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Zoologie

Wo grosse und kleine Ungeheuer hausen

Sie bedeckt über die Hälfte unseres Planeten, und doch weiss man über die Tiefsee weniger als von der Mondoberfläche. Die Basler Sonderausstellung rückt nun einige der bizarren Lebewesen ins rechte Licht, die sich trotz Dunkelheit und Kälte dort unten tummeln. Wo es an Wissen mangelt, gedeihen die Legenden. So etwa über die Tiefsee. Von der Antike bis zu Jules Verne galt sie als Lebensraum für furchterregende Ungeheuer, die ganze Schiffe mit Mann und Maus auf den Meeresgrund hinunterziehen. Die Schauermärchen wurden von den Zoologen schon früh als Seemannsgarn belächelt, schon deshalb, weil ab 500 Meter unter Wasser totale Finsternis herrscht und damit tote Hose – Leben ohne Licht sei undenkbar lautete damals die Lehrmeinung.

Heute stellt sich alles nochmals anders dar. Denn «Ungeheuer» in der Gestalt von Riesenkalmaren wurden inzwischen tatsächlich gesichtet, und eine Tiefengrenze für die Existenz von Leben scheint es trotz herrschender Dunkelheit nicht zu geben. Zumindest berichtete Jacques Piccard schon im Jahr 1960, bei seinem Tauchgang mit der «Trieste» im Marianengraben in knapp 11 000 Metern Tiefe einen Fisch gesichtet zu haben. «Es gibt davon sogar ein Foto, doch ist nicht sicher, dass es sich dabei um einen Fisch handelt. Es könnte auch eine Seegurke gewesen sein», meint die Biologin Alexandra Bunge im Gespräch mit der baz. Sie hat in Basel studiert und arbeitet seit einem Jahr als Koordinatorin für die Sonderausstellung «Tiefsee», die ab heute Freitag im Naturhistorischen Museum Basel zu sehen ist. Was das Basler Museum fernab vom Meer ausgerechnet in der Tiefsee verloren habe? «Es ist dies ganz einfach einer der spannendsten und immer noch rätselhaftesten Lebensräume auf unserem Planeten», begründet Bunge die Wahl des Ausstellungsthemas.

Nicht bloss rätselhaft und weitgehend unerforscht ist die Tiefsee, sondern auch immens in ihrer Ausdehnung; auf der 1000-Meter-Tiefenlinie gemessen sind es 318 Millionen Quadratkilometer und damit rund 60 Prozent der gesamten Erdoberfläche. Dennoch weiss man über dieses riesige Gebiet heute noch weniger als über die Mondoberfläche. Denn unwirtlich ists dort unten, dunkel, um die Null Grad kalt, tausend Atmosphären Wasserdruck Druck musste Piccards Kapsel aushalten. Mit ein Grund, dass bis heute noch niemand es dem Schweizer Forscher nachgemacht hat und man daher immer noch nicht weiss, obs jetzt Fische sind, die dort unten zu sehen wären oder doch bloss Seegurken.

Das ist vielleicht gar nicht entscheidend. Gesichert ist inzwischen dafür, dass der Tiefseeboden zu den artenreichsten Regionen unseres Planeten zählt. Amerikanische Schätzungen sprechen von zehn Millionen Arten kleinster Lebewesen, die im Tiefseeschlick leben, also etwa sechsmal mehr, als heute weltweit (Tropenurwald inklusive) beschrieben sind. «Jede Tiefsee-Expedition fördert mehr neue Arten zutage, als bisher bekannt und beschrieben waren», sagen auch die Forscher des Frankfurter Senckenberg-Museums. Sie hatten vor zwei Jahren im Rahmen des Projekts «DIVA» den Ozeanboden von Kapstadt bis zu den Kapverden abgesucht und überaus reiche Beute eingefahren.

Das Naturmuseum Senckenberg ist denn auch Partner bei der Basler Tiefsee-Sonderausstellung und wird die Show danach in Frankfurt zeigen. «Ohne potenten Partner wäre es gar nicht möglich, eine solche Ausstellung auf die Beine zu stellen», sagt Alexandra Bunge. Einerseits war man in Basel auf Leihgaben aus den Frankfurter Museumsbeständen angewiesen, andererseits auf die geschickten Hände der Präparatoren: Das ausgestellte Modell eines drei Jahre alten Pottwal-Weibchens stammt aus den Senckenberger Werkstätten. Im Gegenzug modellierte der Basler Präparator Christoph Meier aufgrund von wissenschaftlichen Skizzen den Riesen-Kalmar. Beide Tiere hangen jetzt friedlich nebeneinander an der Decke des Museums-Treppenhauses, obwohl Riesentintenfische in der freien Natur ganz oben stehen auf dem Speisezettel der Pottwale.

Es sind in der Ausstellung somit in erster Linie die grossen Tiefsee-Lebewesen zu sehen, die sich in Tiefen zwischen 200 und 1000 Metern tummeln. Wobei «gross» ein relativer Begriff ist. So kursieren über den Riesenkalmar die unterschiedlichsten Grössenangaben, auf acht bis 40 Meter soll das «Seeungeheuer» anwachsen können. «Da wird sehr übertrieben», weiss Alexandra Bunge. «Erstens sind die Tentakel, die jeweils an den angeschwemmten Kadavern vermessen wurden, sehr dehnbar – sie geben daher ein falsches Bild. Und die Saugnapfnarben, welche die Pottwale zuweilen im Kampf mit ihrer Lieblingsbeute davontragen, sind wahrscheinlich deshalb oft tellergross, weil sie gleichzeitig mit den Walen gewachsen sind.» Daneben kann ein Tiefseefisch schon froh sein, wenn er überhaupt zehn Zentimeter Länge erreicht, «das ist schon sehr goss, denn es gibt einfach nicht so viel zu fressen im Tiefsee-Wasser». Deshalb wurden viele der ausgestellten Modelle massstabgetreu vergrössert, «damit man überhaupt etwas sieht». Viel Liebe zum Detail floss für die Basler Ausstellung in den Modellbau ein.

Besonders stolz ist die Projektkoordinatorin jedoch auf die rund 45 Original-Präparate, die 1899 von der deutschen Valvidia-Expedition zurück gebracht worden waren und nun in der Ausstellung zu bewundern sind. «Sie wurden über 100 Jahre lang in Sprit aufbewahrt und haben deshalb etwas an Farbe verloren. Aber ich finde es trotzdem toll, dass man auch in natura sehen kann, was im gleichen Saal als Modell in der Vitrine steht.»

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