Bis in die Karibik und ins Mississippi-Becken hinein hat Saharastaub zur Bodenbildung beigetragen
Die Sahara ist Mutter vieler Dinge. So macht etwa der dort aufgewirbelte Staub den Menschen bis hinaus zu den kanarischen Inseln das Atmen schwer. Andererseits würde Zuckerrohr in der Karibik nicht so schön gedeihen, gäbe es die Sahara-Staubstürme nicht. «Viele Touristen besuchen die kanarischen Inseln wegen der guten Luft. Aber für diejenigen, die das ganze Leben hier verbringen, sieht die Sache anders aus – sie riskieren nämlich Langzeitschäden.» Die Tourismus-Chefs der Inselverwaltung mögen den Löss-Forscher Edward Derbyshire zurück ins trübe England verwünschen ob seiner respektlosen Bemerkung. Aber jeder Einheimische weiss, wovon der Brite spricht: von den (zum Glück seltenen) Tage, an denen sich der Horizont gelb/braun verfärbt, aus Südosten eine Dunstwalze heranrollt, bald alles einhüllt und den Flugverkehr zum Erliegen bringt, weil man kaum mehr die Hand vor den Augen sieht. Die Luft wird zu Brei, das Gemisch von Salz und Staub brennt in den Augen und macht das Atmen zur Qual. Wer zu Asthma neigt, bekommt jetzt seinen Anfall. «Calima» nennen die Insulaner diese Staubstürme, die aus der 150 km entfernten Sahara herüber wehen und manchmal sogar auch die Autos in Mitteleuropa gelb einpudern.
Edward Derbyshire hat den Saharastaub buchstäblich unter die Lupe genommen und diese Woche auf Lanzarote am Kongress «Staubtransport heute und in der Vergangenheit» berichtet, was er gefunden hat. Die Tagung mit dem etwas exotisch klingenden Titel war von den deutschen Löss-Forschern Dominik Faust und Ludwig Zöller im «Casa de los Volcanes» organisiert worden und stand unter der Schirmherrschaft der Unesco. Unter Löss werden gemeinhin durch Staubablagerung entstandene Bodenformationen verstanden, aus denen die Urgeschichte von Klima und Vegetation ganzer Kontinente herausgelesen werden kann. Daraus erklärt sich auch das Interesse der Unesco an der Lössforschung.
Zurück zu Derbyshires Untersuchungen. Sie haben einerseits bestätigt, was in der Branche schon längst bekannt ist, nämlich dass der Saharastaub 60 bis 90 Prozent Quarz enthält, darunter auch Silikate biologischen Ursprungs, die aus Afrikas ausgetrockneten Seen stammen. Der britische Forscher konnte nun aber zeigen, dass ein grosser Teil des weitflächig transportierten Saharastaubes aus kleinen Körnern unter der kritischen Grösse von zehn Mikrometern (PM10) besteht. «Damit kann Saharastaub weit in die menschliche Lunge eindringen und dort Schaden anrichten», warnt der Forscher. Gefährlich werden können die Partikel schon wegen ihrer chemische Zusammensetzung, denn sie enthalten oft Schwermetalle. Doch auch Korngrösse und scharfe Kanten sind kritisch für die Lungenbläschen, besonders wenn die Partikel weniger als 4 Mikrometer messen. «Das Phänomen der Lungensilikose ist ja allgemein bekannt», erinnert Derbyshire. Und erwähnt auch den Fakt, dass Lungenfibrose unter den in Afrikas Wüstengebieten lebenden Beduinen weit verbreitet ist.
«Man sollte unbedingt die Rolle untersuchen, welche die Sahara spielt als Feinstaubquelle in den Kanaren», meint der Forscher im Gespräch mit der baz. «Das übertrifft wahrscheinlich den Ausstoss sämtlicher Dieselmotoren auf den Inseln.» Schon möglich. Aber gegen Calima gibts nun mal keine Feinstaubfilter. Ohnehin gilt auch hier: Des einen Leid ist des anderen Freud. Woher stammt die fruchtbare rote Erde, die zum Beispiel auf der Karibik-Insel Barbados Zuckerrohr so schön gedeihen lässt? Das fragten sich der amerikanische Löss-Spezialist Daniel Muhs und seine Kollegen. Auch in den Bahamas und den Florida-Keys sind die roten, eisenhaltigen Böden anzutreffen, obwohl sie dort eigentlich nichts zu suchen haben. Denn all die erwähnten Inseln sind aus Korallenbänken gewachsen und sind ursprünglich aus reinem, weissem Kalk gebaut.
Die rote Erde musste also vom Wind herangeweht worden sein. Aber woher? Drei mögliche Quellen diskutierte Daniel Muhs an der Tagung auf Lanzarote. Erstens könnte es sich um Asche von der Vulkaninsel St.Vincent handeln, zweitens kommen Staubtransporte aus dem Mississippi-Becken in Frage und drittens Verfrachtungen aus der Sahara. Vulkanasche ist auf Barbados tatsächlich niedergegangen, kamen die amerikanischen Forscher nach eingehenden geochemischen Analysen zum Schluss.
Mit vulkanischem Niederschlag allein ist jedoch die beachtliche Dicke der roten Erdschicht nicht zu erklären. Tatsächlich wurden in den Bodenproben grosse Mengen Staubkörner gefunden, die aufgrund ihrer Form und chemischen Zusammensetzung eindeutig aus Afrika stammen müssen. «Die Böden der Bahamas und der Florida-Keys bestehen sogar mehrheitlich aus Sahara-Staub» ist Daniel Muhs überzeugt. Sogar der aus den Lössablagerungen des Mississippi-Tals herübergewehte Staub sei wahrscheinlich afrikanischen Ursprungs und somit auf Umwegen in die Karibik gelangt. So wäre denn die Sahara tatsächlich so etwas wie die Urmutter aller Staubstürme der westlichen Welt.