Pharma-Industrie will «Antibaby-Pille» für den Mann nicht weiter entwickeln
Noch vor Jahresfrist war alles anders. Stolz hatte damals die Pharmafirma Schering von ihren klinischen Versuchen berichtet, mit denen sie auch Männer dank Hormonbehandlung in die Familienplanung einbeziehen wollte. An 350 Männern wurde erprobt, ob und wie effizient sich die Spermienbildung in den Hoden auf hormonellem Weg stoppen lässt. Zugegeben kein leichtes Unterfangen, gilt es doch, jeweils eine Tagesproduktion von bis zu 100 Millionen Samenzellen unter Kontrolle zu bringen.
Wirkt im Gehirn
Die «Pille für den Mann» sollte allerdings zunächst eine Spritze sein und zudem nicht etwa in den Hoden, sondern im Gehirn wirken. Bewerkstelligt wird dies mit einem Implantat in den Oberarm, über das kontinuierlich geringe Mengen des Gelbkörperhormons Gestagen in die Blutbahn abgegeben wird. Dieses greift in den hormonellen Regelkreis zwischen Hirnanhangdrüse und Hoden ein und führt dort zur Unterdrückung der Testosteronproduktion. Ohne das männliche Sexualhormon wachsen in den Hoden keine Spermien heran. Unter Testosteronmangel werden aber auch Knochengesundheit, Muskelkraft und Libido in Mitleidenschaft gezogen, woran weder Mann noch Frau eine Freude hätten. Daher wird den Probanden alle drei Monate eine Depotdosis des männlichen Sexualhormons gespritzt. Die Kunst ist nun, den Testosteronspiegel im Blut niedrig genug zu halten, um die Spermienzahl unter den kritischen Wert von einer Million pro Milliliter Ejakulat zu drücken, aber doch hoch genug, um gesundheitliche Schäden wegen Hormonmangels zu vermeiden.
Forschung gestoppt
Dass das System Gestagen/Testosteron funktioniert, war schon in früheren Untersuchungen bewiesen worden. Die von der Firma Schering unterstützte Phase-III-Studie wollte nun den Weg öffnen zur Markteinführung dieser Technik, im Jahr 2010 sollte es so weit sein. Aber dann wurde Schering von Bayer aufgekauft, die neue Firma heisst jetzt Bayer Schering Pharma und will nichts mehr am Hut haben mit der Pille für den Mann. «Zwischenzeitlich hat sich unsere Firma entschieden, die Forschung und Entwicklung für die männliche Fertilitätskontrolle nicht mehr weiterzuführen», wird auf Anfrage lapidar mitgeteilt.
«Das ist für die ganze Entwicklung auf diesem Gebiet eine Katastrophe», findet Prof. Eberhard Nieschlag, Direktor des Instituts für Reproduktionsmedizin der Universität Münster. Er gilt als internationale Kapazität für hormonelle Kontrazeption beim Mann und arbeitet in dieser Funktion auch eng mit der Weltgesundheitsorganisation WHO zusammen. Zwar verschweigt auch Nieschlag die Schwächen der Gestagen/Testosteron-Behandlung nicht. Etwa, dass sie erst mit Verzögerung wirksam wird. Da Produktion und Ausreifung einer Samenzelle rund 70 Tage in Anspruch nehmen, muss Mann sich entsprechend lange in Geduld üben, bis das Ejakulat frei ist von zeugungsfähigen Spermienmengen. Umgekehrt dauert es dann auch über zwei Monate, bis der Mann nach Entfernung des Gestagen-Implantats wieder Vater werden kann. Für «One night stands» taugt die hormonelle Verhütung beim Mann somit nicht, sie könnte aber bei treu liierten Paaren durchaus eine Alternative zur Pille für die Frau sein.
