Basler Forscher widerlegen eine alte Mär
Was bei unter Behandlung stehenden depressiven Patienten beobachtet wurde, gilt auch für Gesunde: Der sogenannte REM-Schlaf ist nicht wichtig für die Gedächtnisbildung. «Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf», steht doch so schön in der Bibel geschrieben. Und das stimmt zumindest, was das Lernen betrifft, denn der Schlaf fördert tatsächlich die Gedächtnisbildung. Was sich Schüler und Studentinnen noch vor dem Schlafengehen eintrichtern, bleibt besser hängen, als was tagsüber gebüffelt wird.
Bis jetzt herrschte die Lehrmeinung vor, dass besonders die REM-Phasen des Schlafes bei der Gedächtnisbildung hilfreich sind, also die Schlafphasen, die von raschen Augenbewegungen (REM = Rapid Eye Movement) und von Träumen begleitet sind. Etwa einen Sechstel der Schlafenszeit verbringen wir im REM-Zustand, der die Schlafforscher schon lange fasziniert. Der aber doch nicht so wichtig zu sein scheint für die Gedächtnisbildung, wie bisher angenommen wurde. «Die REM-Phase ist für sich genommen für die Gedächtnisbildung im Schlaf nicht erforderlich», folgert etwa Björn Rasch vom Basler Institut für Psychologie aus den Forschungsarbeiten, die er zusammen mit Kollegen der Universität Lübeck durchgeführt hat. Die Ergebnisse wurden diese Woche in der Online-Ausgabe von «Nature Neuroscience» veröffentlich.
Auf die Spur gebracht wurden Björn Rasch und seine Kollegen durch die Beobachtung, dass die Gedächtnisbildung bei unter medikamentöser Behandlung stehenden depressiven Patienten keineswegs gestört ist. Dies, obwohl die normalerweise eingesetzten Medikamente die REM-Phasen während des Nachtschlafes um bis zu 80 Prozent beschneiden.
Die Forscher wollten nun wissen, wie sich ein solch medikamentös ausgelöster REM-Schlaf-Entzug bei gesunden Probanden auf die Gedächtnisbildung während des Schlafes auswirkt. Dazu liessen sie junge Männer jeweils abends Wortpaare lernen und wie fürs Klavierspiel erforderliche Fingerfertigkeiten einüben. Nach dem Training und vor dem Schlafengehen im Labor erhielt die eine Gruppe der Probanden dann eine antidepressive Substanz verabreicht, die andere eine unwirksame Placebo-Pille.
Wie erwartet unterdrückten die Antidepressiva den REM-Schlaf bei den medikamentös behandelten Männern beinahe vollständig. Zum Erstaunen der Forscher hatte dieser Mangel an Traumschlaf jedoch keinen negativen Einfluss auf die Gedächtnisbildung. Im Gegenteil, die «Klavier-Fingerübungen» sassen sogar nach 32 Stunden noch besser als bei der Kontrollgruppe. «Die Frage nach den Mechanismen der Gedächtnisbildung im Schlaf bleibt daher weiter spannend», schreiben Björn Rasch und Kollegen. Eines ist jedoch sicher: Der Traumschlaf als Lernhilfe hat ausgedient.