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Zoologie

Wie Schaben sich überlisten lassen

An der ETH Zürich entwickelte Roboter-Käfer vermögen Kakerlaken ans Tageslicht zu locken

Man sieht sie selten, und doch leben sie auch unter uns überall, wo es warm und feucht ist: die Schaben. Angefressene Lebensmittel und kleine Kotkügelchen sind die Visitenkarte der ungebetenen Gäste. Sie wieder loszuwerden ist nicht einfach, denn die Schädlinge und Träger mancher Krankheitserreger sind schnell auf den Beinen. Zu ihrer Überlebensstrategie zählt neben einer beängstigenden Vermehrungsrate auch die instinkthafte Gewohnheit, sich tagsüber in dunklen Schlupfwinkeln zu verstecken. Doch offenbar ist das lichtscheue Verhalten der Kakerlaken nicht einfach angeboren, sondern ist zu einem gewissen Grad auch Resultat eines kollektiven Entscheidungsprozesses innerhalb der Käferkolonie. Und diese Entscheidfindung kann von fremden Eindringlingen manipuliert werden. Dies konnte eine europäische Forschergruppe, darunter Wissenschaftler der ETH Zürich und der EPFL, in einer raffinierten Versuchsanordnung demonstrieren. Ihr Bericht ist in der heutigen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins «Science» veröffentlicht.

Hauptdarsteller in der Schaben-Arena sind kleine Roboter, die vom Team um Roland Siegwart kreiert wurden, dem Leiter des Instituts für Robotik und Intelligente Systeme an der ETH Zürich. Intelligenz zumindest mimen müssen die Agenten tatsächlich können, wenn sie eine Schabenkolonie erfolgreich infiltrieren sollen. «Um von der Schabengruppe akzeptiert zu werden, müssen die Roboter-Käfer einige Grundanforderungen erfüllen», schildert Roland Siegwart seine Entwicklungsarbeit gegenüber der baz. «Die Kunstschaben müssen sich ähnlich bewegen wie die Originale und fähig sein, Hindernissen, etwa den Mit-Schaben oder dem Käfigrand auszuweichen.»

Siegwarts Geschöpfe scheinen das Täuschungsmanöver brillant zu beherrschen, obwohl sie gar nicht wie Schaben aussehen. Dies spielt aber offenbar keine Rolle, so lange sie den richtigen Stallgeruch verströmen. Dazu wurden die Roboterchen mit Vliespapier eingekleidet, das zuvor mit Schaben-Pheromonen getränkt worden war (der aus etwa zwei Dutzend Chemikalien zusammengesetzten Duft-Cocktail wird aus der Haut von Kakerlaken-Männchen gewonnen). Zwei wichtige Verhaltensregeln wurden zudem den Schaben-Robotern mit auf den «Lebensweg» gegeben. Sie wurden programmiert, einerseits wie die richtigen Schaben stets Gesellschaft zu suchen und andererseits – dies jedoch im Gegensatz zu den lebenden Käfern – sich tendenziell lieber an einem hellen Ort aufzuhalten.

Jetzt konnte die Show beginnen. Als Arena diente ein gut ausgeleuchteter runder Käfig von einem Meter Durchmesser. Darin wurden zwei Unterschlüpfe aufgestellt, gross genug, um im Bedarfsfall die gesamte Versuchsgruppe aufzunehmen. Der eine Unterstand war mit rotem Papier auf 100, der andere auf 75 Lux abgedunkelt. In einer ersten Versuchsreihe wurde eine Gruppe von 16 männlichen Schaben in den Käfig gesetzt und jeweils während dreier Stunden gemessen, wie lange und wo sich die Käfer aufhielten. Nicht überraschend zeigte sich, dass sich die echten Kakerlaken in 73 Prozent der Fälle lieber im dunkleren der beiden Schlupfwinkel versteckten.

Ganz anders dann das Verhalten der Gruppe, wenn nur schon vier Käfer durch Roboterchen ersetzt wurden, die Helligkeit bevorzugen. Denn jetzt verhielt sich das gemischte Kakerlaken-Kollektiv bloss noch zu 39 Prozent lichtscheu und versammelte sich bevorzugt am helleren Ort. Mit anderen Worten: Schon eine Minderheit von vier Käfer-Robotern konnte die Schaben-Mehrheit durch chemotaktische Kommunikation davon überzeugen, bewährte Verhaltensmuster aufzugeben und sich an einem potentiell gefährlich hellen Ort zu exponieren. Die Roboter-Käfer zeigten somit – wenn es um die Wahl des Unterschlupfes ging – innerhalb der Gruppe mehr Überzeugungskraft als die echten Kakerlaken. Eine doch erstaunliche Beobachtung, wäre doch schon ein 50:50-Resultat eigentlich sehr beachtlich gewesen.

«Schon möglich, dass das Modell zu wenig genau der Wirklichkeit entspricht», erklärt sich Roland Siegwart das Phänomen. Denn echte Schaben sind von einer ganzen Reihe Verhaltensmuster angetrieben, während die Roboterchen bloss auf zwei «Wünsche» programmiert waren: die Nähe von Schaben (oder Mit-Robotern) zu suchen und sich im Zweifelsfall im helleren Unterschlupf zu verkriechen. «Die Unterschlupf-Wahl hatte somit im Verhalten der Roboter-Käfer anteilsmässig einen viel höheren Stellenwert als bei den echten Schaben.» Wenn sich dann bereits ein paar echte und künstliche Käfer an einem Ort versammelt hätten, sei die Schwelle relativ hoch, die Gruppe zu verlassen und einen besseren Unterschlupf zu suchen.

Die Autoren der Science-Publikation erläutern dazu, dass die Selbstorganisation einer Gruppe eben durch nichtlineare Mechanismen geprägt sei. Die Roboter hätten weder als «Führer» funktioniert noch bloss die Rolle eines Köders übernommen, sondern seien vielmehr gleichwertig in den Entscheidungsprozess der Kakerlaken-Gruppe integriert gewesen. Im übrigen sind die Forscher stolz auf ihren Nachweis, dass soziale Kooperation zwischen Lebewesen und Maschinen in einem gewissen Grad offenbar möglich ist. Und schreiben bereits davon, die Versuchsanordnung auszubauen, akustische und visuelle Dimensionen einzuführen und auch für Wirbeltieren anwendbar zu machen. Vom Menschen ist noch nicht die Rede.

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