Zürcher Forscher konnten zeigen, wie Vertrauen gebildet wird – ein Hormon im Gehirn ist verantwortlich
«Trau, schau, wem», sagt der Volksmund – und wird wieder einmal von der Wissenschaft widerlegt: Vertrauensbildung geht nicht übers Auge, haben Zürcher Forscher herausgefunden, sondern wird von einem Hormon im Gehirn beeinflusst. Es ist ein kleines Molekül – und gilt dennoch als Tausendsassa unter den Hormonen: Oxytocin wird in einer Hirnregion namens Hypothalamus produziert, wirkt als Geburtshelfer, kurbelt die Milchproduktion an und nährt die Mutterliebe. Bei Männern findet sich das Hormon auch in den Hoden, wo es den Spermien auf die Sprünge hilft. Aber nicht nur dies: Es scheint männlichen Wesen zur Tugend der Monogamie zu verhelfen – mindestens bei Prärie-Wühlmäusen ist dies der Fall.Hinweise, dass Oxytocin auch Verhalten steuern kann, gibt es somit zur Genüge. Unter anderem scheint das Hormon Berührungsängste zu dämpfen, die Scheu, einander zu nahe zu treten. Ohne Oxytocin im Gehirn kann wahrscheinlich weder Intimität noch Zutraulichkeit erlebt werden, weil sich das Individuum nicht traut, aus sich herauszugehen.
Das Vertrauensmolekül
Womit wir beim Thema der Zürcher Wissenschaftler wären. Ein Forschungsteam der Universität Zürich um den Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr und den Psychologen Markus Heinrichs hat zeigen können, dass Oxytocin auch eine aktive Rolle spielt bei der Vertrauensbildung zwischen Individuen. Gegenseitiges Vertrauen ist ja nicht bloss Voraussetzung für Liebe und Paarbindung, sondern generell fürs Funktionieren unserer Gesellschaft. Ohne eine minimale Vertrauensbasis funktionieren weder Politik noch Wirtschaft.
Mit einer dem Wirtschaftsleben abgeguckten Versuchsanordnung haben Ernst Fehr und Markus Heinrichs denn auch den Effekt von Oxytocin aufs Verhalten ihrer Probanden getestet. In einem «Vertrauensspiel» wurde das delikate Abhängigkeitsverhältnis zwischen Investoren und Treuhändern simuliert. Das Zürcher Team konnte nun nachweisen, dass Investoren, denen Oxytocin durch die Nase verabreicht wurde, ihren Spielpartnern mehr Vertrauen entgegenbrachten, ihnen mehr Geld anvertrauten. Nicht etwa, weil die Risikobereitschaft bei Oxytocin-Schnüfflern generell erhöht wäre. Sondern weil das Hormon spezifisch die Bereitschaft beeinflusst, seinen Mitmenschen einen Vertrauensbonus einzuräumen. Denn wenn ein Computer mitspielt statt ein Mensch, funktioniert die Sache nicht, berichten die Zürcher in der Wissenschaftszeitschrift «Nature».
Gefahr des Missbrauchs?
So weit, so gut. Doch was ist, wenn aus dem Spiel ernst wird und das «Vertrauensmolekül» unseren Alltag erobert? Wird mich jetzt der Versicherungsvertreter beim nächsten Besuch mit Oxytocin-Schwaden gefügig machen können? Und muss man von nun an damit rechnen, an einer politischen Veranstaltung von der Klimaanlage mit dem Vertrauenshormon eingenebelt zu werden? Markus Heinrichs winkt ab: «Einen ganzen Saal voller Leute mit einer wirksamen Dosis Oxytocin zu dopen, ist nicht machbar.» Und was den Versicherungsmann betrifft: «Wenn er sympathisch auftritt, regt er die Oxytocin-Produktion bei seinen Kunden an – und hat auf natürlichem Weg Erfolg.»
Gegen Sozialphobien
Ein Anwendungsgebiet fürs «Vertrauenshormon» sieht Markus Heinrichs in der Behandlung von Kranken mit sozialen Phobien, der dritthäufigsten psychischen Störung. Bereits habe man – dank Unterstützung durch den Nationalfonds – an etwa 70 Patienten Erfahrungen sammeln können. «Die Erfolgsrate liegt bei etwa 60 Prozent», also etwa gleich hoch wie bei klassischen Psychopharmaka. Der Vorteil von Oxytocin sei jedoch, dass das Hormon eine körpereigene Substanz ist und die Behandelten keinerlei Nebeneffekte verspüren. Idealerweise sollte die Hormonbehandlung kombiniert werden mit einer Psychotherapie. «Denn das Ziel muss ja sein», so Markus Heinrichs, «die körpereigene Oxytocin-Produktion wieder auf ein gesundes Niveau anzuheben.»