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Patentrecht: Brasilien probt den Aufstand

Brasiliens Regierung hat den Patentschutz für das Aids-Medikament Ritonavir ausser Kraft gesetzt

Der Streit um die Preise für Aids-Medikamente: Als erstes Land will nun Brasilien einen patentgeschützten Wirkstoff selber herstellen. Das Generikum soll nur halb so viel kosten wie das Originalpräparat. Die Diskussion um die Preise von Aids-Medikamenten dauert seit Jahren. Vorab Entwicklungsländer machen geltend, die Kosten für den lebensrettenden Arznei-Cocktail nicht tragen zu können. Tatsächlich kostet die effiziente Kombinationstherapie der Immunschwäche-Krankheit in Industrieländern um die 1000 Fr. monatlich, ein Betrag, der jenseits der finanziellen Möglichkeiten von Gesundheitssystemen der Dritten Welt liegt.

Auch die Regierung von Brasilien hat die ihrer Ansicht nach zu hohen Preise immer wieder moniert – obwohl der südamerikanische Staat eigentlich nicht zu den Entwicklungsländern gezählt werden kann. Vor vier Jahren hatte der Gesundheitsminister auch Roche ins Visier genommen, sich mit der Basler Firma jedoch schliesslich gütlich geeinigt.

Abbott getroffen

Jetzt hats den US-Konzern Abbott getroffen. Die Regierung habe mit Abbott seit März über Preisnachlässe verhandelt, zitiert die Deutsche Presse-Agentur brasilianische Medienberichte. Demnach ist das südamerikanische Land jetzt im Besitz der Herstellungsformel für «Kaletra», dem bei uns unter dem Namen «Ritonavir» bekannten Aids-Medikament.

Das Labor der staatlichen Stiftung «Fiocruz» werde den Wirkstoff nun zum Preis von 80 Rappen pro Einheit produzieren, rund um die Hälfte billiger, als Abbott für das Originalpräparat fordert. Gesundheitsminister Humberto Costa will auf diese Weise jährlich an die 170 Mio. Fr. einsparen. Analoge Verhandlungen würden auch mit den Konzernen Merck und Gilead geführt, zwei weiteren grossen Anbietern von Aids-Medikamenten, verlautet aus dem Gesundheitsministerium.

Niedrigster Preis

«Das ist nicht im Interesse von Brasiliens Aids-Patienten», meint Abbott-Sprecher Brian R. Kyhos dazu gegenüber der baz. «Die Patente haben den Zugang der Kranken zu diesen Medikamenten weder verhindert noch limitiert. Vielmehr wird Kaletra – gemäss Absprache mit der dortigen Regierung – in Brasilien weltweit zum niedrigsten Preis abgegeben.» Noch weniger koste das Abbott-Medikament nur noch in den Ländern Afrikas und den gemäss UNO-Definition allerärmsten Ländern. «Dort bietet Abbott seine Tests und Medikamente zu Preisen an, bei denen die Firma draufzahlt.»

Doch dies müsse die absolute Ausnahme bleiben, auch im Interesse der Kranken. Denn ohne Garantie, dass Forschungs- und Entwicklungskosten wieder hereingespielt werden können und ohne Aussicht auf einen vernünftigen Gewinn bestehe für die Industrie kein Anreiz, neue Medikamente zu entwickeln. «Dies wäre insbesondere für die Aids-Kranken in aller Welt fatal», ist Kyhos überzeugt. Im Kampf gegen Aids müssten immer wieder neue Waffen eingesetzt werden, weil sich das Virus ständig wandelt und gegenüber heute auf dem Markt erhältlichen Wirkstoffen rasch unempfindlich wird.

Kooperieren

Trotz des Wirbels «will unsere Firma weiterhin mit der brasilianischen Regierung zusammenarbeiten, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden», versichert der Abbott-Sprecher Kyhos. Bloss: Zur Einigung brauchts allerdings beide Parteien. Ob Gesundheitsminister Costa da mitmacht, ist nicht sicher. Zwar hat er Abbott zehn Tage Zeit zur Stellungnahme eingeräumt. Doch sei sein Entscheid «definitiv».

Box: Vorbildliches Brasilien – Sonderfall

Auf den Ausbruch der Aids-Epidemie vor rund 20 Jahren reagierten die Verantwortlichen in Brasilien nicht mit «Kopf in den Sand stecken», sondern stellten sich der gewaltigen Herausforderung. Statt auf Verdrängung setzt man auf Aufklärungs- und Vorsorgekampagnen, und wer trotzdem erkrankt, darf mit kostenloser medizinischer Hilfe rechnen. Mit dem nur scheinbar paradoxen Resultat, dass Brasilien heute mit 200 000 registrierten Aids-Fällen die Liste in Lateinamerika anführt – in den Nachbarländern überleben HIV-Infizierte eben nur kurz oder dann im Untergrund.

Über eine halbe Milliarde Franken wird die brasilianische Regierung dieses Jahr allein für den Kauf von Aids-Medikamenten ausgeben – kein Wunder also, wenn die Preisfrage Chefsache ist. Rund zwei Drittel beträgt der Anteil der drei jetzt im Scheinwerferlicht stehenden Firmen Abbott, Merck und Gilead an Brasiliens Anti-HIV-Drogenmarkt. Eine Halbierung der Preise für die rettenden Wirkstoffe würde das Budget des Gesundheitsministers somit deutlich entlasten.

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