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Die Wahrheit über den Ringfinger

Mäuseversuch widerlegt die Mär von der Männlichkeit

Ein langer Ringfinger muss entgegen landläufiger Ansicht nicht unbedingt von Virilität und Sportlichkeit zeugen. Zumindest bei Mäusen ist die Situation gerade umgekehrt, hat ein kanadisch/kalifornisches Forscherteam jetzt herausgefunden. Freundeidgenössisch unkorrekt wird den Thurgauern oft nachgesagt, von Natur aus mit langen Fingern ausgestattet zu sein – und damit der entsprechenden Zunft anzugehören. Auch sonst wird gern und oft von der Beschaffenheit der Handteile auf andere Körpermerkmale und Charaktereigenschaften geschlossen. Männer mit langen Ringfingern etwa gelten körperlich und punkto Verhalten als besonders viril, sind meist Mathematiker oder Ingenieure von Beruf und gehen nur selten der Malerei oder Schriftstellerei nach. Lang befingerte Frauen andererseits sollen besonders für den Spitzensport prädestiniert sein.

Das heisst: Genau genommen macht nicht die absolute Ringfinger-Länge den kleinen Unterschied aus, sondern das Grössenverhältnis zwischen Zeige- und Ringfinger, in der Fachliteratur als 2D:4D bezeichnet. Und dieser Quotient liefert tatsächlich bei Weiblein und Männlein unterschiedliche Resultate. Während bei Frauen der Zeigefinger im allgemeinen gleich lang ist wie der Ringfinger, zieht der Finger Nummer 2 bei Männern meist den Kürzeren. Mit anderen Worten: Bei Frauen liegt der 2D:4D-Wert meist um 1 herum, bei Männern bewegt er sich im Schnitt um 0,96. Ein im Vergleich zu Geschlechtsgenossinnen und –genossen niedriger Fingerlängen-Quotient liefert somit ein Mass für relative «Vermännlichung», im umgekehrten Fall lässt er eher eine gewisse «Verweiblichung» vermuten. Jetzt können Sie selber nachmessen, wo auf der Skala Sie sich gemäss der Finger-Regel einordnen können. Aber bitte nicht schummeln.

Was so auf den ersten Blick als Hokuspokus daherkommen mag, hat tatsächlich eine gewisse wissenschaftliche Plausibilität. Denn sowohl die Ausbildung der Finger wie auch der Geschlechtsteile wird von einem übergeordneten Gen-Satz, so genannten Homeobox-Genen, gesteuert. Diese wiederum schalten je nach Testosteron-Spiegel in der Gebärmutter entweder auf «männlich» oder «weiblich» und sind verantwortlich für das Heranwachsen der Geschlechtsorgane – und eben der Finger des Föten. Gemäss dieser These würde also das Finger-Längenverhältnis auch die Ausbildung und Funktion der Gonaden zumindest bis zu einem gewissen Grad reflektieren.

Zu alledem, dem Link zwischen Hormonexposition im Mutterleib, Fingerlängen-Quotient, sexueller Ausprägung und athletischer Begabung, gibt’s bereits eine Menge Untersuchungen. Schlüssig bewiesen konnten diese Zusammenhänge bis jetzt aber noch nie. Ein Team kanadischer Psychologen und kalifornischer Biologen hat nun versucht, das Problem vom anderen Ende her aufzurollen. Peter L. Hurd von der University of California und Reginia H.Y. Yan von der University of Alberta züchteten über mehrere Generationen einen speziellen Mäusestamm heran, der gut und gerne rennt. Die Exemplare dieser Zuchtlinie unterscheiden sich deutlich von gewöhnlichen Artgenossen, sie rennen schneller im Tretrad und sind auch sonst aktiver in ihren Käfigen. Untersucht wurden an diesen rund 1000 weissen Mäusen – neben der körperlichen Fitness – natürlich der Fingerlängen-Quotient und das Verhalten innerhalb der Gruppe, insbesondere das Aggressionspotential. Falls tatsächlich ein Zusammenhang besteht zwischen Testosteron-Exposition im Mutterleib, Fingerlängen-Quotient und athletischer Begabung, so müsste sich der bei diesen auf Spitzensport gezüchteten Mäusen nachweisen lassen, dachten sich die Wissenschaftler.

Es kam aber alles anders, berichten die Forscher jetzt im Wissenschaftsmagazin PlosOne. Erstens einmal wurde bei den Renner-Mäusen im Vergleich zu den gewöhnlichen Mauslinien durchs Band weg ein höherer Fingerlängen-Quotient gemessen. In dieser Beziehung zeigten die Sportmäuse beiderlei Geschlechts also direkt Anzeichen von «Verweiblichung» und straften somit die bei sportlichen Menschen gemachten Beobachtungen Lügen. Auch war das Aggressionsverhalten der auf Sport getrimmten Mäuse im Umgang mit eigenen Artgenossen eindeutig gedämpft, dafür reagierten insbesondere die Schnell-Läuferinnen gegenüber den Experimentatoren bissiger als gewöhnliche Nager. Schliesslich lieferte das Experiment auch keinen Hinweis darauf, dass Testosteron-Exposition im Mutterleib verantwortlich ist für die spätere Fitness oder Lust am Laufen, die entsprechenden Hormonkonzentrationen waren nämlich nicht erhöht. Jedoch hatten die Renn-Mäuse viel mehr Stresshormone wie Corticosteroide im Blut, besonders die Weibchen. Daraus schliessen die Forscher, dass wahrscheinlich eher vorgeburtlicher Stress als vorgeburtliche Testosteron-Exposition bei den Mäusen die Lust – oder den Zwang – zum Laufen auslöst.

Alles in allem widerlegt das Experiment ziemlich alles, was man sich bisher so über den Zusammenhang zwischen Testosteron, Fingerlängenquotient und Sportlichkeit beim Menschen zusammengereimt hat. Das kann einerseits daran liegen, dass das Mausmodell – sonst meist ein zuverlässiger Stellvertreter für Versuche am Menschen – in diesem Falle einfach nicht taugt. Oder dass Rennen bei Mäusen eben kein «männlicher», sondern eher ein typisch «weiblicher» Zug ist. Gleichwohl ist Peter Hurd zufrieden mit dem Resultat. «Unsere Forschungsarbeit bestätigt einen Zusammenhang zwischen Gehirn, Verhalten, Persönlichkeit und der Form der Hand», schreibt er. «Und sie zeigt, dass gewisse Persönlichkeitsmerkmale, in diesem Fall eben die Lust am Rennen, schon sehr früh in der Entwicklung fixiert werden.» Wenn auch nicht in der Art und Weise, wie man sich das zuvor gedacht hatte. Dafür können die Thurgauer jetzt aufatmen: Sie sind rehabilitiert.

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