Innert sechs Jahren ist am Rheinknie ein Zentrum zur Erforschung des Nano-Kosmos herangewachsen
Glücklichen Umständen und der Beharrlichkeit eines Einzelnen ist es zu verdanken, dass die Universität Basel auf dem Gebiet der Nanowissenschaften ganz vorne mit dabei ist. Davon legt kommende Woche auch der Kongress ICN&T Zeugnis ab. Kaum zu glauben, was eine Nadelspitze alles so kann, wenn sie nur fein genug ist und Punkt für Punkt eine Materialprobe im präzisen Raster abtastet: Einzelne Moleküle und Atome können dann mit der Spitze interagieren, je nach Versuchsanordnung werden Stromschwankungen gemessen oder eine mechanische Feder wird in feinste Schwingung versetzt. Die Signale sind zwar unvorstellbar schwach, aber dank modernster Mess- und Computertechnik lässt sich mit solchen Rastersonden-Mikroskopen die Molekül- oder gar Atomstruktur der untersuchten Probe abbilden.
Besonders seit die Leitung des Nationalen Forschungsschwerpunktes «Nanowissenschaften» in Basler Hand liegt, werden die Techniken der Rastersonden-Mikroskopie an der hiesigen Universität in praktisch allen naturwissenschaftliche Disziplinen angewandt. So hilft das neue Instrument etwa bei der Qualitätskontrolle von wieder verwendbaren Dialysemembranen, wie sie im Kantonsspital Liestal entwickelt wurden, überprüft die Beschichtung von Brillengläsern, zaubert den Lotuseffekt in Farben und Lacke: Peter Reimann vom Institut für Physik hilft Industrie und Gewerbe beim meistern ihrer Oberflächenprobleme.
Mikroskop im Knie
Um ein Oberflächenproblem handelt es sich auch, wenn die Gelenke zu schmerzen beginnen. Oft ist der Ab- oder krankhafte Umbau von Knorpelgewebe daran schuld. Ueli Aebi und sein Team haben am Basler Biozentrum ein Rasterkraftmikroskop gebaut, das arthroskopisch über eine Sonde ins Gelenk gebracht werden kann, und dort den Zustand der Knorpeloberfläche misst. Bei Mäusen funktioniert die Technik bereits sehr gut, nun wird sie bald an Patienten getestet.
Die Federbalken der Rasterkraft-Mikroskopie taugen aber auch als empfindliche Sensoren. Die Spitzen können mit spezifischen Rezeptoren belegt werden, an die sich die aufzuspürenden Substanzen dann anlagern, bis sich die Bälkchen biegen und ein Signal registriert wird. Reiht man eine Anzahl solcher Federbalken (Cantilever) mit unterschiedlichen Rezeptoren aneinander, ist die «künstliche Nase» perfekt. Werden Antikörper als Rezeptoren eingesetzt, kann man nach einzelnen Proteinmolekülen fischen. Der Basler Biophysiker Martin Hegner hofft gar, mit diesem Prinzip bald Viren und Mikroorganismen schon am Krankenbett nachweisen zu können.
Natur kopiert
Die Natur zu kopieren haben sich Wolfgang Meier und sein Team am Basler Departement Chemie zum Ziel gesetzt. Bereits haben sie wassergefüllte Nanoröhrchen gebaut, die vielleicht einmal als Transportleitungen taugen. Oder künstliche Membrane, die stärker und chemisch stabiler sind als das natürliche Vorbild und auch als Wandmaterial für Mikroreaktoren gebraucht werden könnten.
Von der Mikro- zur Nanoelektronik. Auf die Mikroelektronik wird wohl die Nanoelektronik folgen. Auch dieses Feld wird von den Basler Nano-Tüftlern intensiv beackert. Falls die optischen Chips, die mit Lichtquanten arbeiten statt mit Elektronen, je die Praxis erobern werden, bauchts Antennen, um die Lichtsignale einzufangen und wieder abzustrahlen. Eine Aufgabe für Nanotechniker, denn die Licht-Antennen sollten idealerweise bloss zwischen 400 und 800 Nanometer kurz sein. Bert Hecht, der momentan eine Förderungsprofessur an der Universität Basel innehat, hat sie zusammen mit Basler und Zürcher Kollegen gebaut, diese Lichtantenne.