Verhütung mit Krokodil-Dung
Von Bemühungen, bei der Familienplanung den Hebel am Mann anzusetzen, wird ja schon auf einer 4000 Jahre alten Papyrus-Rolle berichtet. Darauf ist zu lesen, wie Ägypterinnen damals Spermien mittels Krokodil-Dung ausser Gefecht zu setzen versuchten. Vergleichsweise zivilisiert dann rund 1500 Jahre später der Tipp des griechischen Naturphilosophen Aristoteles: Er empfahl den Frauen, sich durch Einreiben von Weihrauch vor unerwünschten Schwangerschaften zu schützen. Heute stehen dem Mann – von Kondombenutzung, coitus interruptus bis zeitweiliger Enthaltsamkeit – mehrere einfache und schmerzlose Techniken zur Verfügung, um eine ungewollte Vaterschaft zu verhindern. Und es ist auch durchaus nicht so, dass Männer sich generell bei der Familienplanung aus der Verantwortung stehlen wollen. Gemäss Meinungsumfragen sind 60 Prozent der Männer interessiert an einer Verhütungspille fürs starke Geschlecht. Weltweit haben sich ja auch schon 60 Millionen Männer einer Vasektomie unterzogen, was ungefähr der Zahl der Pillen-Nutzerinnen entspricht. Bei der Vasektomie werden die Samenleiter durchtrennt – die Testosteronproduktion in den Hoden bleibt zwar erhalten, aber es gelangen keine Spermien mehr ins Ejakulat. Das wäre an sich eine ideale Verhütungsmethode, wenn sie nur nicht so schwer rückgängig zu machen wäre. Inzwischen werden unter den Wissenschaftlern viele weitere Techniken zur Kontrazeption beim Mann diskutiert. Beispielsweise lässt sich die Spermienproduktion paradoxerweise auch mit Testosteron-Injektionen unterdrücken. «Die Hirnanhangdrüse meint dann, es sei bereits zu viel männliches Sexualhormon im Blut und stoppt daher die Testosteronausschüttung im Hoden», erklärt Prof. Nieschlag den vermeintlichen Widerspruch. Nur funktioniert dies nicht bei allen Männern genügend gut und ist oft mit unliebsamen Nebenwirkungen verbunden. Kommt dazu, dass Testosteron auf der Dopingliste steht und damit für Sportler eigentlich tabu ist. Aber das ist eine andere Geschichte.
Impfung gegen Spermien?
Eine weitere Methode, die momentan erforscht wird, möchte die Samenleiter mit Silikon-Zäpfchen verstopfen, die dann nach Bedarf wieder entfernt werden könnten. «Eine unsichere Sache», meint Eberhard Nieschlag dazu. «Die Gefahr besteht, dass dann trotzdem zu viele Spermien durchkommen. Oder die Samenleiter durch die ganze Prozedur irreversibel geschädigt werden.» Direkt abenteuerlich mutet an, was Forscher an der University of North Carolina an Affen ausprobiert haben. Sie hatten neun Versuchstiere alle drei Wochen gegen ein Protein auf der Zellmembran ihrer Spermien geimpft. Tatsächlich entwickelten sieben Affen eine derart starke Immunantwort gegen die eigenen Keimzellen, dass sie zeugungsunfähig wurden. Die schlechte Nachricht: Zwei der Tiere blieben auch nach Absetzen der Impfkampagne steril. Und das wollen wir ja nicht, falls sich die Technik überhaupt auf den Menschen übertragen liesse.
So bleibt es bis auf weiteres dabei: Die Gestagen/Testosteron-Behandlung verspricht noch am ehesten, für die Kontrazeption beim Mann zur Methode der Wahl zu werden. Die Massnahme ist relativ frei von Nebenwirkungen, nach einer gewissen Zeit reversibel und grundsätzlich kostengünstig. Aber was tun, wenn die Industrie da nicht mitmacht? «Es wäre natürlich schon besser, wenn Pharmafirmen das in die Hand nehmen, die haben ja auch Erfahrung im Marketing», räumt Prof. Nieschlag ein. Lässt sich jedoch nicht entmutigen: «Die WHO hält die Fahne hoch und hat eine weitere grosse Studie gestartet.» Und über kurz oder lang werde auch die Industrie wieder Interesse finden an dem Projekt, ist Eberhard Nieschlag überzeugt.
Box: Wie in der Schweiz verhütet wird
«Es gibt zwar in der Schweiz keine Statistiken zu diesem Thema, aber aus Befragungen wissen wir, dass weitaus die meisten sexuell aktiven Paare mit der Pille verhüten», sagt Prof. Johannes Bitzer, Leiter der Abteilung Gynäkologische Sozialmedizin am Universitätsspital Basel. In der jüngeren Altersgruppe erfreue sich das Kondom zunehmender Beliebtheit. Die Spirale werde vor allem von Frauen nach der Geburt wieder häufiger angewendet, und auch chirurgische Massnahmen (Tubenligatur und Vasektomie) seien vermehrt gefragt. Offenbar sind die Methoden zur Familienplanung in der Schweiz gut etabliert: Auf vier bis fünf Geburten ist bloss ein Schwangerschaftsabbruch zu verzeichnen, laut Prof. Bitzer im internationalen Vergleich «eine gute Zahl». Tatsächlich, ist doch weltweit laut Berechnungen der WHO jede zweite Schwangerschaft ungewollt. Und jährlich bezahlen 200 000 Frauen den unsachgemässen Versuch eines Schwangerschaftsabbruchs mit dem Leben. Aus diesen Zahlen erklärt sich auch das Engagement der WHO für die beim Mann ansetzenden Kontrazeptions-Methoden.
Originaltext des am 13. Januar 2008 in der NZZaS erschienenen Artikels.