreten der auch in den USA meldepflichtigen Geschlechtskrankheit geführt werden. Dabei wurde bestätigt, was im Prinzip schon länger bekannt ist, nämlich dass Syphilis-Epidemien in Wellen auftreten. Bis jetzt wurde das Phänomen allgemein mit verändertem Sexualverhalten, «gelockerten Sitten» (also doch Strafe Gottes?) erklärt. So wurden Sex-Revolution und Schwulenbewegung für die Epidemie in den 70er Jahren verantwortlich gemacht, während nach gängiger Lehrmeinung Verarmung und Drogenprostitution hinter dem Wiederkehren der Seuche in den 80ern stecken sollten.
Stimmt alles so nicht, ist Nicholas Grassly überzeugt. Er und sein Team waren die in den Jahren 1960 bis 1993 aus 68 US-Städten gemeldeten Erkrankungszahlen nochmals durchgegangen. In einem Zeitraum also, in dem sich nicht viel Neues getan hat an der Syphilis-Front: Die Penicillinbehandlung hatte sich überall durchgesetzt, und die eigentlich gegen das HIV gerichteten «safer sex»-Kampagnen griffen erst etwa ab 1993. Grasslyís Team konnte nun einerseits zeigen, dass Syphilis-Epidemien alle acht bis elf Jahre auftraten, dass dies jedoch wenig zu tun haben konnte mit Änderungen im Sexualverhalten der betreffenden Generationen. Sonst hätten sich ja die Erkrankungsraten für Gonorrhöe (Tripper), die auf gleichem Weg übertragen wird, parallel zu denjenigen der Syphilis entwickeln müssen.
Haben sie aber nicht. Vielmehr zeigt die Kurve der Gonorrhöe-Erkrankungen im Zeitraum 1960 bis 1993 bloss sanfte Hügel, keine Spur von regelmässig wiederkehrenden Spitzen. Die Infektiologen erklären diese Diskrepanz damit, dass nach einer durchgemachten Syphilis zeitlich begrenzt (eben ungefähr während zehn Jahren) eine gewisse Immunität besteht gegenüber einer Neuinfektion. Damit sinkt zeitweilig die Zahl derjenigen Individuen in einer Population, die theoretisch überhaupt mit Syphilis angesteckt werden könnten – und damit logischerweise auch die Zahl der Infektionen. Gegenüber Gonorrhöe entwickelt der menschliche Organismus hingegen keine Immunität, eine Neuinfektion ist jederzeit möglich.
Noch etwas hat sich übrigens gezeigt: Die Syphilis-Zyklen zumindest der grösseren untersuchten Städte beginnen sich allmählich aneinander anzugleichen. Die Wissenschaftler erklären diese Synchronisation damit, dass sich wegen der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung eigentliche überregionale Sex-Netzwerke gebildet haben, paradiesische Zustände für den Erreger. Der alte Argwohn unserer Vorfahren gegenüber Reisenden hatte somit mindestens in dieser Beziehung doch eine gewisse Berechtigung …
*Nature Vol. 433, 27. Januar 2005