Neuartiges Antibiotikum zwingt resistente Bakterien in die Knie
Zürcher und Basler Forschern ist gelungen, worauf die Welt schon lange wartet: Die Entwicklung einer komplett neuen Methode, um auch resistenten Bakterienstämme den Garaus zu machen.
Sie ist als medizinisches Wunder in die Geschichtsbücher eingegangen, die Entdeckung, die Alexander Fleming vor rund 80 Jahren gelungen ist. Damals, im Jahr 1928, konnte der britische Bakteriologe erstmals die antibiotische Wirkung von Schimmelpilzen nachweisen: Das Penicillin war gefunden. Dutzende Infektionskrankheiten, die eben noch oft tödlich verliefen, konnten jetzt behandelt und geheilt werden.
In den folgenden Jahrzehnten hat Penicillin viele Brüder und Schwester erhalten. Die meisten dieser Folge-Antibiotika haben ein breites Wirkungsspektrum, sie können also eine ganze Reihe unterschiedlicher Infektionskeime ausser Gefecht setzen. Das Prinzip «Sieben auf einen Streich» ist zwar im medizinischen Alltag sehr praktisch, hat aber den Nachteil, dass es auch Bakterien, die nicht unmittelbar am zu behandelnden Krankheitsgeschehen beteiligt sind, unter Selektionsdruck setzt. Die Keime lernen, mit dem Antibiotikum zu leben, werden resistent, und können nun mit heute verfügbaren Medikamenten nicht mehr in Schach gehalten werden.
Inzwischen fordern wild gewordene Bakterien einen hohen Preis. Allein im EU-Raum sterben jährlich 25 000 Menschen an nicht mehr behandelbaren bakteriellen Infektionen. Es sei zu befürchten, dass wir «schon bald über gar keine wirksamen Antibiotika mehr verfügen», alarmierte die EU-Arzneimittelbehörde EMEA vergangenen Herbst in einem Bericht. Nur noch wenige neue Wirkstoffe befinden sich in der Pipeline. Denn trotz dem Siegeszug der resistenten Killer-Bakterien haben viele grosse Pharmafirmen ihre Antibiotika-Entwicklung massiv zurück gefahren. Zu teuer die Forschung, zu kompliziert die Zulassungsverfahren, zu gering die Rendite.
Bereits hat die amerikanische Gesellschaft für Infektionskrankheiten IDSA sechs Bakterienstämme identifiziert, gegen die kaum mehr ein Kraut gewachsen ist, darunter auch Pseudomonas aeruginosa. Letzterer fühlt sich besonders in Krankenhäusern wohl, floriert in ungefähr allen Flüssigkeiten (inklusive Dusch-Gel) und ist verantwortlich für eine ganze Reihe Infektionskrankheiten von Lungen- und Hirnhautentzündung bis zu Harnweg- und Gehörganginfekten. Und: Pseudomonas aeruginosa ist resistent gegenüber den meisten heute verfügbaren Antibiotika.
Das könnte sich ändern, wenn in der Praxis bestätigt wird, was Zürcher und Basler Forscher im Labor und auch bereits an Mäusen mit Erfolg getestet haben. Im Wissenschaftsmagazin «Science»* beschreiben Prof. John Robinson von der Universität Zürich und Daniel Obrecht, Forschungsleiter des noch jungen Allschwiler Biotech-Unternehmens Polyphor AG ein vollkommen neues Wirkprinzip gegen bislang resistente Bakterien. Das neu entwickelte Antibiotikum namens POL 7080 ist ein synthetisches, zyklisches Peptid, ein kleines Eiweissmolekül. Es kann an der Zellmembran des Pseudomonas-Bakteriums andocken und dort gezielt auf ein Protein einwirken, das für den Aufbau der Bakterienhülle unverzichtbar ist – der Krankheitskeim stirbt ab. «Das ist ein neuer Angriffspunkt, der bis jetzt noch nie benutzt wurde, und gegen den sich daher auch noch keine Resistenzen bilden konnten», sagen die Forscher. POL 7080 wirkt ausschliesslich gegen das Pseudomonas aeruginosa und setzt andere Bakterien somit nicht unter Selektionsdruck.
Bemerkenswert ist neben dem neuen Wirkungsmechanismus aber auch die dreidimensionale Struktur des neuen Antibiotikums. Oft werden ja Eiweiss-Wirkstoffe aufgespalten, noch bevor sie am Zielort angekommen sind – und werden damit nutzlos. Dies verhindert die von Polyphor entwickelte PEM-Technologie (Protein Epitope Mimetics). Dabei wird das Peptid mit Hilfe einer synthetischen Plattform in einer ringförmigen Struktur fixiert. Ein Vorteil in zweierlei Hinsicht: Die Stabilität des Peptids wird erhöht, und die klar definierte dreidimensionale Struktur garantiert hohe Selektivität und Wirksamkeit. Das Molekül sieht nun einer Sicherheitsnadel ähnlich und ist – wie die meisten chemischen Ringstrukturen – sehr stabil auch im harten biologischen Alltag.
Laut Firmenangaben sollen Sicherheit und Wirksamkeit des PEM-Antibiotikums nun schon bald in Grossbritannien am Menschen getestet werden. Und falls diese Phase-I-Studie positiv ausgeht, könnte man tatsächlich zumindest von einem kleinen medizinischen Wunder sprechen: Erstmals seit Jahrzehnten wäre dann eine grundlegend neue Waffe gegen Bakterien geschmiedet worden. (NZZaS 1. März 2010)
* «Science» 19 February 2010 Vol 327 Issue 5968