Wie muss sich ein Nervensystem neu organisieren, wenn ein im Wasser lebendes Wirbeltier den Gang ans feste Land wagt? Ein Forscherteam der EPFL Lausanne ist der Frage nachgegangen und hat sich dazu einen salamander-ähnlichen Roboter gebaut. Er sieht aus wie ein Lego-Spielzeug, der Tatzelwurm mit seinen neun gelben Körpersegmenten und den vier schwarzen Beinen, wie er da am Strand des Genfersees spazieren geht. Synchron bewegen sich abwechselnd die Gliedmassen vorne links/hinten rechts und vorne rechts/hinten links. Dazu vollführt das Rückgrat Schlangenbewegungen, sodass sich das Gerät fortbewegt, als wärs ein Salamander. Kaum jedoch taucht das Kunstwesen ins Wasser, werden die Schlangenbewegungen wie bei einem Fisch hektischer und verleihen so dem Roboter den notwendigen Vortrieb, um in den See hinauszuschwimmen – nicht sehr schnell, dazu mangelts an der Stromlinienform, aber immerhin.
«Salamandra Robotica» hat denn auch die Forschergruppe um Auke Ijspeert von der ETH Lausanne ihr Haustierchen getauft. Es ist aber nicht bloss ein Gadget fürs Kinderzimmer, das sich die Computer- und Kommunikationswissenschaftler der EPFL und der Universität von Bordeaux da ausgedacht haben. Vielmehr wollen Auke Ijspeert und seine Kollegen damit der Frage nachgehen, was sich im Nervensystem der Wirbeltiere abgespielt haben muss, als diese zum ersten Mal den Landgang wagten. Welche physiologischen Veränderungen sind Voraussetzung für das Leben ausserhalb des Wassers? Wie gelang es dem Nervensystem, die Muskelarbeit unter den Bedingungen der Schwerkraft neu zu koordinieren? Und wie machens die Amphibien, die beides können, im Wasser schwimmen wie ein Fisch und auf festem Boden dahinflitzen wie eine Echse?
Es war ein grosser Schritt in der Evolutionsgeschichte, als vor knapp 400 Millionen Jahren die ersten Wirbeltiere die sichere Ursuppe verliessen und Fuss aufs feste Land setzten. Vorbei wars mit dem schwerelosen Leben, zwecks Sauerstoffversorgung musste eine Lunge her anstelle der Kiemen, Temperaturschwankungen galt es zu meistern. Und landgängige Fortbewegungsmittel, Beine und Füsse, mussten sich zuerst einmal entwickeln, bevor der revolutionäre Fort-Schritt getan werden konnte. Heute weiss man, dass diese Entwicklung beim Panderichthys, einem Vorfahren der Landwirbeltiere, bereits im Wasser einsetzte. Mit beinähnlichen Gliedmassen bewegte sich der vor 365 Millionen Jahren lebende Fisch damals auf dem mit Wasserpflanzen bedeckten Sumpfboden voran.
Zeitgenossen des Schlammfisches sind heute noch, wenn auch selten, in unseren Gewässern anzutreffen, die Neunaugen (Petromyzontidae). Seit 500 Millionen Jahren hat sich das lebende Fossil kaum verändert und gilt stammesgeschichtlich als primitiver Vertreter der Wirbeltiere. Das aalartige Lebewesen gilt als Leckerbissen und landete daher allzu oft in den Kochtöpfen. Heute figurieren alle Arten von Neunaugen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten.
Auf eben dieses Neunauge hatten es auch Ijspeert und Kollegen abgesehen, wenn auch nicht mit kulinarischen Hintergedanken. Sondern weil sich an diesem Urfisch trefflich die primitiven schlängelnden Schwimmbewegungen studieren lassen, oder vielmehr die Arbeitsweise von Nerven-Schaltkreisen, welche die Rumpfmuskeln des Neunauges steuern. «Central Pattern Generator» werden Netzwerke von Neuronen genannt, die – einmal aktiviert – ohne weiteren Reiz von aussen eine rhythmische Aktivität entfaltet. CPA steuern auch beim Menschen viele automatisierte Bewegungsabläufe (Atmung, Gehen, Kauen), besonders einfach lässt sich dieses System gekoppelter Oszillatoren jedoch anhand der Schwimmbewegungen des Neunauges nachweisen: Der vom Hirnstamm ausgehende Befehl «Schwimmen» breitet sich als Welle nervlicher Erregung autonom von Kopf bis Schwanz aus, und daraus resultiert dann die Schlangenbewegung.
