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Paläontologie

Vom Sahara-Wind verweht

Wüstenstaub-Ablagerungen stellen Lanzarotes Geschichte auf den Kopf

Aus der Schichtung des Staubes, den es aus der Sahara herüber geweht hat, lässt sich die Klimageschichte von Lanzarote ablesen. Knochenfunde erlauben zudem den Schluss, dass Ziegen (und somit Menschen) viel früher auf der «Insel des ewigen Frühlings» gelebt haben müssen als bisher angenommen. Nicht nur Mittel- und Südeuropa, auch die unter Sahara-Einfluss liegenden Kanarischen Inseln blicken auf einen Jahrhundertwinter zurück: So viel Regen war seit Menschengedenken noch nie. Doch einmal mehr erweist sich das menschliche Gedächtnis als kurz. Die Analyse von Saharastaub, den es in einem Hochtal der Vulkaninsel Lanzarote während rund 1,5 Millionen Jahren abgelagert hat, beweist: Nicht immer herrschte wüstenähnliches Trockenklima auf der dem afrikanischen Kontinent vorgelagerten Insel. Vielmehr gabs auch Feuchtperioden mit üppiger Flora.

Grube als Geschichtsbuch

Wie ein offenes Geologiebuch präsentiert sich die Lehmgrube im Tal von Femes im Süden Lanzarotes. Zwei Vulkane hatten vor etwa 1,5 Millionen Jahren den Talausgang verriegelt. So entstand eine Senke, in der sich der aus der Sahara hergewirbelte Wüstenstaub fortan setzen und ansammeln konnte. Bis in elf Meter Tiefe wurde die Lössschicht bisher nachgewiesen, sie könnte aber bis zu 50 Meter stark sein, eine Besonderheit auf der sonst von nacktem Vulkangestein geprägten Insel. Heute dient die Grube Töpfern und Gartenbauern als Rohstofflieferant.

Der Wüstenstaub lebt

Ludwig Zöller, Professor für Geomorphologie an der Universität Bayreuth, und dessen Kollege Dominik Faust, Professor für Physische Geografie an der Technischen Universität Dresden, sind schon einige Male auf die Insel gereist, um die Wüstenstaub-Ablagerungen zu studieren, die in der Femes-Grube so schön zu Tage treten. Wie auf der Vulkaninsel nicht anders zu erwarten, stammt nicht alles aus der Sahara, was sich da abgelagert hat. So hat neben den sehr weit zurückliegenden Vulkanausbrüchen der berühmte Timanfaya-Ausbruch der Jahre 1730-36 eine deutliche Tuffschicht hinterlassen. Andere historisch belegte Eruptionen hinwiederum sind spurlos am Femes-Tal vorübergegangen. Wahrscheinlich wehten die Winde aus der «falschen» Richtung.

Interessant und schon von blossem Auge sichtbar ist jedoch vor allem das Phänomen, dass Saharastaub nicht gleich Saharastaub ist. Abhängig vom jeweilig vorherrschenden Klima haben die Ablagerungen nämlich unterschiedliche Transformationen durchgemacht. Stecknadel-feine Löchlein in den Bodenproben zeugen von feuchten Klimaperioden: Der Staub hat sich offenbar zeitweilig auf grünen Wiesen angesammelt – in den Löchlein steckten vor Jahrtausenden einmal Grashalme. Verkalkte Nester von Erdbienen erinnern ebenfalls an diese längst vergangenen fruchtbaren Zeiten auf der Insel. Aus anderen Schichten lässt sich ablesen, wie Kalk herausgelöst und tiefer wieder abgelagert wurde: «Wahrscheinlich haben leichte Schwankungen im Säuregrad des Wassers dies bewirkt», vermutet Dominik Faust. Überhaupt scheint der Wüstenstaub zu «leben»: Er verwittert zu Tonmineralien, Mangan wird gelöst und an anderer Stelle wieder ausgefällt oder lagert sich in Knollen an – man wähnt sich in einem Chemielabor.

Der «5-Uhr-Löss»

Besonders interessant ist jedoch eine etwa 20 Zentimeter dicke Schicht, deren Alter Ludwig Zöller mittels der Lumineszenz-Methode (vgl. Box unten) auf ziemlich genau 5200 Jahre datieren konnte. «Ich habe sie 5-Uhr-Löss getauft, weil sie zuverlässig wie die englische Teestunde in allen Lagerstätten der Insel auftaucht», so der Forscher. Der «5-Uhr-Löss» wurde zu Zeiten deponiert, als in der Sahara eine extreme Trockenzeit begann und Staubstürme an der Tagesordnung waren. Da diese Schicht schon von blossem Auge leicht auszumachen ist, dient sie jetzt den Forschern als Zeitmarke: Was oberhalb des 5-Uhr-Lösses gefunden wird, liegt weniger als 5000 Jahre dort, was darunter ist, ist älter.

Der Streit um den Knochen

Und schon gibts ein Problem. Denn Ludwig Zöller hat zusammen mit einigen Mitarbeitern auf Lanzarote in einer anderen Lehmgrube unter dem 5-Uhr-Löss einen Knochen gefunden, der höchstwahrscheinlich von einer Ziege stammt. Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches, denn Ziegen (und Schafe) sind auch heute die einzigen Milchlieferanten, die auf der kargen Insel ein Auskommen finden. Verwirrend ist bloss, dass der erwähnte Knochen unter der 5-Uhr-Lössschicht gefunden wurde und gemäss bisherigen Erkenntnissen seit 5000 bis 10 000 Jahren dort lag. Laut gängiger Lehrmeinung wurde Lanzarote jedoch frühestens vor 3000 Jahren von Nordafrika her besiedelt.

Und so stellt sich jetzt die Frage, wie die Ziegen auf die Insel kamen, wenn nicht in Begleitung des Menschen. Oder anders herum: Sind die Ziegenknochen nicht Beweis dafür, dass zumindest auf Lanzarote schon viel früher Menschen gehaust haben als bisher angenommen? Darüber streiten sich jetzt die Gelehrten, allen voran Ludwig Zöller. «Es gibt kaum etwas Undankbareres, als gegen eine vorherrschende Lehrmeinung anzutreten», musste er am eigenen Leib erfahren. Die Zuversicht hat er dabei aber nicht verloren.

Altersbestimmung mit Lumineszenz

Die Lumineszenz-Altersbestimmung nutzt das Phänomen, dass auch Mineralien stetig der natürlichen radioaktiven Strahlung ausgesetzt sind. Diese bewirkt, dass im Kristallgitter der Mineralkörper Fehlerstellen entstehen, die ihrerseits durch Lichteinwirkung wieder korrigiert werden. Werden die Mineralien jedoch von weiteren Sedimentschichten zugedeckt und folglich vom Sonnenlicht abgeschirmt, baut sich mit der Zeit ein Lumineszenz-Signal auf, das gemessen werden kann. Die Stärke des Signals ist abhängig von der Dauer, welche die Probe im Dunkeln zugebracht hatte. So lässt sich der Zeitpunkt bestimmen, zu dem die betreffende Probe unter der Erdoberfläche verschwand – und damit das Alter der entsprechenden Sedimentschicht.

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