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Medizin

Mit Doppelschlag gegen Lymphdrüsenkrebs

Zevalin kombiniert zwei klassische Krebs-Therapieformen

Gleich auf zwei Fronten greift ein neues Medikament bestimmte Formen von Lymphdrüsenkrebs-Zellen an: Die Methoden der Immuntherapie mit denjenigen der Strahlenbehandlung vereint das Schering-Präparat Zevalin, das seit einem Monat auch in der Schweiz zugelassen ist. «Ich bin froh, dass eine Firma es endlich einmal wagt, ein solches Präparat auf den Markt zu bringen», so die Reaktion des Krebsspezialisten Andreas Lohri gegenüber der BaZ. Die Rede ist von Zevalin, einem Medikament gegen bestimmte Lymphdrüsenkrebs-Typen, so genannte follikuläre Non-Hodgkin-Lymphome. Und das Lob gilt der Firma Schering, die das Medikament, das bereits in den USA und seit vergangenem Januar im EU-Raum eingesetzt wird, nun auch in der Schweiz einführt. Dabei ist Zevalin tatsächlich ein bemerkenswertes Arzneimittel. Es kombiniert zwei klassische Krebs-Therapieformen, die Strahlen- und die Immuntherapie, zur Radio-Immuntherapie. Und Andreas Lohri weiss natürlich, wovon er spricht. Er leitet die Medizinische Universitätsklinik Onkologie des Kantonsspitals Liestal und ist laut eigenen Aussagen in der Region Basel bei der Behandlung von Lymphom-Patienten «koordinierend tätig». Lohri ist Fachmann auf dem Gebiet der Radio-Immuntherapie, er erforscht zusammen mit Nuklearmedizinern und Krebsforschern des Kantonsspitals Basel dieses Wirkprinzip an einer kleinen Patientengruppe, allerdings mit anderen Komponenten, als sie in Zevalin zum Zug kommen.

Aber das Prinzip ist dasselbe und eigentlich sehr elegant: Man baue ein intelligentes Molekül, einen Antikörper, der sich dank seiner speziellen Struktur an die Oberfläche der ins Visier genommenen Krebszelle andocken kann. Solche Antikörper werden schon seit einigen Jahren in der Therapie von bösartigen Lymphomen eingesetzt. Binden sich diese Antikörper an die Andockstellen von Lymphomzellen, so wird die Tumorzelle zerstört. Wird nun dieser Antikörper zusätzlich mit einem radioaktiven Element verknüpft, so kann die intensive, aber nur über wenige Millimeter wirksame Strahlung auch noch weitere umgebende Zellen verstrahlen, die der Antikörper alleine nicht abtöten könnte.

Was sich auf dem Papier so einfach liest, ist in der Praxis allerdings viel komplizierter. Im Falle von Zevalin wurde ein von Mauszellen abstammender monoklonaler Antikörper namens Ibritumomab mit radioaktivem Yttrium-90 kombiniert. Wird nun das Kombi-Molekül per Infusion in die Blutbahn gebracht, bindet sich der Antikörper selektiv an die CD-20-Rezeptoren (Andockstellen) auf der Lymphomzellen-Oberfläche und liefert diese so dem vom Radionuklid ausgesandten Betastrahlen-Beschuss aus. Da die Yttrium-Strahlung im Gewebe etwa fünf Millimeter weit reicht, kommt es zu einem Kreuzfeuer-Effekt: Auch weiter entfernte Lymphomzellen werden zerstört.

Konkret dauert die Zevalin-Therapie eine Woche und kann ambulant erfolgen. Am Tag 1 der Behandlung wird zuerst ein kalter Antikörper (das von Roche stammende Rituximab/Mabthera) verabreicht, um gesunde Zellen, die das CD-20-Oberflächenantigen ebenfalls besitzen, aus dem Blutkreislauf zu entfernen. Danach wird mit Indium-111 kombiniertes Zevalin gegeben: Die von Indium ausgehende Gammastrahlung kann gemessen und so überprüft werden, ob der Zevalin-Antikörper tatsächlich an den Tumorzellen andockt. Erst wenn dies sichergestellt ist, wird am Tag 8 das heisse Zevalin mit dem Betastrahler Yttrium-90 verabreicht.

