Kategorien
Chemie

Polonium – das geheimnisvolle Agentengift

Weshalb Marie Curies Entdeckung aus dem Jahre 1898 so tödlich wirkt

Nicht an herkömmlichem Gift ist gemäss heutigem Wissensstand der russische Ex-Spion Alexander Litwinenko gestorben, sondern an einer sehr selten vorkommenden Substanz, an radioaktivem Polonium. Einem Radionuklid übrigens, das in den USA übers Internet angeboten wird. Marie Curie, die spätere Nobelpreisträgerin, hatte das seltene Element 1898 entdeckt und zu Ehren ihrer Heimat «Polonium» getauft. Um die weitere Erforschung ihres «Kindes» nicht zu behindern, verzichtete die Physikerin gar auf alle Patentrechte für die Isolierung des Radionuklids. Die ist tatsächlich knifflig, kommt doch Polonium mit etwa 0,1 Milligramm pro Tonne Uranerz in der Natur nur sehr selten vor, am häufigsten als radioaktives Isotop mit der Massenzahl 210, daher Po-210 genannt. Das silbrige Metall steht im Periodensystem unter Tellur, mit dem es auch viele chemische Eigenschaften teilt.

Begehrter Stoff. Heutzutage ist das mit einer Halbwertszeit von 138 Tagen zerfallende Isotop ein begehrter Stoff, es wird vor allem in speziell ausgelegten Atomreaktoren durch Bestrahlung von Wismut mit Neutronen gewonnen. Jährlich werden schätzungsweise 100 Gramm hergestellt, «die Russen bieten das Gramm für zwei Millionen Dollar an», sagt Herwig Paretzke, Direktor des Instituts für Strahlenschutz der deutschen Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), auf Anfrage der baz. So ist Polonium-210 ein begehrter Energiespender in der Raumfahrtindustrie, schon ein Gramm liefert 140 Watt Energie. Aber auch in der Textil- und Fotoindustrie findet das strahlende Element laut GSF-Mitteilung in geringsten Spuren Verwendung, dies um statische Aufladung zu verhindern.

Toxisch ist Polonium wegen seiner Radioaktivität. Beim Zerfall emittiert das Po-210 mit 5,4 Millionen Elektronenvolt hochenergetische Alphastrahlen (Heliumkerne). Zwar hat die Alpha-Strahlung im Gewebe eine Reichweite von bloss 0,1 Millimetern, zerstört jedoch sämtliche Körperzellen, die in seiner Reichweite liegen. Laut Herwig Paretzke kann bereits ein Zehntel Millionstel Gramm reines Po-210 im menschlichen Körper innert Tagen eine tödliche Strahlendosis von zehn Gray freisetzen. Hinterhältig ist das strahlende Gift auch deshalb, weil es wegen der kurzen Reichweite der Alpha-Strahlung ausserhalb des Körpers auch mit den besten Detektoren nicht nachweisbar ist. Erst eine Urin- und Stuhlanalyse kann Hinweise für einen Polonium-Vergiftungsfall liefern, denn innert 30 bis 50 Tagen wird etwa die Hälfte der ursprünglich in den Körper gelangten Giftmenge wieder ausgeschieden.

«Ein Witz». Bei alledem scheint Polonium gar nicht so schwer erhältlich zu sein. Zumindest bietet die amerikanische Firma «United Nuclear» auf ihrer Website unter anderen Radionukliden auch Polonium-210 zum Kauf an, legal und ohne dass der Empfänger eine Lizenz der amerikanischen Atomenergiebehörde NRC vorweisen müsste. «Einen Witz», findet Herwig Paretzke dies, rechnet aber gleich nach, dass der russische Spion Alexander Litwinenko mehrere tausend der von «United Nuclear» vertriebenen Polonium-Proben hätte schlucken müssen, um daran zu sterben.

Tabak belastet. Kein Witz ist hingegen, dass man nicht im Internet suchen muss, um sich und seine Mitmenschen der Strahlung von Polonium-210 auszusetzen. Das Element wird laufend in der freien Natur gebildet, beim Zerfall des Edelgases Radon. Allein in der Schweiz sterben laut Schätzung des Bundesamtes für Gesundheit jährlich 240 Menschen an Lungenkrebs, ausgelöst durch eingeatmetes Radongas und dessen Zerfallsprodukt Polonium. Besonders exponiert sind Raucher, lagern sich doch die Radioisotope des Poloniums gerne auf Tabakblättern ab. Der Tabakrauch ist somit messbar mit Polonium belastet. So sehr, dass sich Präventivmediziner streiten, ob Raucherkrebs jetzt vor allem durch den Tabakteer ausgelöst oder von der Polonium-Strahlung verursacht wird. Das ist jedoch letztlich bloss eine akademische Fragestellung.

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung