Wo die Gefühle der Befriedigung ihren Ursprung haben
Auch wenn es eigentlich nichts bringt: Wohl tuts, dem Drängler auf der Autobahn den Stinkefinger zu zeigen oder mit dem Kassensturz zu drohen, wenn man sich über den Tisch gezogen wähnt. Zürcher Forscher konnten nun zeigen, dass bei solchem Tun tatsächlich Hirnregionen eingeschaltet werden, wo die Gefühle der Befriedigung ihren Ursprung haben. Schon lange bevor es Gesetze und Verordnungen gab, die alles und jedes festschreiben, lebten Menschen friedlich miteinander zusammen. Kooperation im Interesse der Gemeinschaft heisst das Zauberwort, das die Entwicklung früher Gesellschaftsformen erst ermöglichte.Dabei stand und steht zwar immer noch das Prinzip des «Geben und Nehmen» im Vordergrund. Daneben spielen aber auch Reaktionen eine wichtige Rolle, die von der Verhaltensforschung als «altruistisches Belohnen» und «altruistisches Bestrafen» verstanden werden. Im Klartext: Ein Individuum neigt dazu, Verstösse eines Mitmenschen gegen die Normen der Fairness auch dann zu bestrafen, wenn ihm persönlich daraus kein unmittelbarer Nutzen entsteht. Mehr noch, er oder sie empfindet bei solch altruistischem Tun eine gewisse Befriedigung. Letzteres konnten Zürcher Hirnforscher und Wirtschaftswissenschaftler sogar in einer gemeinsamen Arbeit mittels bildgebender Verfahren der Hirnaktivitäten sichtbar machen, wie in der jüngsten Ausgabe des amerikanischen Wissenschaftsmagazins «Science» berichtet wird.«Wir verfolgen schon seit Jahren die These, dass auch wirtschaftliches Handeln nicht bloss von materieller, sondern auch von sozialer Motivation dirigiert wird. Und jetzt haben wir dafür mit einem Experiment der Hirnforschung den Beweis erbracht», wertet Ernst Fehr die Arbeit im Gespräch mit der BaZ. Er ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich und war am Experiment massgeblich mitbeteiligt. «Jetzt wissen wir, weshalb es die Mehrzahl unter uns mit Befriedigung erfüllt, wenn Manager wegen ihrer hohen Löhne ins schiefe Licht rücken oder Sozialhilfe-Empfänger beim Schummeln erwischt werden.» Eben weil es offenbar ein urtümliches Bedürfnis des Menschen ist, Verstösse gegen das, was als Fairness erachtet wird, bestraft zu sehen. Und die Erfüllung dieses Bedürfnisses wiederum im Lustzentrum des Gehirns registriert wird.
So gross kann der Lustgewinn des Bestrafens werden, dass sogar persönliche Nachteile in Kauf genommen werden. Dies zumindest kann aus den Ergebnissen des Versuchs interpretiert werden. Dabei handelte es sich um ein anonymes Spiel um echtes Geld zwischen zwei Personen. Beiden wurden zu Beginn zehn Geldeinheiten (GE) zugesprochen. Spieler A hat nun die Wahl, seine 10 GE für sich zu behalten oder sie an B zu überweisen. Gemäss Regeln wird im zweiten Fall der Betrag vom Spielleiter vervierfacht, sodass B nun 50 GE besitzt. Natürlich wird sich A nur dann von seinen 10 GE trennen, wenn er B vertrauen und damit rechnen kann, dass auch dieser sich an die Spielregeln hält und 25 GE an A zurück überweist. So hätten beide Parteien gewonnen beim Deal und die Welt wäre in Ordnung. Nicht so, wenn bei B der Eigennutz überwiegt und er die ganzen 50 GE für sich behält. Dann fühlt A zu Recht betrogen, er ist sauer und hat nun eine Minute Zeit um zu überlegen, ob und wie hoch er B bestrafen soll.
Im Versuch spielten 15 männliche Probanden die Rolle von A insgesamt sieben Mal gegen einen wechselnden Partner B. 14 vertrauten B und trennten sich von ihren 10 GE. Mit ihnen wurden vier Varianten wurden durchgespielt und gleichzeitig mit einem PET-Scan* aufgezeichnet, was in den Köpfen vorging. Im ersten Fall wurden B pro von A ausgesprochenen Strafpunkt 2 GE abgezogen, aber A musste für die Durchführung der Strafaktion ebenfalls 1 GE bezahlen. Im zweiten Fall war die Strafaktion für A kostenlos, im dritten hatte das Verteilen von Strafpunkten bloss symbolischen Wert, kostet als keine der Parteien einen Cent. In der vierten Variante entschied ein Zufallsgenerator, ob B sich kooperativ verhielt oder nicht – und A wusste dies. Erwartungsgemäss waren die für B verhängten Bussen bei den vier Szenarien unterschiedlich hoch. Am meisten, nämlich 35 GE, musste B bluten, wenn die Strafaktion für A gratis war. Aber selbst im Szenario, in dem A fürs Recht auf Bestrafung von B in die eigene Tasche greifen musste, erreichte das gegenüber B verhängte Bussgeld noch über 20 GE. A hat in dieser Spielvariante somit «altruistisch» bestraft. Und dabei jeweils Satisfaktion empfunden, wie aus dem PET-Bild zu schliessen ist, das die betreffende Hirnregion in besonders angeregtem Zustand zeigt.
Nun ist diese Versuchsanordnung allerdings nicht zu vergleichen mit dem eingangs erwähnten spontanen Stinkefinger-Zeigen auf der Autobahn. Dominique De Quervain von der Abteilung für Psychiatrische Forschung an der Universität Zürich, der zusammen mit Kolleginnen und Kollegen den experimentellen Teil der Arbeit bestritt, ist sich dessen bewusst. Denn während des «Spiels» lagen die Teilnehmer jeweils in der engen Scanner-Röhre, was nicht jedermanns Sache ist und die Entscheidfindung beeinflussen könnte. Zudem kann A in der Minute, die ihm zum Überlegung eingeräumt wird (und die der Scanner für die Aufnahme braucht) seine Meinung mehrmals ändern. Kein grundsätzliches Problem, findet Dominique de Quervain. «Da wir die Resultate der verschiedenen Szenarien miteinander verrechneten, dürfte sich ein allfälliger Einfluss der beengten Verhältnisse in der Scanner-Röhre auf das Verhalten der Probanden wieder aufheben», ist er überzeugt. Und zur versuchsbedingten Verzögerung der Strafaktionen meint er: «Wenn A nach einer Minute Bedenkfrist immer noch das Bedürfnis hat, B zu bestrafen, dann ist er sicher richtig sauer.»