Die Logistik einer solchen Behandlung ist recht knifflig. Da das Radionuklid eine Halbwertszeit von bloss 2,5 Tagen hat, muss das Präparat speziell auf jeden Behandlungstermin hin frisch hergestellt werden. Das im Zevalin verwendete Yttrium-90 wird in einem französischen Reaktor gewonnen und wird dann in einem nuklearmedizinischen Labor am Einsatzort ins Kombi-Molekül eingebaut. Damit sind zumindest teilweise auch die relativ hohen Kosten von rund 37 000 Franken pro Behandlung erklärbar.

Und möglicherweise auch gerechtfertigt, wenn allgemein gilt, was in den präsentierten Studien herausgefunden wurde. Demnach wirkt das Schering-Präparat etwa doppelt so effizient wie die bisher übliche Behandlung mit «kalten» Antikörpern. Gemäss publizierten Studien leben bereits mehrere der mit Zevalin behandelten Patienten fünf und mehr Jahre ohne Krankheitssymptome.«Das tönt sicher gut», meint Andreas Lohri zu diesen Zahlen. Allerdings seien noch nicht sehr viele Lymphomkranke mit dem Schering-Präparat behandelt worden, die guten Studienergebnisse müssten noch in der Praxis bestätigt werden. Sicher sei Zevalin ein «extrem interessantes» Medikament. «Die Radioimmun-Terapie ist seit Jahrzehnten Gegenstand der Forschung, doch Schering ist die erste Firma, die sich mit einem solchen Medikament auf den Markt wagt», und das sei zu respektieren. Leider, so Lohri, seien die Pharmafirmen im Allgemeinen wenig motiviert, bei der Bekämpfung von relativ selten vorkommenden Krankheiten viel Geld für klinische Studien zu investieren. Die Zahlen sprechen für sich: In der Schweiz leiden rund 10 700 Menschen an der von Zevalin theoretisch ins Visier genommenen Art Lymphom. Somit steht jetzt schon fest: «Blockbusters» werden weder Zevalin noch allfällige Nachfolgepräparate je werden.

Die Selbsthilfegruppe Schweiz für von Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphomen Betroffene und deren Angehörige wird geleitet von Rosmarie Pfau, Weidenweg 39, 4147 Aesch, Tel. 061 421 09 27; r.pfau@gmx.ch Informationen im Internet:
http://www.meb.uni-bonn.de/cancernet/deutsch
http://www.schering.ch
http://www.zevalin.com
http://www.lymphomainfo.net

Nun ist die Basler Studie gefährdet

Seit zehn Jahren organisiert PD Andreas Lohri die Lymphomkonferenz in der Region Basel. In diesem Rahmen werden die Mehrzahl der in der Region diagnostizierten Fälle von bösartigen Lymphomen zusammen mit einem über die Kantonsgrenzen hinweg gut vernetzten Expertenteam (Onkologen, Strahlentherapeuten, Gewebespezialisten, Transplantationsteam etc.) besprochen und Therapien geplant. Andreas Lohri forscht zusammen mit Nuklearmedizinern und Onkologen am Kantonsspital Basel auch auf dem Gebiet der Radio-Immuntherapie. Momentan wird dieses Wirkprinzip an Patienten in der Region Basel in einer Phase-1-Studie getestet – allerdings nicht mit den gleichen Komponenten, die in Zevalin zum Einsatz kommen. So verwenden Lohri und Kollegen für ihre Studie als Antikörper das von Roche gelieferte Rituximab/Mabthera. Und als Radionuklid dient Lutetium-177, das weichere Betastrahlen emittiert als das in Zevalin zum Zug kommende Yttrium-90. Doch die Resultate seien mit denjenigen einer Zevalin-Behandlung möglicherweise vergleichbar, deshalb sollte diese Methode laut Andreas Lohri weiter erforscht werden.

Nun stellt allerdings die Einführung des Schering-Produkts die Weiterführung dieser Basler Studie in Frage. «Wir diskutieren momentan das weitere Vorgehen.» Das Problem sei, dass Patienten, die für die Teilnahme an der Lutetiumstudie in Frage kommen, neuerdings mit Zevalin behandelt werden können. «Jetzt kommt es zur Situation, dass Patienten einerseits mit Zevalin ein etabliertes Medikament zum Kostenpunkt von etwa 37 000 Franken zur Verfügung haben oder praktisch zum Nulltarif an einer Studie teilnehmen und eine Therapie erhalten könnten, die zwar noch nicht etabliert, aber wahrscheinlich nicht viel weniger wirksam ist als die Zevalin-Behandlung», schildert Andreas Lohri das Dilemma.

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