Forscher am Basler Biozentrum können mit einem speziell entwickelten Rasterkraftmikroskop den Knorpelabbau in Gelenken schon im Frühstadium erkennen. Damit wird eine beginnende Arthrose entdeckt, noch bevor grosser Schaden angerichtet ist. Dies sei eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Medikamenten gegen die noch unheilbare Gelenkerkrankung, sagen die Wissenschaftler.
Jedermann und jede Frau ist gefährdet: Früher oder später verlieren die Knorpel in unseren Gelenken die Elastizität und damit ihre Funktionstüchtigkeit. Das Gewebe, das normalerweise als Stossdämpfer und Schmiermittel in den Gelenken dient, wird spröde, verkümmert, bis dann im schlimmsten Fall Knochen auf Knochen reiben. Das tut weh: Schätzungsweise 100 Millionen Erdenbürger leben unter der Krankheit mit der Fachbezeichnung Osteoarthritis. Und mit steigendem Durchschnittsalter der Weltbevölkerung werden es immer mehr, die von diesem Abnützungsprozess betroffen sind (vgl. Box).
Noch unheilbar
Medikamente oder Therapien gegen Arthrose sind keine in Sicht. In schlimmen Fällen kann höchstens die Einpflanzung eines künstlichen Gelenks Abhilfe schaffen – ein teures und langwieriges Verfahren. Ein Problem besteht darin, dass sich das Knorpelleiden meist erst bemerkbar macht, wenn es schmerzt, wenn der Schaden also bereits eingetreten ist. Selbst die besten heute verfügbaren arthroskopischen Techniken, bei denen mit einer Sonde der Zustand beispielsweise eines Kniegelenks inspiziert wird, schlagen erst Alarm, wenn der Abbauprozess schon eine Weile sein Unwesen getrieben hat.
Hier hakt eine nanotechnische Methode ein, an welcher der Strukturbiologe Martin Stolz am Basler Biozentrum nach eigenen Angaben bereits ein Jahrzehnt herumtüftelt. In der jüngsten Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift «Nature Nanotechnology» berichtet er über die neuesten Resultate seiner Arbeitsgruppe. Dabei dient den Basler Forschern als wichtigstes Instrument ein so genanntes Rasterkraftmikroskop (AFM), wie es in seinen Grundzügen in den 1980er Jahren im IBM-Forschungszentrum Rüschlikon vom Nobelpreisträger Gerd Binnig erfunden worden ist. Dieses AFM ermöglicht, auch molekülkleine Strukturen in biologischem Material sichtbar zu machen.
Wenn der Knorpel Zucker verliert
Im Biozentrum kommt allerdings ein verfeinertes, am Neuenburger Institut für Mikrotechnologie (IMT) unter der Leitung des Ex-Baslers Urs Staufer weiter entwickeltes Gerät zum Einsatz. Dieses speziell umgebaute Rastermikroskop halten nun Martin Stolz und seine Kollegen vom M. E. Müller -Institut für Strukturbiologie am Basler Biozentrum schon längere Zeit aufs Knorpelgewebe gerichtet. Mit dem Ziel herauszufinden, was genau den Alterungsprozess in den Gelenken ausmacht. Sie sind auch bereits fündig geworden.
Dazu muss man wissen, dass Knorpel grob gesagt aus zwei Sorten Materialien aufgebaut sind: aus Kollagenfibrillen, die dem ganzen Gebilde Halt geben, und zuckerähnlichen Molekülen (Proteoglykanen) die gerne Wasser um sich scharen und damit dem Knorpelgewebe die elastischen Eigenschaften geben. Bildet sich der Anteil der Proteoglykane zurück, so versprödet die Knorpeloberfläche. Und diese Verhärtung kann das AFM sehr genau messen, eben weil das im Nanobereich arbeitende Gerät die Existenz – oder das Fehlen – von Proteoglykan-Molekülen im Fibrillen-Geflecht registrieren kann. Diese Technik haben Martin Stolz und seine Kollegen schon eine ganze Weile im Griff.