Wie Fische schwimmen ist somit zumindest auf neuronaler Ebene ziemlich gut abgeklärt. Doch was läuft im Nervensystem ab, sobald die Fortbewegung über Gliedmassen erfolgen soll, was doch von aussen gesehen ein komplett anderer Bewegungsablauf ist? «Ziemlich dasselbe», sagt Auke Ijspeert im Gespräch mit der baz, «es läuft auch über CPA». Dies konnte er mit seinen Kollegen am Beispiel des Salamanders demonstrieren. Dieses Amphibium kommt – so nehmen die Zoologen an – wahrscheinlich den ersten Vierbeinern ziemlich nahe, die aus dem Wasser krochen. Will man also heute die ersten Gehversuche eines Landwirbeltieres untersuchen, dann wohl am ehesten am Salamander. «Wenn wir das Stammhirn von Versuchstieren reizen, können wir im Salamanderkörper sowohl Schwimm- wie auch Laufbewegungen auslösen. Es hängt allein vom elektrischen Signal ab: Ab einer gewissen Stärke (oder Frequenz) lösen schnelle Schwimmbewegungen die langsame Gangart ab.»
Dies sei ein bisschen «ein gruseliges Experiment», räumt Auke Ijspeert ein, da man zuvor das Hirn der Versuchstiere ausschalten müsse, damit der Restkörper den künstlichen Signalen gehorcht. «Daher arbeiten wir zum Studium der Erregungsabläufe lieber mit dem Roboter, den wir extra dafür konstruiert haben», sagt er. So ist es denn auch «Salamandra Robotica», die in der heutigen Ausgabe von «Science» Schlagzeilen macht. Stolz demonstrieren deren Väter auch in einem Videofilm*, was ihr Tatzelwurm so alles kann, nämlich tatsächlich abwechselnd schwimmen und rennen, wie ein richtiger Salamander auch. Die Beinchen sind rotierende Schaufeln, von 10-Volt Elektromotörchen angetrieben. Und noch wird der Befehl «Schwimmen» oder «Gehen» per Funk übermittelt, aber das sei nicht wichtig und liesse sich mit einem Wassersensor einfach richten, sagt Ijspeert. Essentiell sei vielmehr, dass ähnlich oszillierende Erregungskreise den Roboter auf Trab bringen, wie den richtigen Salamander auch.
«Wir sind mit Salamandra Robotica ziemlich nahe bei der Natur», ist Auke Ijspreet überzeugt. Das Modell sei zwar abstrakt und repräsentiere nicht das Zusammenwirken einzelner Neuronen, «das haben andere Kollegen vor uns detaillierter getan». Vielmehr werde mit dem Roboter «das gemeinsame Verhalten einer ganzen Population von Nervenzellen simuliert».
«Mit unserem Ansatz können Biologie und Robotik voneinander lernen», ist der Forscher überzeugt. Die mit dem Roboter gewonnenen Erkenntnisse könnten Ärzten und Neurologen helfen, «bestimmte motorische Störungen beim Menschen besser zu verstehen. «Da wir nun wissen, dass ein schwaches elektrisches Signal ausreicht, um Bewegung in Gang zu setzen und zu modulieren, müsste es doch in bestimmten Fällen möglich sein, Patienten mit beeinträchtigter Motorik zu stimulieren.»
Doch das sei nicht sein Fachgebiet, sagt Auke Ijspreet. Er will sich jetzt darauf konzentrieren, weitere CPA-gesteuerte Roboter, zu entwickeln unter anderem auch «humanoide». Ob die dann wohl auch schwimmen können?
*http://media.eurekalert.org/scipak/gallery/images/2007-03/e_bastian_entering_the_lake.mpg