Nach dem kleinstmöglichen elektrischen Schaltelement sucht Christian Schönenberger, seit Juni Direktor des Forschungsschwerpunktes «Nanowissenschaften», zusammen mit seinen Kollegen. Genügt ein einzelnes Molekül? Und welche Eigenschaften muss es erfüllen? Schon nur die elektrischen Eigenschaften eines vorgegebenen Einzelmoleküls zu bestimmen, ist knifflig. Schönenberger und sein Team haben eine Lösung gefunden für dieses Problem.
Rechnen mit Quanten
Die Grenzen selbst der Nanowissenschaften sprengt dann, was unter der Leitung von Daniel Loss am Basler Institut für Physik versucht wird. Gemäss den Gesetzen der Quantenmechanik will er einen Computer bauen, der leistungsfähiger ist als alle heutigen Superrechner. Der Trick: Der Quantencomputer rechnet nicht mit Nullen und Einsen (Bits), sondern mit beliebigen quantenmechanischen Überlagerungen (Qubits). Ein solches Qubit beschreibt einen Zwitterzustand, der gleichzeitig sowohl eine Null als auch eine Eins darstellt. Dank diesem zusätzlichen Freiheitsgrad, könnte ein Quantencomputer punkto Rechnerleistung sämtliche klassischen Rechner schlagen, so die Idee. Sie mag zwar das Vorstellungsvermögen eines Normalsterblichen zu sprengen, aber dass das Prinzip funktioniert, ist jedenfalls bereits erwiesen.
Der Herr der Zwerge
Wenn Basel heute über ein weltweit renommiertes Zentrum für Nano-Wissenschaften und -Technik verfügt, so ist dies zu einem guten Teil Hans-Joachim Güntherodt zu verdanken. Zeit seines Lebens hat er sein wissenschaftliches Interesse auf die Erforschung des Mikro- respektive Nanokosmos ausgerichtet (nano, lat. «Zwerg» steht für «ein Milliardstel»). Hier an der Basler Universität hat Güntherodt ab 1974 die Abteilung «Physik der kondensierten Materie» aufgebaut, hat die Rastersonden-Mikroskopie weiter entwickelt und hat 1995/96 als Rektor die Universität in die Autonomie geführt.
So lag es auf der Hand, dass der bewährte Forscher und Universitäts-Manager vor sechs Jahren mit der Leitung des Nationalen Forschungsschwerpunktes «Nanowissenschaften» NCCR betraut wurde. Das für hiesige Verhältnisse aufwändige Forschungsprojekt verfügt dank Unterstützung durch Bund, Universität Basel und Netzwerkpartner über ein Jahresbudget von 16 Millionen Franken. Die Arbeit von 190 Forschenden in der ganzen Schweiz, «darunter 45 Frauen», wie Güntherodt stolz vermerkt, wird seither von Basel aus inspiriert und koordiniert.
Mit Genugtuung erfüllt den Physikprofessor auch der Erfolg des Studienganges Nanowissenschaften, den die Universität Basel seit Herbst 2002 als Schweizer Novum nach dem Bachelor/Master-System anbietet. Rund 40 junge Menschen wählen jedes Jahr den neuen Studiengang. Bereits hat Basels Nanozentrum im noch jungen Fach zwei Dutzend Professoren in alle Welt entsandt. Und dass der Kanton Aargau fürs erste mit fünf Millionen Franken für die Nanowissenschaften «einsteigt» bei der Universität Basel, spricht wohl für sich.
«Ich bin vor allem froh, dass ich tüchtige Leute nachziehen konnte», antwortet Hans-Joachim Güntherodt auf die Frage, ob er stolz sei auf das Vollbrachte. Für ihn sei es jetzt Zeit, in den Hintergrund zu treten, der Nanokongress ICN&T sei sein letztes grosses Projekt. Die Leitung des Forschungsschwerpunktes hat er bereits an den Kollegen und Spezialisten für Nano-Elektronik Christian Schönenberger abgegeben. Er selber begnügt sich seither mit dem Titel «Ehrenpräsident des NFS Nanowissenschaften». Auch ganz schön.