An Mäusen nachgewiesen
Neu ist jetzt, dass das Phänomen der Arthrose-Entstehung im Mausmodell abgebildet werden konnte. Dazu wurde einerseits die natürliche Knorpel-Abnützung bei alternden Mäusen mit dem AFM untersucht. «Zum Vergleich haben wir die Situation bei gentechnisch veränderten Mäusen abgebildet, die aus diesem Grund bereits als Jungtiere von Osteoarthritis heimgesucht werden. So konnten wir zeigen, dass die Knorpel-Degeneration sich mit Hilfe des AFM bereits einen Monat nach Einsetzen der Abbauprozesse nachweisen lässt. Mit herkömmlichen arthroskopischen Methoden dauert’s ein halbes Jahr, bis man etwas sieht.»
Was bei Mäusen bereits funktioniert, ist noch weit entfernt von Einsatz in der Alltags-Praxis des Arztes. «Für den Einsatz beim Menschen muss das AFM so konstruiert sein, dass man die Messungen direkt im Knie- oder Hüftgelenk machen kann. Das ist technisch sehr anspruchsvoll. Insbesondere, die Sonde präzise bezüglich der zu messenden Knorpeloberfläche zu positionieren ist schwierig», erklärt Martin Stolz gegenüber swissinfo.
In fünf Jahren bereit für den Einsatz beim Menschen?
Der erste gebaute Prototyp sei noch zu gross und zu fragil für den Einsatz unter den rauen Bedingungen des Operationsaals, «wo solche Messungen dann auch noch schnell gehen müssten». Er habe aber eine Idee für den Bau eines viel kompakteren Sensors. «Sollte dieser Ansatz klappen, dann könnte man solche Geräte innerhalb von fünf Jahren den Orthopäden zur Verfügung stellen», meint Martin Stolz zuversichtlich.
Der gesunde Knorpel habe definierte Eigenschaften bezüglich molekularer Zusammensetzung, mechanischer Eigenschaften und Wassergehalt. Dabei stelle jede Abweichung vom Normalfall ein Schritt in Richtung Arthrose dar. «Wir haben nun eine sensitive Messmethode um zu verstehen, was beim Altern des Knorpels und bei einer Arthrose auf molekularer Ebene abläuft.» Und die Früherkennung des Knorpel-Abbaus sei Voraussetzung, um ein Mittel gegen Arthrose zu finden – wenn es denn überhaupt je dazu kommen wird.
Box: So funktioniert das Nano-Auge
Rasterkraftmikroskope funktionieren im Bereich von Nanometern, Millionstel Millimetern und damit mit einer Auflösung, die von Lichtmikroskopen nie erreicht werden kann. Dabei wird eine von blossem Auge kaum noch erkennbare Nadelspitze am Ende eines Biegebalkens behutsam so nahe an das zu untersuchende Objekt herangeführt, dass der auch «Cantilever» genannte Biegebalken durch die von den einzelnen Molekülen ausgehenden Kräfte verformt wird. Die Spitze des Cantilevers tastet systematisch Punkt für Punkt der Probe ab, er «rastert» die zu untersuchende Oberfläche. So kann das «Atomic Force Microscope» (AFM) Nanometer-kleine Objekte ausmessen, also auch einzelne Moleküle und Atome. Im Computer entsteht dann aus den Messreihen ein dreidimensionales Bild der untersuchten Präparatoberfläche.
Box: Alter als Risikofaktor
Alter ist der grösste Risikofaktor, an Osteoarthritis zu erkranken. Andere Risikofaktoren sind Übergewicht, Fehlstellungen (beispielsweise X- oder O-Beine), Schädigung der Gelenke durch Unfälle (etwa Bänderrisse) die das Knie instabil machen können, und auch der Nikotingenuss. In der Praxis ist es so, dass über die Hälfte der 60jährigen Menschen bereits Anzeichen von arthritischen Veränderungen in den Gelenken haben. Im Alter von 80 Jahren hat dann praktisch jeder Mensch Osteoarthritis. Da sich ältere Menschen nicht mehr so viel bewegen und die Krankheit langsam voranschreitet, stellt sie dann allerdings oft kein Problem dar, das behandelt werden muss – weil die Menschen vorher sterben.