Mit Radiowellen betriebene «intelligente Etiketten» haben bereits den Alltag erobert
Etiketten mit Strichcode haben bald ausgedient und werden zunehmend durch funkbetriebene RFID-Tags ersetzt. Nun hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) einen Bericht erarbeitet über Nutzen und Risiken der neuen Technik. Früher war es einfach. Man entfernte das Preisschild von der neuen Hose oder dem eben gekauften Pullover (vielleicht musste auch noch das kleine Krokodil dran glauben), und die Sache war erledigt. Jetzt gehörte das Kleidungsstück unwiderruflich mir, niemand konnte sehen, wo es gekauft worden war und wie viel es gekostet hat.
Diese Zeiten sind wohl endgültig vorbei. Denn die Etikette aus Karton mit Strichcode wird zunehmend verdrängt von elektronischen Marken, «Tags», auf denen beispielsweise Grösse, Farbe, Herstellungsdatum und Name der Schneiderin abzulesen ist und ja, ob der Artikel an der Kasse ordnungsgemäss bezahlt wurde oder nicht. Diese neuen intelligenten Etiketten bestehen aus einem elektronischen Chip, auf dem die Informationen gespeichert sind, sowie einer kleinen Antenne, über welche die gespeicherten Daten mit speziellen Lesegeräten verwaltet werden können. Bei alledem werden diese Tags immer kleiner, für wenige Rappen gibt’s bereits Staubkorn-kleine Varianten, die von blossem Auge kaum sichtbar und damit nicht so einfach zu entfernen sind wie das hergebrachte Etikett.
Na und, könnte man sich sagen, und zur Tagesordnung übergehen. Gäbe es da nicht einige Probleme. So besteht etwa die Möglichkeit, dass der in Ihrem Pullover verborgene Chip – um bei diesem Beispiel zu bleiben – im Prinzip noch lange nach dem Kauf auch von Unbefugten gelesen werden kann. Jedes Mal beim Betreten eines Ladens könnte das Lesegerät am Eingang anhand der Tags registrieren, was Sie in letzter Zeit wo gekauft wie viel dafür ausgegeben haben. Theoretisch könnte mithilfe der vom Pullover gelegten elektronischen Datenspur gar ein persönliches Bewegungsmuster der Trägerin oder des Trägers erstellt werden. Man würde trotz oder vielmehr wegen des Pullovers zum durchsichtigen Menschen.
Noch etwas ist zu bedenken: Der Datenaustausch zwischen Tags und Lesegeräten erfolgt über Funk (vgl. Box), also mittels elektromagnetischer Wellen. Das muss all jene Zeitgenossen beunruhigen, die sich heute schon Sorgen machen wegen des so genannten Elektrosmogs. Die beim Ablesen auftretenden Feldstärken sind – verglichen etwa mit der Mobiltelefonie – zwar meist sehr schwach. Sich ihnen zu entziehen ist jedoch nicht einfach, wenn man nicht einmal weiss, ob und wie viele solcher Tags sich im Warenkorb verstecken.
Denn seit den 1970er Jahren wird mit steigender Tendenz ungefähr alles und jedes mit solchen Tags oder RFID («Radio Frequency Identification»)-Marken gekennzeichnet. RFID-Implantate helfen, Tiere zu identifizieren, vom Rind auf der Weide bis zum Schosshund. Mit Tags wird die Fälschung vom Medikamenten, Kreditkarten, Eintrittskarten und Reisepässen praktisch verunmöglicht. RFID wird eingesetzt, um die Reise von Containern zu verfolgen und Automobile diebstahlsicher zu machen. Detailhändler bewirtschaften ihren Warenfluss vom Hersteller übers Lager bis zum Bezahlen an der Kasse mit RFID-Technik. Auch Bibliotheken überwachen Ausleihe und Rückgabe der Bücher neuerdings mithilfe von Tags und den zugehörigen Lesegeräten. Die Schwerkehrversabgabe LSVA wird via RFID erhoben, und falls Basel je dem Beispiel Londons und dessen Road Pricing- System folgen sollte, wirds auch nicht ohne Funkwellen gehen.
Die Liste könnte endlos fortgesetzt werden und zeigt, dass RFID still und leise unseren Alltag bereits erobert hat. Doch während die Vorteile des Gebrauchs solch elektronischer Fingerabdrücke auch Konsumentinnen und Konsumenten einleuchten mögen, haben sich bis vor kurzem noch wenige Amtsstellen Gedanken gemacht über die möglichen Risiken der inzwischen weit verbreiteten Technik. Das Bundesamt für Gesundheit BAG hat dies nachgeholt und vereint mit Kommunikationsfachleuten, Materialwissenschaftlern, Konsumenten- und Datenschützern einen umfangreichen Bericht* erarbeitet mit dem Titel «Handlungsbedarf im Zusammenhang mit RFID-Technologie».
Handlungsbedarf ortet der Bericht in verschiedenen Bereichen. Erstens einmal halten die Experten fest, dass es bis jetzt weder über das Ausmass der mit der RFID-Technik einhergehenden elekromagnetischen Strahlenbelastung noch deren mögliche gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen wissenschaftlich verlässliche Daten gibt. Hier wäre also von Seiten der Forschung anzusetzen. Unklar ist auch, wie weit RFID-Tags die Funktion von Herzschrittmachern beeinträchtigen könnten.
Der BAG-Bericht schliesst mit einer Reihe Empfehlungen. So müssten der RFID-Einsatz gegenüber dem Konsumenten deklariert und die Tags von diesem ohne Nachteil entfernt werden können. Um die Datenschutz-Problematik zu entschärfen, sei dem Prinzip der «Datensparsamkeit in Bezug auf Personendaten» nachzuleben. Und bei der weiteren Entwicklung der RFID-Technik sei «internationale Harmonisierung anzustreben». Logisch, denn schliesslich wurde mein Pullover ja höchstwahrscheinlich sowieso in China angefertigt.
publiziert unter www.bag.admin.ch/rfid-bericht
Box: Berührungslos über Funk
Mit der RFID (Radio Frequency Identification) – Technik können Objekte berührungslos über Funk identifiziert werden. Ein RFID-System enthält mehrere Komponenten, einmal den Tag oder Transponder, der am oder im zu identifizierenden Objekt angebracht ist. Der Tag seinerseits besteht aus einem Chip, auf dem die Information gespeichert ist, und einer Antenne, über welche die gespeicherte Information verwaltet wird. Dies geschieht entweder mit fest installierten Lesegeräten wie den Portalen am Eingang von Warenhäusern oder mit Handlesegeräten. Man unterscheidet zwischen passiven Tags, die ohne Batterie funktionieren und die zum Senden benötigte Energie aus dem elektromagnetischen Feld des Lesegerätes beziehen. Demgegenüber werden die aktiven Tags über eine eingebaute Mini-Batterie versorgt. Die Stärke der mit der RFID-Nutzung einhergehenden elektromagnetischen Felder ist abhängig von der benutzten Sendefrequenz und der Distanz zwischen Tag und Ablesegerät, die zwischen wenigen Millimetern bis 100 Meter liegen kann. Wie im BAG-Bericht festgehalten wird, kann die Feldstärke insbesondere im Bereich von Handlesegeräten die empfohlenen Richtwerte überschreiten.