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Gesundheit/Ernährung

Die Entzauberung der Vitamine

Auch in verschiedenen Kombinationen schützen Vitaminpillen nicht vor Krebs

Während beinahe zehn Jahren schluckten knapp 8000 Frauen täglich Vitamin C, E und Provitamin A enthaltende Präparate. Dies in der Hoffnung, damit ihr Krebsrisiko zu senken. Vergeblich, hat jetzt eine Studie ergeben. Linus Pauling, Chemie- und später auch Friedensnobelpreisträger, schwörte darauf. Er schluckte täglich bis zu zehn Gramm Vitamin C, auch unter der Bezeichnung Ascorbinsäure bekannt. Und hoffte, auf diese Weise gegen Krankheitserreger und Krebs gefeit zu sein. Ob Pauling sich mit seinem löffelweisen Vitaminkonsum mehr als bloss einen sauren Magen einhandelte und tatsächlich auch Grippe- und andere Viren in die Flucht schlug, muss offen bleiben. Dokumentiert ist dagegen, dass der weltberühmte Chemiker 93jährig trotz «Vitamin-Schutz» an Prostata- und Darmkrebs verstarb.

Linus Pauling steht mit seinem missglückten Selbstversuch nicht alleine da. Auch die 14700 US-Ärzte, die im Rahmen der «Physicians Health Study II» acht Jahre lang täglich entweder Vitamin C oder E-Kapseln schluckten, erkrankten ebenso häufig am gefürchteten Männerkrebs wie die Kollegen in der Kontrollgruppe, die bloss ein wirkungsloses Placebo-Präparat eingenommen hatten. Mehrere weitere Studien kamen zu ähnlichen Resultaten oder ermittelten gar ein leicht erhöhtes Krebsrisiko bei den mit Vitaminen behandelten Versuchsteilnehmern.

Der Beobachtungszeitraum dieser Untersuchungen sei eben zu kurz gewesen, um einen möglichen positiven Einfluss der Vitamine aufs meist nur langsam verlaufende Krebsgeschehen entdecken zu können. Zudem sei ein möglicher Verstärkereffekt, den die gleichzeitige Einnahme mehrerer Vitamine bringen könnte, nie untersucht worden: So konterten die Anhänger der Vitamin-Theorie jeweils die schlechten Nachrichten aus der Praxis.

Diese Einwände sind nun entkräftet worden. In der ersten Januar-Ausgabe der Publikation des amerikanischen «National Cancer Institute» berichten die amerikanische Präventivmedizinerin Jennifer Lin und ihre Kollegen über die Resultate ihrer eigenen Untersuchungen. In der Studie wurde nach einem Zusammenhang zwischen Einnahme von Vitamin-Zusatzpräparaten und Häufigkeit von Krebserkrankungen bei Frauen geforscht. Durchschnittlich neuneinhalb Jahre lang hatten 7627 Frauen brav entweder garantiert wirkungslose Placebopräparate oder dann Antioxidantien in Form von Vitamin C, Vitamin E, Beta-Carotin (Provitamin A, Vorstufe zu Vitamin A) oder Kombinationen dieser Substanzen geschluckt. Unter ihnen erkrankten während der Beobachtungszeit insgesamt 624 Versuchsteilnehmerinnen an einem Tumor (in 257 der Fälle war es Brustkrebs), 176 starben den Krebstod.

Hinterher hat sich nun gezeigt, dass die mit den Antioxidantien behandelten Frauen ein ebenso grosses Krebsrisiko hatten wie die Placebo-Gruppe. Allenfalls wurde die Darmkrebs-Erkrankungsrate unter Vitamin E etwas gesenkt, im Gegenzug schienen aber Vitamin C und Beta-Carotin die Ausbildung eines Lungenkrebses leicht zu begünstigen. Doch diese kleinen Abweichungen gegenüber der Kontrollgruppe seien statistisch zu wenig aussagekräftig, um daraus einen eindeutigen Trend herauszulesen, betonen die Forscher.

Christoph Rochlitz, Onkologe am Basler Universitätsspital, ist nicht im geringsten überrascht vom Studienresultat. «Die Ansicht, das Krebsrisiko könnte durch Einnahme von Vitaminpräparaten verringert werden, ist zwar weit verbreitet in der Öffentlichkeit und auch unter Ärzten. Sie stimmt aber schlicht nicht.» Seit Jahren werde versucht, diesen Zusammenhang zu beweisen, meist ohne oder mit widersprüchlichen Resultaten. «Es gab sogar Forschungsarbeiten, die einen negativen Effekt der Vitamine vermuten lassen, laut denen also die Krebsrate unter Vitaminbehandlung höher erschien als in der Placebo-Gruppe», so der Krebsforscher im Gespräch mit der BaZ.

Zwar sei die Theorie einleuchtend, erläutert er. Vitamine wirken als Antioxidantien und neutralisieren die gefährlichen Peroxide und Radikale, Molekül-Bruchteile, die während der Stoffwechselprozesse frei gesetzt und unter anderem auch für die Krebsentstehung verantwortlich gemacht werden. «Die dämpfende Wirkung von Antioxidantien aufs Tumorwachstums ist zwar in Zellkulturen eindeutig nachweisbar. Aber beim Menschen funktioniert sie aus irgendeinem Grund nicht, offenbar spielen da andere Faktoren eine grössere Rolle», sagt Christoph Rochlitz.

Könnte es nicht sein, dass die Beobachtungszeit in all den Studien zu kurz bemessen war? Die Krebsentstehung ist ja manchmal ein langsamer Prozess und zieht sich über Jahrzehnte hin. Rochlitz winkt ab. «Knapp zehn Jahre sind bereits eine sehr lange Beobachtungszeit. Falls Vitamine tatsächlich eine dämpfende Wirkung hätten aufs Tumorwachstum beim Menschen, müsste sich dies zumindest im Ansatz in der vorliegenden Studie gezeigt haben. Auch bei längerer Beobachtungszeit wäre da keine Sensation mehr zu erwarten.»

Umso mehr, als im Rahmen dieser neuesten Untersuchung drei verschiedene Vitamine in acht Kombinationen getestet wurden. «Man könnte natürlich immer einwenden, es gäbe noch mehr Vitamine, die man ausprobieren müsste. Aber eigentlich ist jetzt schon klar, dass niemand mehr behaupten kann, Vitamin-Ergänzungsprodukte könnten irgend etwas Gutes tun in Richtung Krebsverhinderung.»

Damit ist laut dem Basler Onkologen die These von der Krebs schützenden Wirkung von Vitaminpräparaten endgültig vom Tisch. «Im Vergleich zu einer durchschnittlichen Alltagsdiät sind keine Vorteile zu erwarten, ausser vielleicht bei unterernährten Menschen», ist er sicher. Trotzdem empfiehlt Christoph Rochlitz seinen Patienten, fette Nahrung zu meiden und viele Früchte und Gemüse zu konsumieren. Nicht in erster Linie wegen deren Vitamingehalt, sondern weil Ballaststoffe in der Nahrung erwiesenermassen das Darmkrebsrisiko senken. Linus Pauling hätte also vielleicht statt Ascorbinsäure gescheiter Orangen gegessen. Geschmeckt hätte es ihm allemal besser.

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