Das Röntgenbild, das der Zahnarzt jeweils vor dem Bohren von Ihrem Unterkiefer anfertigt, kann mehr an den Tag bringen als bloss den verborgenen Kariesherd im Backenzahn. Denn wenn sich in der Praxis durchsetzt, woran Spezialisten seit Jahren herumpröbeln, könnte der ungeliebte Zahnarztbesuch bald auch Hinweise liefern für beginnenden Knochenschwund und erhöhtes Schlaganfall-Risiko. Für Aufsehen hat gesorgt, was Prof. Keith Horner von der University of Manchester und seine Forscherkollegen in der Fachzeitschrift «Bone»* publiziert haben. Den Wissenschaftlern ist es nämlich gelungen, mittels Unterkiefer-Röntgenbildern eine Osteoporose-Erkrankung schon im Frühstadium aufzuspüren. Einige Erfahrung und ein spezielles Computerprogramm braucht es zwar dazu, falls sich aber die Methode bewährt, stünde ein kostengünstiges Instrument für die Osteoporose-Früherkennung zur Verfügung.
So etwas gibt es nämlich noch nicht. Zwar kann die Knochendichtemessung mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie und Computertomogramm eine beginnende Osteoporose zuverlässig nachweisen. Beide Techniken sind jedoch recht aufwändig, teuer und damit ungeeignet für Massenuntersuchungen.
Da könnte eben die Methode Horner Abhilfe schaffen. Sie wurde an 652 Frauen im Alter zwischen 45 und 70 Jahren überprüft. Zunächst wurden die Probanden den gegenwärtig besten Standardtests unterzogen. Damit wurden 140 Osteoporose-Fälle entdeckt. Doch gut die Hälfte davon hätte auch schon durch den computerisierten Röntgentest erfasstt werden können, schreiben die Forscher. In der alltäglichen Praxis würde der Zahnarzt dann Patientinnen mit bedenklichen Kieferknochen-Bildern an einen Facharzt überweisen. So könnte die Hälfte der von Osteoporose bedrohten Zahnarzt-Patienten gewarnt werden, bevor ein Knochen bricht. Horner und Kollegen versuchen jetzt, die «Erkennungsquote» ihrer Methode noch zu erhöhen.
Noch einen Schritt weiter in der Interpretation von Unterkiefer-Röntgenbildern will man an den Basler Universitätskliniken für Zahnmedizin gehen. Dort wird unter der Leitung von Klinikchef Prof. Thomas Lambrecht untersucht, ob Röntgenbilder auch vor einem Schlaganfall-Risiko warnen könnten. Auf Breitband-Aufnahmen des Unterkiefers lassen sich nämlich auch Verkalkungen in Weichteilen, insbesondere der Halsschlagader, ausmachen. Schwierig ist noch die genaue Lokalisierung der Ablagerungen. Sobald aber dieses Problem gelöst ist, könnte routinemässig unter den Zahnarztpatienten nach Schlaganfall-Kandidaten Ausschau gehalten und diese rechtzeitig in Behandlung geschickt werden.
Das tönt vielleicht alles ein wenig nach Zukunftsmusik. Doch immerhin ist gut zu wissen, dass ein Zahnarztbesuch vielleicht bald schon nicht bloss den Zähnen etwas bringt.
* Bone 10.1016/j.bone.2006.10.024 (2006)